Der 26. Hausacher Leselenz setzt neue Impulse unter dem Titel „Die Provinz der Literatur ist die Welt“. Erstmals zweigeteilt und mit einer Gastsprache: Französisch.
Bei der Eröffnungsveranstaltung am Freitag in der Stadthalle erlebte die erste Anthologie deutschsprachiger Gedichte in Frankreich seit über 25 Jahren eine Deutschlandpremiere.
„Lies ins Offene!“ fordert José F.A. Oliver in seinem Geleitwort des Werks „10 x 10“ auf. Das verbindende Element der Auswahl ist laut Oliver die mehrsprachige Grundsubstanz der zehn Dichterinnen und Dichter, die mit ihren Stimmen die interkulturelle Vielfalt heutiger Wortarbeit in Deutschland mit repräsentieren.
„Wir freuen uns, Poesie an unser Nachbarland Frankreich verschenken zu können und das – welch glücklicher Zufall – am heutigen französischen Nationalfeiertag“, parlierte Leselenz-Kurator Oliver adäquat zur vorgestellten Anthologie in Französisch, Deutsch und Englisch plus einem Quäntchen Spanisch.
Widrigkeiten, Chaos und Großartigkeit
Sprache bedeute Dialogfähigkeit, apostrophierte Bürgermeister Wolfgang Hermann in seinem Grußwort das Motto des diesjährigen Literaturfestivals als sehr stimmig. Dessen Neuausrichtungen beanspruchen viel Kraft, doch Hermann zeigte sich überzeugt: „Anfangs zeigen sich die mit Veränderungen einhergehenden Widrigkeiten, Chaos in der Mitte und am Ende ist alles großartig.“
Mit der besonderen und eigenwilligen Anthologie sei etwas Neues, Lebendiges entstanden und er sei sehr froh über das Ergebnis, erklärte Verleger Alain Le Saux im Gespräch mit Oliver. Zweieinhalb Jahre dauerte der Reifeprozess des Werks.
„Meine brennende Frage dazu: was heißt es, Poesie in eine andere Sprache zu übersetzen?“, wollte Oliver von dem Impulsgeber der Anthologie, Tim Trzaskalik, wissen. Da versuche er so zu verschwinden, wie wenn er auf der Bühne lese, bekannte der Lyriker und Übersetzer.
Übersetzung schafft emotionale Tiefe
Die Wirkung einiger Gedichte verstärkt sich durch die visuelle Rezeption des Schreibstils, wie bei „Da ist er auch nicht“ von Safiye Can. Sie konnte leider aufgrund einer Erkrankung nicht nach Hausach kommen. Die Verse der Vortragenden gewannen durch die Satzmelodie der sich anschließenden französischen Übersetzung zusätzliche emotionale Tiefe und Ausdehnung. „Wenn Sie nicht alles verstehen, lauschen Sie einfach der Schönheit der Sprache,“ empfahl Oliver.
Das galt ganz gewiss für den französischen Chansonnier Ulysse Mars, dessen hinreißender musikalischer Part Glanzpunkte setzte.
Die Sternstunde des Abends war die berückende Rezitation von Aurélia Lassaque in Wort und Gesang. Ihre okzitanische Troubadourlyrik schuf ein weit gespanntes poetisches Kraftfeld, das die Zuhörer unmittelbar erreichte, außerhalb jeder intellektuellen Analyse und Einordnung des Gehörten – Ort und Zeit schienen bei ihrem Vortrag ihre Bedeutung verloren zu haben.
Gastgeschenk
Für die Vortragenden Zehra Çırak, Dagmara Kraus, Aurélia Lassaque, Tzveta Sofronieva und Mikael Vogel gab es als besonderes Gastgeschenk das Buch „handverlesen – Gebärdensprachpoesie in Lautsprache“, publiziert vom Lyrikverlag „Hochroth München“. Co-Verleger und Autor Tim Holland erklärte bei der Eröffnung des Leselenz in Hausach, wie Text und Film in diesem Buch zusammenkommen: Auf einer Seite befindet sich ein QR-Code, den man mit dem Handy einscannen kann. Dieses wird dann anschließend auf die Bilder in dem Buch gerichtet, damit anschließend auf dem Handy die entsprechenden Videos mit der Gebärdensprachpoesie angesehen werden können.