Radfahren ist Martin Vetters Leben. Sogar einen Umzug bewältigte er ausschließlich mit dem Rad und einem selbst zusammengeschweißten Anhänger. Foto: Heinig

Martin Vetter ist leidenschaftlicher Fahrradfahrer. Eine Tour führte ihn 7000 Kilometer über die Landroute durch Russland und Finnland bis ans norwegische Nordkap.

Villingen-Schwenningen - Sein neues verglastes Büro mit Blick auf die Ausstellungsfläche ist ihm zwar zu protzig und er hätte dafür lieber zehn Modelle mehr ausgestellt, doch Martin Vetter, der Geschäftsführer von "Tour – Räder für’s Leben" hat genommen, was ihm geboten wurde, um sein Lebenswerk fortzuführen. Neuer Markt 2 heißt jetzt die Adresse, nur wenige hundert Meter entfernt von der bisherigen, in die man 2005 gezogen war. Damals nicht mit fliegenden Fahnen, denn er habe nicht unbedingt "auf die grüne Wiese" gewollt, sagt Martin Vetter. Viel lieber wäre er im Kanonengässle und nahe an seiner Kundschaft geblieben, doch dort fehlte es an Platz.

Lebenslauf von Bescheidenheit geprägt

Martin Vetter ist kein Schneller-Weiter-Höher-Typ. Sein Lebenslauf ist geprägt von Bescheidenheit, der Konzentration auf das Elementare – und von seiner Leidenschaft für das Fahrrad. Radfahren war für ihn schon in der Jugend früh die Alternative zum Mofa und später zum Auto, das er als 22-Jähriger verkaufte. So technikbegabt und -begeistert wie er schon zu Schulzeiten war, brachte er sich zudem alle Reparaturen und später sogar den Fahrradbau selbst bei.

Als Zehnjähriger war Martin Vetter mit seiner Familie von Heidelberg nach Villingen gezogen. Der Arzt hatte für den ältesten von drei Brüdern die raue Schwarzwaldluft gegen seine Bronchitis empfohlen – ein erfolgreiches Rezept. Bei Kienzle Apparate lernte Martin Vetter den Beruf des technischen Zeichners. Er holte die Fachhochschulreife nach und studierte an der Hochschule in Furtwangen Feingerätetechnik und Automation. Das Studium brach er allerdings ab und arbeitete als technischer Zeichner zunächst beim städtischen Tiefbauamt und später bei der Firma Weißer in St. Georgen.

Auch bei minus 28 Grad mit dem Rad unterwegs

Nachdem er kein Auto mehr besaß, überwand er die Strecke von Villingen in die Bergstadt immer mit dem Fahrrad – bei Wind und Wetter und auch bei minus 28 Grad. "Funktionale Thermokleidung gab es damals ja noch nicht". Unter seinen Kollegen habe er als "Spinner" gegolten, erinnert sich der 66-Jährige. Um sich die täglichen Fahrten zu erleichtern, begann er in seinem Keller damit, selbst ein Rad zusammenzubauen: leicht wie ein Rennrad, aber ergonomischer und damit bequemer und mit einer günstigeren Bergübersetzung. Auch davon war auf dem Rädermarkt von einst noch nichts zu sehen. Als Autodidakt habe er dabei sehr gutes Werkzeug zu schätzen gelernt, sagt er. Und das ist ihm auch heute noch neben regelmäßigen Schulungen für sein ganzes Team wichtig.

Aus zwei werden 18 Mitarbeiter

Seine Einstellung zu einem glücklichen Leben habe er noch nie mit viel Geld verknüpft, sagt Martin Vetter. Und so kam es, dass er seine Arbeitszeit halbierte. Damals, zum Ende der 1970er-Jahre, taten das nur Frauen, weswegen er so manche Schmähung seiner Kollegen ertragen musste. "Aber das stärkt die Persönlichkeit", sagt er und lacht. 1984 stieg er in das Fahrradgeschäft "Tour" ein. 1982 von Rolf Ketterer und Peter Marull gegründet, befand sich der kleine Laden seinerzeit in der Josefsgasse in einem Hinterhof und war nur an drei Tagen und nach Feierabend der berufstätigen Gründer geöffnet. Durch Martin Vetters Mitwirkung konnten die Öffnungszeiten erweitert werden. Er übernahm den Betrieb, ab 1988 kam Klaus Schnotz dazu, und strich an seinem Arbeitsplatz in St. Georgen endgültig die Segel. Von da an ging es nur bergauf. 1989 zog man ins Kanonengässle, gründete 2001 eine GmbH und aus zwei wurden bis heute 18 Mitarbeiter.

Martin Vetter war schon immer und ist ein sozialer Mensch. Zusammen mit seiner ersten Frau war er aktives Mitglied des Arbeitskreises Frieden und demonstrierte gegen Atomwaffen. In den 1980er-Jahren gehörte er zu der daraus resultierenden Theatergruppe "Schlagloch". Deren moralischen Zeigefinger empfand er eines Tages jedoch als zu steil erhoben und so entstand nach seiner Idee der Straßenzirkus "Die Randalinis", dem größten radelnden Zirkus Europas, für den er für Auftritte das Einradfahren erlernte. Seinen "Tour" führte er lange Jahre als von allen Mitarbeitern gleichberechtigt selbstverwalteten Fahrradbetrieb und gehört bis heute dem gemeinnützige arbeitenden Verbund Service & Fahrrad (VSF) an.

7000 Kilometer durch Russland ans norwegische Nordkap

Das Radeln ist für Martin Vetter aktiver Umweltschutz – und das seit über 40 Jahren. Seine vier Kinder seien im Radanhänger und auf dem Rad groß geworden, sagt er. Er selbst war schon in vielen Ländern per Fahrrad unterwegs. 1992 fuhr er über 7000 Kilometer über die Landroute durch Russland und Finnland bis ans norwegische Nordkap. Seinen privaten Wohnungswechsel von der Zinsergasse in den Klosterring bewältigte er ausschließlich mit dem Rad und einem selbst zusammengeschweißten Anhänger. Für Martin Vetter ist das Fahrrad erst in zweiter Linie ein Sportgerät. Für ihn ist es ein Gebrauchsgegenstand, gleichberechtigtes Verkehrsmittel auf der Straße und ein Genuss, wenn es praktisch und einfach zu bedienen ist. Daher legt er bei seinem "Tour"-Sortiment auch Wert auch auf Lastenfahrräder aller Art. Schlagzeilen machen momentan zwar ausverkaufte Fahrradmodelle und lange Lieferzeiten, aber zwei Außenlager seien gefüllt, beruhigt Martin Vetter. Davon sind die meisten mit einem Elektromotor ausgestattet. "Wir verkaufen zu 85 Prozent Pedelecs". Wobei er die "Muskel-Bikes" wieder mehr in den Vordergrund hebt.