Zwei deutsche Medaillenanwärter starten am Freitag bei der Leichtathletik-WM in Budapest: Niklas Kaul, Weltmeister 2019 und Europameister 2022, sowie Leo Neugebauer, der Weltjahresbeste im Zehnkampf.
Sie haben in der Vergangenheit nicht selten die Kastanien aus dem Feuer geholt, Leichtathletik-Deutschland ist ein Land der Zehnkämpfer. Auch bei der laufenden WM in Budapest verbinden sich mit ihnen Tradition und Hoffnung: Niklas Kaul und Leo Neugebauer nehmen am Freitag und am Samstag Anlauf auf Edelmetall.
Als jüngster Weltmeister der Geschichte war der Mainzer Niklas Kaul (25) ein Teil des EM-Sommermärchens 2023 in München, er wurde zum zweiten Mal Sportler des Jahres. „Du bist ein großes Vorbild für unsere Generation“, bekannte seine 17-jährige Schwester Emma in einem emotionalen Statement. Kauls Vorbildfunktion untermauerte der Fair-Play-Preis des deutschen Sports mit dem Schweizer Simon Ehammer für den EM-Wettkampf, den die beiden „aus einem Gegeneinander in ein Miteinander verwandelt haben“.
Zehnkampf als Familienunternehmen
Mit drei Wochen Trainingslager in Südafrika hat Sport- und Physikstudent Kaul seinen bislang einzigen Zehnkampf 2023 in Ratingen vorbereitet, wo er mit 8484 Punkten auf Platz neun der Weltjahresbestenliste kam. Der Zehnkampf ist bei ihm ein Familienunternehmen. Die Eltern sind die Trainer, gerade mit dem Europäischen Coaching Award ausgezeichnet. Michael Kaul war deutscher Meister, Stefanie Kaul mehrfache Österreichische Meisterin über 400 Meter Hürden.
Leo Neugebauer (23) von den Fildern bei Stuttgart kannten bis vor Kurzem nur Insider. Jetzt ist er der Shooting-Star der deutschen Leichtathletik und auch in den USA, wo er Wirtschaft studiert, ist „Leo the German“ eine Nummer. Im März schon erreichte er mit 8478 Punkten die Olympianorm für Paris 2024. Was dann im Juni passierte, gleicht einem Märchen: Neugebauer, zwei Meter groß und 105 Kilo schwer, zeigte bei den US-Studentenmeisterschaften mit sechs Bestleistungen. Er schoss mit 8836 Punkten an die Spitze der Weltjahresbestenliste und überbot den 39 Jahre alten deutschen Rekord von Jürgen Hingsen. „Das fühlt sich alles sehr cool an“, sagte der schwäbische Himmelsstürmer gelassen.
Neugebauer studiert mit Stipendium in den USA
Neugebauer profitiert von den idealen Bedingungen an der Uni in Austin Texas. Sportstätten, Hörsaal, Wohnungen und ärztliche Versorgung liegen eng beieinander. Die Uni hat einen Sportetat von 250 Millionen Dollar, die Coaches verdienen bis zu 400 000 Dollar pro Jahr. Für den Studenten Neugebauer fallen dank eines Stipendiums keine Kosten an, 8000 Dollar Taschengeld bekommt er zusätzlich.
Kaul und Neugebauer sind Teil einer langen Tradition. Willi Holdorf war 1964 in Tokio der erste deutsche „König der Athleten“, als er den Esten Rain Aun besiegte und taumelnd ins Ziel fiel. Thorsten Voss wurde 1987 in Rom Weltmeister, Siggi Wentz Dritter. Christian Schenk holte 1988 in Seoul Olympia-Gold. Kurt Bendlin sowie Guido Kratschmer setzten als Weltrekordler Meilensteine in ihrer Disziplin. Frank Busemann überraschte als 21-Jähriger Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1996 in Atlanta. Ein legendärer Zehnkämpfer ist auch Jürgen Hingsen, nicht nur, weil er in Seoul wegen dreier Fehlstarts im 100-Meter-Lauf disqualifiziert wurde, sondern wegen seiner drei Weltrekorde von 1982 bis 1984.
Kaul stärkt seinem Kollegen den Rücken
Die beiden aktuellen deutschen Zehnkampf-Asse ergänzen einander komplementär: Wo Neugebauer (100, 400, Kugel) stark ist, hat Kaul noch Schwächen, und wo Kaul stark ist (Speer, 1500 Meter) gibt es bei Neugebauer Nachholbedarf. Kaul geht als weltbester Zehnkampf-Speerwerfer und in überragender 1500-Meter-Form ins Finale.
Und er stärkt seinem Teamkollegen den Rücken: „Egal ob Olympiasieger Damian Warner, Weltrekordler Kevin Meyer oder Pierce Laplage am Start sind, Leo Neugebauer ist derzeit der Beste und der Maßstab“, sagt Kaul. „In Budapest geht es um drei WM-Medaillen. Wenn ich eine kriegen kann, ist das in Ordnung, auch wenn Leo vor mir ist.“
Neugebauer geht mit großem Selbstbewusstsein in den zweitägigen Wettkampf. „Im Zehnkampf kann immer alles passieren, unerreichbar ist nichts“, lautet seine Philosophie. Auch die Fortsetzung der großen deutschen Zehnkampftradition.