Deniz Almas (2. von rechts) sprintet zum Titel. Foto: Woitas

Leichtathletik: Nach dem Gewinn des deutschen Meistertitels ändert sich die Rolle des Calwer Sprinters Deniz Almas.

Und plötzlich gibt man der Sportschau ein Interview: Durch den Sieg in Leipzig steht der neue deutsche Sprint-Meister Deniz Almas nun unter bundesweiter Beobachtung. Am heutigen Freitag ist er wieder in seinem Heimatort Altburg – zum ersten Mal seit dem Titelgewinn.

Deutscher Meister über 60 Meter und das auch noch mit einer neuen persönlichen Bestzeit von 6,60 Sekunden im Finallauf: Eindrucksvoll hat sich Deniz Almas bei den nationalen Titelkämpfen in Leipzig an die Spitze der deutschen Sprinter katapultiert. Überall in der Bundesrepublik ist plötzlich der Name des Calwers zu hören, dem in der Arena Leipzig sofort ein Mikrofon vor die Nase gehalten wird. "Ich wusste gar nicht, was ich da sagen soll", meint Almas nach ein paar Tagen Abstand trocken, "ich habe ja in der Jugend nie wirklich etwas gewonnen und noch nie ein Interview gegeben."

Wolfsburgs Schnellster

"Schneller Wolf" tauft die deutsche Leichtathletik-Szene inzwischen den Calwer Sprinter – in Anlehnung an den VfL Wolfsburg, für den er seit vergangenem Jahr startet. Die "Wölfe" fingen Almas nach seinem Verletzungsjahr 2018 auf, vor allem in finanzieller Hinsicht. Der bis dato zum VfL Sindelfingen gehörende Deutschtürke wurde zuvor im Bundeskader heruntergestuft, fiel aus der Leistungsförderung. Über seinen Trainer Sven Knipphals entstand der Kontakt nach Wolfsburg. Almas kämpfte sich zurück, bekam einen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr – und lieferte ab: Vergangenes Jahr wurde er U23-Europameister mit der deutschen Staffel, jetzt deutscher Meister in seiner Wahlheimat Leipzig, wo er Sportwissenschaften studiert. Welcher ist der schönere Titel? Der 22-Jährige muss nicht lange überlegen: "Der deutsche Einzeltitel hat für mich doch einen größeren Stellenwert, weil ich mich da komplett auf mich alleine verlassen musste."

Gute Nerven sind gefragt

Verlassen musste sich Almas beim Sprintfinale in Leipzig vor allem auf seine Nerven. Schon anhand der Zeiten in den Vorläufen war klar, dass wenige Hundertstel über die Medaillenvergabe entscheiden werden. Entsprechend angespannt waren die acht Finalisten. Der erste Startversuch klappte nicht, weil Michael Pohl (Wetzlar) wegen Startverzögerung die Gelbe Karte sah. Beim zweiten Anlauf kam der deutsche Rekordhalter Julian Reus (Erfurt) gerade einmal 13 Tausendstel zu früh aus den Blöcken und wurde disqualifiziert. Erst der dritte Startversuch glückte – und Almas behielt erneut die Nerven.

"Normalerweise bringt mich so eine Verzögerung mit Fehlstarts immer aus dem Konzept, aber diesmal bin ich ganz gelassen geblieben", sagt Almas, der die Disqualifikation von Julian Reus durchaus kritisch sieht: "Diese ganze Problematik mit den Startblöcken hat sich durch die ganze deutsche Meisterschaft gezogen. Das war ein technisches Problem. Schade, dass er wegen einem technischen Mangel rausgeflogen ist." Die Frage, ob er Deutschlands Sprint-Superstar lieber auf der Bahn statt am Grünen Tisch geschlagen hätte, kann Almas allerdings nicht eindeutig beantworten: "Er wäre auf jeden Fall ein sehr, sehr starker Konkurrent gewesen. Finale ist Finale, da kann alles passieren. Vielleicht hätte er noch einmal so richtig aufgedreht, vielleicht aber auch nicht."

Eine nicht unwesentliche Rolle hat allerdings auch der Heimvorteil gespielt. Mit seiner Trainingsgruppe nutzt Almas die Arena Leipzig, kennt jeden Winkel der Halle. "Wir wussten natürlich, wo die ruhigen Orte sind, an denen man richtig abschalten konnte. Es haben ja auch mehrere Leipziger Gold geholt, nicht nur ich", verdeutlicht Almas und fügt hinzu: "Ich kannte einige Leute in der Halle, auf der Tribüne saß manch ein bekanntes Gesicht. Das hat mich zusätzlich gepusht."

Doch nicht nur in Leizpig wurde gejubelt, sondern auch bei Familie Almas in Altburg. "Meine Eltern haben aus dem ganzen Ort Anrufe bekommen und auch bei meiner Schwester in der Schule war ich Gesprächsthema", freut sich der neue deutsche Meister und stellt fest: "Es haben sich auch Leute bei mir gemeldet, mit denen ich früher gar nicht so viel zu tun hatte. Das hat mich sehr gefreut."

In der Rolle des Gejagten

Mit dem deutschen Meistertitel ändert sich Almas’ Rolle nun auch sportlich. "Ich bin nicht mehr der Jäger, sondern jetzt der Gejagte. Das ist schön, ich fühle mich in dieser Rolle nicht unwohl", unterstreicht der Calwer Sprinter. Zeit zum Ausruhen bleibt Almas ohnehin nicht, 2020 ist ein Olympia-Jahr. Die Vorbereitung auf die Freiluftsaison läuft bereits, am vergangenem Donnerstag startete der Trainingsbetrieb. Am 26. März fliegt der Almas für fünfeinhalb Wochen mit der Nationalmannschaft ins Trainingslager ins sonnige Florida. "30 Grad und ein warmer Wind im Rücken – da läuft es sich natürlich viel besser", grinst der 22-Jährige, der dann allerdings auch fünfeinhalb Wochen seine Freundin nicht sehen wird. "Das gehört zum Leistungssport leider dazu", sagt Almas.

Ziel: Olympia

Bleibt die große Frage: Wird der Calwer bei den Olympischen Spielen in Tokio dabei sein? "Mit dieser Hallenleistung kann man schon in Richtung Olympia schielen. Über die Einzelnorm mache ich mir allerdings keine Gedanken", räumt Almas mit Blick auf die Olympia-Norm ein und betont: "Ich bin noch jung und konzentriere mich auf die Staffel. Da erhoffe ich mir gute Chancen, dabei zu sein."

Vor den Reisen nach Florida und Tokio lautet das nächste Fahrtziel allerdings erst einmal: Altburg. Am heutigen Freitag wird Almas zum ersten Mal seit dem Titelgewinn von Leipzig in seinen Heimatort zurückkehren – sein Opa feiert den 80. Geburtstag. Für den neuen deutschen Meister eine gute Gelegenheit, im Kreise der Familie Kraft zu tanken. Almas: "Es ist immer das Schönste, meine Familie wiederzusehen. Die sehe ich leider viel zu selten."