"Läufer haben im Vergleich zu den Technikern schon einen kleinen Vorteil. Wir können unser Programm auch in dieser schwierigen Zeit gut durchziehen." Klar also, dass der Donaueschinger Christoph Kessler derzeit viel in Sachen Grundlagen-Ausdauer unterwegs ist. Und dies in der Nähe des bayerischen Bad Reichenhall, wo der 800-Meter-Läufer der LG Karlsruhe derzeit bei seiner Freundin wohnt. Natürlich macht sich Kessler auch über die Verschiebung der Olympischen Spiele Gedanken. "Dies kommt mir gar nicht so ungelegen", sagt der 24-jährige Leichtathlet.

Herr Kessler, wie sieht denn derzeit ein Tag bei Ihnen aus?

Ich habe als Läufer das Privileg, dass ich alleine viel in der Natur laufen kann. Das Berchtesgadener Land ist dafür geradezu ideal. Ich kann also schon viel machen, die Grundlagen legen. Natürlich sieht es in Sachen Sprinteinheiten und Krafttraining etwas anders aus. Die Stadien und Fitnessräume sind ja geschlossen. Aber immerhin habe ich hier ein paar Medizinbälle. Drei Krafteinheiten in der Woche sind da schon drin.

Und abseits des Sports?

Ich bin schon ein sehr aktiver Mensch, brauche die Bewegung. Mit meiner Freundin mache ich hier auch lange Spaziergänge. Und sonst schaue ich eben TV und kümmere mich um meine letzte Uni-Prüfung im Bereich der Verfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie. Diese soll am 5. Mai stattfinden.

Die Universitäten in Deutschland sind derzeit bis mindestens am 20. April geschlossen.

Ja – deshalb weiß ich nicht, ob diese Prüfung wirklich dann stattfinden wird. Ich gehe derzeit eher davon aus, dass sie ausfällt.

Und wie würde es dann weitergehen?

Eigentlich wollte ich nach dem Bachelor-Studium dann erst einmal alles der Qualifikation für Tokio 2020 unterordnen. Das hat sich mit der Verschiebung nun natürlich erledigt.

Doch dies ist für Sie nach all den Verletzungsproblemen kein Nachteil.

So ist es. Ich hatte nach meiner überstandenen Hüftoperation eine Entzündung im Schienbeinmuskel. Nach der zweiten MRT-Untersuchung war klar, dass diese Probleme auf eine Ermüdungsreaktion rückzuschließen waren. Danach musste ich eine fünf Woche lange Laufpause einlegen. Nun ist es aber wieder in Ordnung, ich kann wieder laufen.

Dennoch wäre es für Sie nicht einfach geworden, sich für die Spiele 2020 zu qualifizieren.

Dies sehe ich auch so. Es wäre sehr eng geworden. Die Norm für Tokio beträgt für uns 800-Meter-Läufer 1:45,20 Minuten. Das ist wirklich hoch angesetzt.

Diese Norm wird auch 2021 so bleiben, die anderen Qualifikationskriterien auch?

Das weiß ich nicht. Bisher sollten die Tickets ja auch über eine komplizierte Weltrangliste vergeben werden, die auf einem Durchschnittswert der fünf besten Ergebnisse des jeweiligen Athleten während des vorgegebenen Qualifikationszeitraums (1. Mai 2019 bis 29. Juni 2020, Anm. d. Red.) basiert. Diese muss nun ja neu angepasst werden. Aber noch weiß ja niemand, wann die ersten Wettkämpfe in diesem Jahr stattfinden werden. Die deutschen Meisterschaften sind ja auch erst einmal abgesagt.

Für Sie bedeutet also die Verschiebung der Sommerspiele, dass sich Ihre Chancen auf ein Tokio-Ticket erhöhen?

Ja. Ich habe so viel mehr Zeit, um meine Topform zu erreichen. Dies muss ich auch, steht meine bisherige Bestzeit doch bei 1:46,11 Minuten.

Und was bedeutet die Verschiebung auf den Sommer 2021 für Ihr Studium?

Dies ist eine gute Frage. Ursprünglich wollte ich im November mit der Masterarbeit beginnen. Nun hoffe ich, dass dies schon im kommenden Semester klappt und ich mich dann ab dem Winter immer mehr auf Tokio 2021 konzentrieren kann. Aber ich muss da auch abwarten, ob ich eine Firma in diesen Zeiten finde, die diesen Weg mitgehen kann und will.

Apropos Weg. Dieser sollte Sie zuletzt ins US-amerikanische Flagstaff bringen.

Eigentlich war geplant, dass ich zusammen mit Teamkollegen dort knapp vier Wochen im Höhentrainingslager bin. Aufgrund meiner gesundheitlichen Probleme habe ich die Reise nach Arizona aber abgesagt.

Zum Glück?

Kann man so sagen. Einige meiner Teamkollegen waren dort, mussten dann aber nach einigen Tagen aufgrund der Virussituation in den USA schnell den Rückweg antreten. Sie sind aber alle gut in Deutschland angekommen.

Die Fragen stellte Gunter Wiedemann

Info

1:46,11 Minuten

Die Bestzeit von Christoph Kessler, der für die LG Region Karlsruhe startet, über die beiden Stadionrunden beträgt derzeit 1:46,11 Minuten.