Jens Lehmann im Dress des VfB Stuttgart Foto: dpa

Jens Lehmann über seinen Nachfolger Ulreich, den Absturz der Roten und seine Zukunftspläne.

Stuttgart - Zum Rückrunden-Auftakt trifft der VfB Stuttgart auf den FSV Mainz 05. Jens Lehmann, bis Juni 2010 im Tor der Roten, kritisiert die häufigen Trainerwechsel in der jüngeren Vergangenheit. Er traut Bruno Labbadia zu, den Club schnell aus der Abstiegszone zu führen.

Herr Lehmann, der VfB startet gegen Mainz in die Rückrunde - auf einem Abstiegsplatz . . .

Es war interessant zu sehen, dass der VfB in der ersten Hälfte wieder traditionell schlecht gespielt hat. Ich kann es nicht wirklich erklären.

Versuchen Sie es.

Vielleicht liegt es daran, dass einige Spieler nicht fit aus dem Sommer kommen.

Manche behaupten, dass es auch an Grüppchenbildung und mangelnder Kameradschaft liege.

Wenn es schlecht läuft, zieht man immer alle möglichen Erklärungen heran. Es ist natürlich so: Wenn man unten steht, kommt keiner mit einem ständigen Lachen in die Kabine. Ich glaube aber nicht, dass das der ausschlaggebende Grund dafür ist, dass der VfB unten steht.

Woran liegt es dann?

Ich denke, dass die Mannschaft noch nicht häufig in der Lage war, mit den gleichen Spielern zu spielen, dass die Mannschaft auch mit der Belastung in Europa physisch nicht alles aus sich rausgeholt hat. Mit Sami Khedira ist natürlich ein Spieler gegangen, der eine gewisse Qualität und Stabilität ins Mittelfeld gebracht hat. Diese Position kann erst nach und nach zum Beispiel durch Zdravko Kuzmanovic oder Christian Gentner ausgefüllt werden.

Spielt es eine Rolle, dass die Mannschaft durch die vielen Trainerwechsel nicht homogen zusammengestellt ist?

Dieses Problem haben die meisten Mannschaften dieser Welt.

Aber doch nicht in dem Ausmaß wie der VfB in den letzten Jahren?

Ein Trainerwechsel bedeutet ja immer, dass die Erwartungen nicht erfüllt wurden. Je mehr Trainer kommen, da haben Sie recht, umso mehr verschiedene Spieler werden geholt.

"Die Entlassung von Christian Gross hat mich überrascht"

Ihr Sky-Expertenkollege Ottmar Hitzfeld hat die VfB-Vereinsführung dafür kritisiert, dass man sich zu schnell von erfolgreichen Trainern wie Markus Babbel und Christian Gross trennte.

Unter dem Strich waren die Ergebnisse nicht so gut. Die Entlassung von Christian Gross hat mich aber überrascht. Ich hatte bei ihm gedacht, dass es soweit kommt, dass er selbst entscheidet, wann er den VfB verlässt. Ich habe unter ihm ein halbes Jahr trainiert. Wir haben gut gearbeitet, er hat fachlich sehr gut erklärt. Für Jens Keller war es dann natürlich kein Vorteil, dass er die Mannschaft in dieser schwierigen Situation übernehmen musste.

Jetzt heißt der Chefcoach Bruno Labbadia. Führt er den VfB aus der Abstiegszone?

Aus der Tradition heraus glaube ich, dass der VfB sich jetzt schnell retten wird. Ich hoffe es auch für Bruno Labbadia. Er hat ja schon bewiesen, dass er Erfolg haben kann. Und natürlich hoffe ich es für den Verein.

Sie sprechen die Tradition an. Glauben Sie an ähnliche Erfolgsserien, wie in den vergangenen zwei Spielzeiten? Am Ende stand da immer das internationale Geschäft.

Das glaube ich nicht, dafür ist der Abstand jetzt schon zu groß. Außerdem stehen Mannschaften oben, die man dort nicht erwartet hat, und starke Mannschaften wie zum Beispiel Schalke 04 dafür unten.

An der Spitze der Tabelle steht Dortmund mit zehn Punkten Vorsprung auf Mainz. Bleibt der BVB bis zum Ende oben?

Ich glaube, dass Dortmund erstmal gegen Leverkusen gewinnt. Die Spieler sind hungrig. Sie sind technisch stark. Und die Spieler sind schon sehr reif und gefestigt, obwohl sie noch jung sind. Dazu haben sie noch den beruhigenden Vorsprung.

Und mit Roman Weidenfeller haben sie auch noch einen starken Torwart.

Ihm muss ich ein Kompliment machen. Er hat in dieser Saison in wichtigen Situationen immer Rückstände verhindert. Ich glaube, dass er im Moment seine beste Saison spielt.

"Ulreich hat Potenzial"

In München stellt Louis van Gaal den jungen Thomas Kraft anstelle von Jörg Butt ins Tor.

Für Thomas Kraft ist es ein Geschenk des Himmels, dass er diese Chance bekommt. Ein guter Torwart ist er auf jeden Fall, ob er ein sehr guter ist, wird man sehen. Für Jörg Butt war es natürlich ein harter Schlag, er war ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft.

Beim VfB hat Sven Ulreich Ihren Posten übernommen. Wie beurteilen Sie seine erste Saisonhälfte?

Für ihn tut es mir ein bisschen leid. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Er kann was, er hat Potenzial. Wenn es aber in der Mannschaft nicht läuft, dann ist es schwierig. Ich hoffe, dass sie es zusammen mit den Älteren, wie Matthieu Delpierre oder auch dem erfahrenen Serdar Tasci, hinbekommen, wieder stabiler zu stehen.

Nach Ihrer aktiven Karriere sind Sie Experte bei Sky geworden: Wollten Sie nicht Nachfolger von Horst Heldt in Stuttgart werden?

(Lacht) Ich war ja weit außen vor, ich war noch Spieler. Außerdem: Wenn Stuttgart 21 zum Beispiel Stuttgart 11 heißen würde und somit schon realisiert wäre, dann hätte ich es in Erwägung ziehen können. Aber die Zugstrecke ist immer noch so schlecht ausgebaut, dass ich das nicht machen könnte.

Könnten Sie es sich denn vorstellen, als Manager oder Trainer in die Bundesliga zurückzukehren?

Ich will es jetzt nicht ausschließen. Ich werde eventuell im Mai meinen Trainerschein machen. Was dann in eineinhalb Jahren passiert, wer weiß. Wenn ich wieder hungrig bin, in die Bundesliga oder woanders hinzugehen, dann bestimmt.