2014 feierte Sebastian Kienle seinen größter Triumph auf Hawaii – der Eisenmann aus Mühlacker siegte. Foto: dpa/Bruce Omori

Sebastian Kienle geht zum letzten Mal in seiner Ironman-Karriere am Sehnsuchtsort aller Triathleten an den Start – und fühlt sich ein wenig wie beim Triumph 2014.

Sebastian Kienle ist extrem fleißig. Nicht nur, was sein Training betrifft, da muss ein Ironman sowieso schier Übermenschliches leisten, um jahrelang in der Weltspitze mitzumischen. Der Extremsportler aus Mühlacker ist auch äußerst eifrig bei den Mitteilungen, die er auf Instagram postet. Da hat der 38-Jährige vor Wochen begonnen, alle Hawaii-Starts seit seinem Debüt vor genau zehn Jahren noch einmal Revue passieren zu lassen und mit seinen Einschätzungen aus heutiger Sicht zu kommentieren. Es ist in der Rückschau alles vorhanden, von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Warum der Hawaii-Triumphator von 2014 in der Retrospektive einen Blick in seine Ironman-Seele gewährt hat, folgt einem einfachen Grund: Sebastian Kienle wird sich diesen Samstag (18.25 Uhr/Livestream zdf.de und ab 0.25 Uhr im ZDF) zum letzten Mal vor Kailua-Kona in den Pazifik stürzen, um die Tortur von 3,8 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,2 km Laufen zu bestehen.

Kienle, der sich gut sechs Wochen auf der Insel vorbereitet, geht locker in sein letztes Rennen am Sehnsuchtsort aller Eisenmänner – ohne den sonst für ihn gewohnten Druck, ganz vorn mitmischen zu müssen, mit um den Sieg zu kämpfen. „Ich kann das ziemlich befreit angehen. Eigentlich ist das auch nicht schön, weil es bedeutet, dass ich nicht in der Topfavoriten-Position bin“, berichtete der dreimalige Ironman-Europameister, „aber ich glaube auch, dass es nicht so verkehrt ist. Die Erwartungen sind schon deutlich niedriger – wobei ich auch sagen würde, ich bin nicht komplett chancenlos.“ Diese Saison war er immer wieder von leichteren Verletzungen, einer Corona-Erkrankung und einem Radsturz zurückgeworfen worden und kam nicht wirklich in absolute Topform. Der Familienvater hatte im November 2021 erklärt, er werde seine Profikarriere 2023 beenden, wobei er im Abschlussjahr lediglich bei ausgewählten Wettbewerben auf Abschiedstour gehen werde.

2022 ist Kienle das letzte Mal als Athlet auf Hawaii, ganz ohne die sonst so hochgesteckten Ziele. Ein wenig erinnert ihn das an den Triumph vor acht Jahren. 2014 war der Schwabe ohne Ambitionen angereist, zuvor war er bei der 70.3-WM als geschlagener 25. ins Ziel getrottet. „Die Enttäuschung stürzte mich in ein Formtief, wie ich es zuvor nie erlebt habe“, erzählte er; zudem plagte ihn die Achillessehne, und so hatte er sich schon nach einem Rückflugtermin erkundigt. Die mentale Belastung, ein Topergebnis erzielen zu müssen, war wie weggeblasen, und Kienle stellte plötzlich fest, dass sein Körper besser denn je funktionierte. „Die Form war nicht weg, sie hatte sich nur versteckt“, berichtete er, „diese Bilder von 2014 sehe ich oft, wenn Hawaii ansteht – es wäre an der Zeit für eine Auffrischung der Erinnerung.“

Noch einmal das Zielband nach mehr als acht Stunden zu durchreißen, davon träumt Kienle nicht, er ist Realist und weiß, dass der aktuelle Dominator Kristian Blummenfelt (28/Norwegen) heiß als Sieger gehandelt wird, der aber die Angriffe der Mitfavoriten Gustav Iden (Norwegen), Lionel Sanders (Kanada) und Patrick Lange (Sieger 2017 und 2018) abwehren muss. Titelverteidiger Jan Frodeno, der 2019 auf Hawaii gejubelt hat (2020 und 2021 fielen coronabedingt aus), muss passen – der gebürtige Kölner, der in Spanien lebt, ist 41 Jahre alt und zollt seinem Körper Tribut. Seit seinem Start bei der Challenge Roth im Juli, wo er verletzt aufgeben musste, kommt er nicht mehr so auf die Beine, wie es für einen Ironman nötig wäre.

Auch Kienle hat registriert, dass Eisenmänner nicht ewig laufen. „Ich weiß, dass es im Triathlon ein Verfallsdatum gibt“, sagte er, „und das habe ich nun allmählich erreicht.“ Die Häufigkeit der körperlichen Probleme, bei ihm ist es vor allem die linke Achillessehne, nimmt mit den Jahren zu, und die stets nachwachsende Konkurrenz wird nicht schwächer – da reicht Erfahrung allein nicht aus, um die Jungen in die Schranken zu weisen. Doch der zweimalige 70.3-Weltmeister (halbe Ironman-Distanzen) ist überzeugt, dass er „diesen einen, letzten Schuss noch in sich trägt“, um wieder eine gute Rolle zu spielen – und sich bis ins Ziel zu quälen. „Ich tippe darauf, dass der emotionalste Moment der des Zieleinlaufs sein wird, wenn meine Familie dort sein wird“, vermutete der 38-Jährige, „das hat das Potenzial zum emotionalen Höhepunkt.“ Es ist das Ankommen, was für Sebastian Kienle bei seiner Finissage auf Hawaii wichtig ist – die Platzierung ist zwar nicht völlig gleichgültig, aber in diesem Fall nur sekundär.