Die Legalisierung von Cannabis wird zu einem großen Ansturm auf Suchtberatungsstellen führen, prognostiziert Martin Weise im Interview mit unserer Redaktion. Trotzdem befürwortet er eine Entkriminalisierung – auch wenn künftig wohl mehr Menschen zur Droge greifen werden.
Schon bald soll Cannabis in Deutschland legalisiert werden, so die Pläne der Ampelregierung. Was das besonders für junge Menschen bedeuten könnte, das erzählt der Fachbereichsleiter der Suchtberatung, Martin Weise im Interview. Er spricht zudem von „prekären Verhältnissen“ in den Beratungsstellen, denn die Kapazitäten sind knapp bemessen.
Herr Weise, Sie haben täglich mit suchtkranken Menschen zu tun. Wie blicken Sie auf die angekündigte Cannabis-Legalisierung?
Mit gemischten Gefühlen. Einerseits sehen wir, dass die Schwarzmarktprodukte einfach eine ganz andere Gefährlichkeit haben, wegen beigemischter Stoffe und ähnlichem. Auf der anderen Seite ist schon damit zu rechnen, dass es aber auch mehr Konsum geben wird. Es wird eine Mehrarbeit für unsere Beratungsstelle geben, und wir sind im Moment sowieso schon am Anschlag.
Bald könnte der Kauf und Besitz von 20 Gramm Cannabis ab 18 Jahren straffrei sein. Besorgt Sie das?
Es besorgt mich in dem Sinne nicht, weil wir die Situation in der Gesellschaft schon haben – es wird ja schon konsumiert. Positiv ist, dass keine Kleinstmengen mehr strafrechtlich verfolgt werden, was viele Ressourcen bindet – auch seitens der Strafverfolgungsbehörde. Hier haben andere Bundesländer schon lange andere Regelungen als wir in Baden-Württemberg.
Halten Sie 18 Jahre für das richtige Alter, um legal Cannabis zu konsumieren?
Stand der Forschung ist, dass der Gehirnumbau im Zuge der Pubertät erst mit dem 18. oder 19. Lebensjahr beendet ist. Von dieser Seite her wäre es schon empfehlenswert, 21 Jahre anzustreben. Ob das möglich sein wird, ist eine andere Frage. Es gibt auf jeden Fall Forschungen, die dafür sprechen, die Grenze für das Mindestalter zu erhöhen.
Welche Schäden kann Cannabis bei jungen Menschen verursachen?
Insbesondere während der Gehirnentwicklung kann es zu Verzögerungen oder Schädigungen kommen. Die wirken sich dann häufig in psychiatrischen Krankheiten aus. Allen voran psychotischen Erkrankungen aber auch Gedächtnisleistung oder ähnliche Dinge können bei entsprechenden Konsummengen beeinträchtigt werden. Das ist aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Unter welchen Voraussetzungen halten Sie die Legalisierung für sinnvoll?
Die Entkriminalisierung, von der wir ja eigentlich sprechen, die halte ich für sehr sinnvoll. Aus Sicht der „Harm Reduction“, also der Verringerung der unerwünschten Nebeneffekte, ist eine kontrollierte Abgabe sicher begrüßenswerter als die unkontrollierte Abgabe über den Schwarzmarkt. Dort haben wir oft chemische aber auch organische Verunreinigungen, was da geschieht ist oft überhaupt nicht abzusehen und auch sehr gefährlich. Unter diesem Aspekt ist eine kontrollierte Abgabe einem Schwarzmarkt immer vorzuziehen.
Sind Sie der Meinung, dass genug Aufklärung betrieben wird, gerade für junge Menschen?
Nein. Wir sehen, dass insbesondere die kleinen Beratungsstellen, wie wir eine sind, große Schwierigkeiten haben, vernünftige Präventionsarbeit zu machen. Wir sind sehr mit unseren Basisaufgabe beschäftigt: Mit der Beratung von suchtkranken Menschen und mit der Vermittlung und Therapie. Eine vernünftige Präventionsarbeit ist uns kaum möglich. Die Situation der Suchtberatungsstellen ist prekär. Seit vielen Jahren gibt es keine Erhöhung des Landeszuschusses für Fachkräfte. Und das spüren wir natürlich.
Rechnen Sie mit einem noch größeren Ansturm auf die Suchtberatungsstelle nach einer Cannabis-Legalisierung?
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass es auf jeden Fall einen Mehrbedarf an Beratung geben wird. Die Konsummenge wird zuerst hochgehen und sich dann irgendwann einpendeln, aber auf einem höheren Niveau als bisher.
Wäre die Suchtberatungsstelle in Balingen für diesen anfänglichen Ansturm gewappnet?
Die Situation wird sich sicherlich verschärfen. Es wir längere Wartezeiten geben, als ohnehin schon. Die Kapazitäten sind überall eng und längere Wartezeiten werden sich sicherlich nicht verhindern lassen. Und das ist einfach eine sehr, sehr ungünstige Sache für alle von Sucht betroffenen Menschen.
Alkohol ist Hauptgrund
Die Fachstelle Sucht
der Diakonie in Balingen ist die einzige Suchtberatungsstelle im Zollernalbkreis. Im vergangenen Jahr hat die Einrichtung rund 600 Klientinnen und Klienten betreut. Das häufigste Suchtmittel ist Alkohol, Cannabis steht an zweiter Stelle.