Lebensversicherung-Altverträge sind für Versicherte wegen guter Verzinsung interessant – Anbieter sehen sie immer mehr als Problem. Foto: dpa

Die Neue Leben fragt als erster Versicherer im großen Stil ihre Lebensversicherten, ob sie hoch verzinsliche Policen vorzeitig beenden wollen. Verbraucherschützer warnen vor einer Kündigung.

München - Mit heute neu abgeschlossenen Lebensversicherungen ist wegen Dauerniedrigzinsen nicht mehr viel Staat zu machen. Ganz anders ist das oft mit Verträgen, die hier zu Lande vor 2005 abgeschlossen wurden, noch 3,5 oder gar 4,0 Prozent Verzinsung auf den Sparanteil der Beiträge garantieren und deren Auszahlung steuerfrei bleibt. So lukrativ solche Altverträge für Verbraucher meist sind, so sehr knabbern daran betroffene Versicherer, weil sie diese Altversprechen an heutigen Finanzmärkten immer schwerer erwirtschaften können. Die Talanx-Lebensversicherungstochter Neue Leben versucht diese Verpflichtungen nun aus den Büchern zu bekommen. Das rügen zumindest die Marktwächter Finanzen, ein Projekt der Verbraucherzentrale Bundesverband.

„Renten- und Lebensversicherer scheinen Kunden loswerden zu wollen, die im Besitz von Altverträgen sind“, sagt die auf Assekuranz spezialisierte Hamburger Marktwächterin Sandra Klug. Ihr liegt ein Schreiben der Neuen Leben an eine Lebensversicherte vor, in dem zu lesen ist: „Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, sich Ihr Guthaben früher auszahlen zu lassen?“ Danach werde die Summe genannt, die die Verbraucherin sofort stornoabschlagsfrei erhalten könne, wenn sie sich von ihrem Vertrag trennt. Ein entsprechendes Formular ist angefügt.

Kündigung macht nur Sinn, wenn Geld sofort benötigt wird

Klug kann darüber nur den Kopf schütteln. „Der Vertrag hat noch über drei Prozent Restlaufrendite“, hat sie ausgerechnet. Im konkreten Fall müsse die Neue Leben die hohen Garantiezinsen noch elf Jahre lang weiterbezahlen. So etwas vorzeitig zu kündigen, mache nur Sinn, wenn man das Geld sofort braucht. Im heutigen Zinsumfeld seien private Lebens- oder Rentenpolicen, die vor 2005 abgeschlossen wurden in aller Regel sehr lukrativ. Zum einen werden sie noch steuerfrei ausgezahlt, zum anderen haben sie oft Renditen, die sich mit ähnlich sicheren Finanzprodukten heute nicht mehr erzielen lassen. Dem vermeintlich fürsorglichen Schreiben der Neuen Leben lägen höchst eigennützige Motive zugrunde, finden die Marktwächter. Der Versicherer wolle nur eine teure Kundin loswerden. Das ist allerdings kein Einzelfall.

Insgesamt 30 000 Schreiben dieser Art hat die Talanx-Tochter 2016 an Lebensversicherte versendet oder tut es noch bis Jahresende, bestätigt Neue Leben. In dieser Dimension sei das bundesweit unter Lebensversicherern bislang einzigartig, sagt Klug und fürchtet eine beginnende Welle. „Neue Leben sind die Ersten – aber es werden nicht die Letzten sein“, prophezeit sie düster.

Massenschreiben an die Versicherten verschickt

Der Hamburger Lebensversicherer indessen sieht die Schreiben als Serviceangebot. Kunden hätten in letzter Zeit immer häufiger Fragen zur Flexibilität ihrer Verträge gestellt, erklärt ein Sprecher. Deshalb habe man sich zum Massenschreiben entschlossen. Das betreffe zwar in der Tat gezielt Altverträge von vor 2005 aber nicht nur klassische Kapitallebensversicherungspolicen sondern auch fondsgebundene Verträge und private Rentenpolicen. Zum Kündigen überreden wolle man niemand sondern nur informieren.

Aktiv kündigen könnten Lebensversicherer teuere Kunden ohnehin nicht, beruhigen die Marktwächter. Insofern sei die Lage anders als bei alten und ebenfalls hochverzinslichen Bausparverträgen, die branchenweit seit einiger Zeit von Bausparkassen trotz Verbraucherprotesten mit Erfolg gekündigt werden. Bei Lebenspolicen könne das nur der Versicherungsnehmer tun. Versicherer könnten ihm das nur schmackhaft machen.

Eine Möglichkeit, teuere Altverträge loszuwerden, ist für Unternehmen, sie zu verkaufen

Eine andere Möglichkeit, teuere Altverträge aus den Büchern zu bekommen, ist sie zu verkaufen. Auch dafür gibt es erste Fälle. So hat zuletzt die Arag angekündigt, ihr Lebensversicherungsgeschäft an die Frankfurter Leben weiterzureichen. Klug rät Verbrauchern, auch in solchen Fällen die Nerven zu behalten und sich nicht panikartig von lukrativen Altverträgen zu trennen. Denn nachträglich verschlechtern könne auch ein neuer Vertragspartner eine Lebenspolice nicht. Eine nachträgliche Absenkung alter Garantiezinsen wird zwar hinter den Kulissen immer wieder diskutiert, seit klar ist, dass die Zinsen noch lange niedrig bleiben werden und hochverzinsliche Altpolicen für manchen Versicherer immer mehr zum Problem werden. Ersthaft aufgegriffen wurden solche Vorschläge aber bislang in der Politik nicht.

Verbraucher freiwillig zur Kündigung zu verleiten, ist deshalb vorerst die aus Sicht der Assekuranz einfachste Möglichkeit, teuere Verträge loszuwerden. Wie verbreitet diese Praxis hier zu Lande schon ist, wollen die Marktwächter nun herausfinden. Einzelfälle anderer Lebensversicherer habe man auf dem Tisch, sagt Klug ohne Namen zu nennen. Die Marktwächter wollen es genauer wissen. Sie fordern deshalb Lebensversicherte bundesweit auf, Briefe von Versicherungsgesellschaften einzusenden, in denen ihnen eine vorzeitige Vertragsbeendigung vorgeschlagen wird. „Je mehr Verbrauchererfahrungen uns zu den Geschäftspraktiken einzelner Versicherer vorliegen, desto wirksamer und gezielter können wird darüber aufklären“, sagt Klug.