Der Höhepunkt der Inflation ist nach Einschätzung von Ökonomen noch nicht erreicht. Die Teuerungsrate dürfte noch einige Monate zweistellig bleiben.
Der Preisdruck steigt unerbittlich: Im Oktober hat die Inflationsrate laut einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamts 10,4 Prozent erreicht. Das sind noch einmal 0,4 Prozentpunkte mehr als im September. Und Entspannung ist vorerst nicht in Sicht: „Der Höhepunkt ist wohl noch nicht erreicht“, sagte Jan-Christopher Scherer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) unserer Zeitung.
Laut Statistischem Bundesamt kosteten Nahrungsmittel im Oktober satte 20,3 Prozent mehr als vor einem Jahr. Größter Preistreiber bleiben mit einem Plus von 43 Prozent aber die Kosten für Heizung, Strom und Sprit.
Kunden müssen sich auf steigende Rechnungen gefasst machen
Das dürfte sich so schnell nicht ändern: „Der Anstieg der Energiepreise ist noch nicht vollständig bei den Endkunden angekommen“, erläuterte Scherer. Schließlich geben Strom- und Gasversorger ihre hohen Beschaffungspreise mit Verzögerung an Unternehmen und Haushalte weiter. Dass es mit einer einmaligen Preiserhöhung oft nicht getan ist, zeigt das Beispiel der EnBW, die im Oktober zum dritten Mal in diesem Jahr ihre Gastarife anhob.
Zwar plant die Bundesregierung eine Gas- und eine Strompreisbremse. Doch der beispielsweise für private Gaskunden angedachte Preisdeckel von zwölf Cent je Kilowattstunde für 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs liegt über dem, was viele Haushalte noch bis vor einigen Monaten gezahlt haben. „Der wichtigste Effekt der geplanten Preisbremsen ist, dass sie Sicherheit schaffen. Verbraucher und Unternehmen können nun besser planen, was zum Beispiel Investitionen erleichtert und die Nachfrage stützt“, sagte Scherer. Der direkte Einfluss der Energiepreisbremsen auf die Inflationsrate halte sich hingegen in Grenzen.
2023 könnten sich die Energiepreise stabilisieren
Allerdings spreche viel dafür, dass die Energiekosten nach dem Winter nicht noch weiter stiegen, meint Scherer. Sollten sie sich auf hohem Niveau stabilisieren, so wäre ab dem Frühjahr ein langsamer Rückgang der Inflationsrate zu erwarten. Langsam deshalb, weil es natürlich noch andere Treiber gibt. So legen Unternehmen ihre gestiegenen Produktionskosten nach und nach auf die Preise für ihre Produkte und Dienstleistungen um.
Auch Produktionskürzungen erhöhen die Inflationsrate
Wo das nicht gelinge, werde nicht mehr rentable Produktion heruntergefahren, schreibt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer in einer Analyse. Das sei besonders in den energieintensiven Industrien zu beobachten. „Auch dies erhöht die Inflation, da die entsprechenden Güter knapper werden.“
Unter dem Strich erwartet DIW-Experte Scherer, dass die Inflationsrate 2023 im Jahresschnitt ähnlich hoch sein wird wie dieses Jahr. Die Bundesregierung rechnet für 2022 mit einem Mittelwert von acht Prozent. Doch während die Teuerungsrate am aktuellen Rand bereits höher ist und in den nächsten Monaten weiter steigen könnte, dürfte sie sich nächstes Jahr nach einem hohen Einstieg allmählich wieder zurückbilden.
Keine Rückkehr zum Zwei-Prozent-Ziel
Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer schätzt, die Inflationsrate könnte bis Ende 2023 sowohl in Deutschland als auch im Euroraum auf etwa vier Prozent sinken. Damit läge sie aber immer noch deutlich über dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) angestrebten Wert von zwei Prozent, hebt Krämer hervor.
Ein stärkerer Rückgang werde wohl unter anderem durch höhere Lohnabschlüsse verhindert werden: „Die Arbeitnehmer wollen zumindest einen Teil ihrer in den vergangenen beiden Jahren erlittenen Reallohnverluste wieder ausgleichen. Angesichts des angespannten Arbeitsmarkts haben sie auch gute Chancen, ihre Forderungen zu einem beträchtlichen Teil durchzusetzen“, schreibt Krämer.
Die EZB plant weitere Zinserhöhungen
Ist das schon eine Lohn-Preis-Spirale? Nein, meint der Chefvolkswirt der LBBW, Moritz Kraemer. Den jüngsten Tarifabschluss in der Chemie- und Pharmabranche, der eine dauerhafte Gehaltserhöhung um 6,5 Prozent nebst einer Einmalzahlung von 3000 Euro für alle Beschäftigten vorsieht, qualifiziert Kraemer als „moderat“.
Vor diesem Hintergrund hält Kraemer den aktuellen Kurs der Europäischen Zentralbank (EZB) für richtig, wenn sie auch viel zu spät auf die Inflation reagiert habe. Seit Juli hat die Notenbank ihren Leitzins um zwei Prozentpunkte angehoben. Bis zum Frühjahr wird sie nach Einschätzung der LBBW bei drei Prozent für den sogenannten Einlagezins landen, der Hauptrefinanzierunsgsatz stiege demnach auf 3,5 Prozent.
Die Bundesbank schritt härter ein
„Damit wird die EZB den Vorsprung der Inflation nicht einholen“, merkt der Kapitalmarkt-Experte der Baader-Bank, Robert Halver, an. Die EZB werde „nicht zum unnachgiebigen Stabilitätsgeist der Bundesbank zurückkehren“. Die Bundesbank hatte den Leitzins nach den Ölpreisschocks der 70er und 80er Jahre zeitweise auf bis zu 13 Prozent angehoben.
LBBW-Chefvolkswirt Kraemer indes meint, „aggressive Zinserhöhungen“ würden die drohende Rezession vertiefen und auch die Finanzstabilität gefährden.