Trümmer und viel Holz treiben in dem von Hurrikan Helene verursachten Hochwasser in Rutherford County, North Carolina. Foto: AP/dpa/Tariq Bokhari

Menschen ertrinken oder sterben in ihren kaputten Häusern: Tropenstürme sind oft tödlich. Die Langzeitfolgen solcher Stürme in den USA könnten noch viel schlimmer sein als die direkten Auswirkungen.

Der Sturm „Helene“ hat im Südosten der USA unmittelbar zahlreiche Todesopfer gefordert. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass in den kommenden Jahren noch Tausende weitere Tote hinzukommen könnten. Denn solche tropischen Wirbelstürme verursachten über lange Zeit eine erhöhte Sterblichkeit, heißt es in einer Studie, die in der Fachzeitschrift „Nature“ erschienen ist.

Stürme von 1930 bis 2015 ausgewertet

Die Forscher werteten Daten im Zusammenhang mit 501 Stürmen aus den Jahren 1930 bis 2015 aus. Computermodellen zufolge führten die Stürme in diesem Zeitraum zu 3,6 bis 5,7 Millionen Todesfällen, die es ohne die Naturkatastrophen nicht gegeben hätte.

Durchgeführt wurde die Studie von Solomon Hsiang von der Stanford University und Rachel Young von University of California in Berkeley, beide in den USA gelegen.

Trümmer und viel Holz treiben in dem von Hurrikan Helene verursachten Hochwasser des Lake Lure in Rutherford County, North Carolina, in der Nähe des Dorfes Chimney Rock, aus der Vogelperspektive eines Flugzeugs der North Carolina National Guard. Foto: AP/Gary D. Robertson/dpa

Weniger Krankenversicherung und Krankenhäuser als mögliche Gründe

Die beiden Wissenschaftler betonen zwar, dass sie keine Aussagen über die Ursachen der Übersterblichkeit machen könnten, stellen aber mehrere Hypothesen auf.

  • So könnten die Katastrophen dazu führen, dass Menschen ihren Job und damit ihre Krankenversicherung verlieren.
  • Oder sie geben Geld für die Reparatur von Häusern aus, das sie eigentlich für das Alter zurückgelegt hatten.
  • Auch könnten dem Bundesstaat wegen der Instandsetzung der Infrastruktur Geld für medizinische Einrichtungen fehlen.

„Zu Beginn dachten wir, dass wir möglicherweise einen hinausgeschobenen Effekt tropischer Wirbelstürme auf die Sterblichkeit um vielleicht sechs Monate oder ein Jahr beobachten könnten, ähnlich wie bei Hitzewellen“, erklärt Young. Doch in den Sterblichkeitsdaten waren erhöhte Werte im Durchschnitt bis 14 Jahre und vier Monate nach der Katastrophe sichtbar.

Ben Phillips (l) und seine Frau Becca Phillips kratzen in Marshall, N.C., den Schlamm aus dem Wohnzimmer ihres Hauses, das durch den Hurrikan Helene verwüstet wurde. Foto: AP/Jeff Roberson/dpa

Tausende Tote statt 24 Tote

Die Analyse erbrachte, dass ein Wirbelsturm im Durchschnitt zu 7170 bis 11.430 zusätzlichen Todesfällen führt – je nach Modellannahmen. Das ist erheblich mehr, als die Nationale Ozean- und Atmosphärenbehörde NOAA für direkte Todesfälle pro Wirbelsturm angibt: Demnach starben im Durchschnitt 24 Menschen direkt, etwa durch Ertrinken.

Aus den Modellberechnungen folgt, dass 15 Prozent aller Todesfälle bei Menschen im Alter von einem bis 44 Jahren in den USA (ohne Überseegebiete) im Zusammenhang mit einem Wirbelsturm stehen. Bei Kindern unter einem Jahr sind es demnach sogar 25 Prozent.

„Es handelt sich um Kinder, die erst Jahre nach einem tropischen Wirbelsturm geboren wurden, die also das Ereignis nicht einmal im Mutterleib erlebt haben können“, erläutert Young. Das deute darauf hin, dass Mütter selbst Jahre nach einer Katastrophe möglicherweise noch die Auswirkungen spürten.

Asheville: Ein Blick auf die Verwüstungen nach dem Hurrikan Helene. Der Governeur von North Carolina sprach von einem «historischen» Unwetter in der Region. Foto: AP/Mike Stewart/dpa

Stärke der Stürme nimmt stetig zu

Die Forscher stellten des Weiteren fest, dass die Windgeschwindigkeiten der Stürme von 1930 bis 2015 nicht zugenommen haben. Seit 2001 seien jedoch erheblich mehr tropische Wirbelstürme zu verzeichnen. „Wir gehen davon aus, dass tropische Wirbelstürme aufgrund des Klimawandels potenziell gefährlicher und zerstörerischer werden“, betont Young.

Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen hält das Vorgehen der beiden US-Forscher für plausibel. „Sie beschreiben ihren Ansatz sehr detailliert und transparent.“ Die wirtschaftlichen Zusammenhänge und gesundheitlichen Folgen seien bisher vermutlich kaum untersucht worden, weil sie große Datenmengen und komplexe Berechnungen erfordern.

Menschen fahren auf dem Rücksitz eines Pickups auf einer schlammbedeckten Straße nach dem Hurrikan Helene in Marshall, North Carolina. Foto: AP/Jeff Roberson/dpa

Warum Wirbelstürme immer stärker werden

Die Stärke tropischer Wirbelstürme in den vergangenen Jahren sprengt nach Ansicht von anderen Forschern die derzeit übliche Hurrikan-Windskala. Bislang reicht diese bis zur Kategorie 5, die Wirbelstürme mit Windgeschwindigkeiten ab 70 Metern pro Sekunde umfasst.

In den vergangenen Jahren hätten jedoch mehrere tropische Wirbelstürme eine Windstärke von über 86 Metern pro Sekunde gehabt, schreibt ein Wissenschaftlerteam in den „Proceedings“ der US-nationalen Akademie der Wissenschaften („PNAS“). Das entspricht über 309,6 Kilometern pro Stunde.

Batabano: Ein Kubaner in einem Kajak benutzt ein behelfsmäßiges Paddel, während er durch eine Straße fährt, die durch den Hurrikanüberflutet wurde. Foto: AP/Ramon Espinosa/dpa

Forscher: Neue Sturm-Kategorie 6 nötig

Eine Analyse von Daten aus den Jahren 1980 bis 2021 ergab demnach, dass fünf Stürme in die neue hypothetische Kategorie 6 eingestuft worden wären. Alle diese Stürme seien in den letzten neun Jahren der Datenreihe aufgetreten, schreiben Michael Wehner vom Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley und James Kossin von der University of Wisconsin–Madison.

Ein Grund für die Steigerung sei der Klimawandel und der damit einhergehende Anstieg der Meerestemperaturen. Dieser liefere zusätzliche Wärmeenergie für die Hurrikans, die somit stärker werden könnten.

Cedar Key: Die Zerstörung des Faraway Inn Cottages and Motel ist nach dem Hurrikan Helene zu sehen. Foto: AP/Stephen Smith

Extreme Stürme kein Einzelfall mehr

Ältere Klimamodellierungen ergaben nach Auskunft der Forscher, dass das Risiko von Wirbelstürmen der hypothetischen Kategorie 6 in der Region der Philippinen um 50 Prozent steigt, wenn die globale Erwärmung 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegt. Im Golf von Mexiko verdopple sich die Zahl dann sogar.

In der Vergangenheit sei bereits vorgeschlagen worden, dass der besonders zerstörerische Tropenwirbelsturm „Haiyan“ in eine Kategorie 6 aufgenommen werden sollte, erläutert das Team. „Aber ‚Haiyan‘ scheint kein Einzelfall zu sein.“

Die Forscher plädieren für eine Änderung der derzeit üblichen Saffir-Simpson-Hurrikan-Windskala, mit einer Kategorie 5 für Spitzenwindgeschwindigkeiten von 70 bis 86 Metern pro Sekunde und einer zusätzlichen Kategorie 6 darüber.

Info: Saffir-Simpson-Hurrikan-Wind-Skala

Messskala
Die Saffir-Simpson-Hurrikan-Wind-Skala wurde in den frühen 1970er-Jahren in den USA eingeführt. Seit 2010 werden die Winde in zehn Metern Höhe gemessen. Während Wirbelstürme sehr langsam ziehen, sind ihre rotierenden Winde sehr schnell.

Klassifizierung
Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) in Offenbach dient die Saffir-Simpson- Hurrikanskala Klassifizierung von Hurrikanen. Die beiden Meteorologen Herbert Saffir und Bob Simpson hatten sie im Jahr 1969 beim U.S. National Hurrikan Center eingeführt. Die Skala ist in fünf Kategorien eingeteilt und gibt Auskunft über:

• Windgeschwindigkeit

• Luftdruck

• Anstieg Wasserspiegel

Kategorien

• Tropische Depression: 46-62 km/h

• Tropischer Sturm: 63-118 km/h

• Kategorie 1 (schwach): 119-153km/h

• Kategorie 2 (mäßig): 154-177 km/h

• Kategorie 3 (stark): 178-208 km/h

• Kategorie 4 (sehr stark): 209-251 km/h

• Kategorie 5 (verwüstend): mehr als 251km/h

Mögliche Schäden

Kategorie 1: Schäden an Bäumen, Wohnwagen, mögliche Überschwemmungen von Küstenstraßen und leichte Schäden an Hafenanlagen.

Kategorie 2: Bäume knicken um, stärkere Schäden an Wohnwagen, Beschädigungen an Dächern, Fenstern und Türen von Gebäuden.

Kategorie 3: Strukturelle Schäden an kleineren Gebäuden, große Bäume werden umgeknickt, Überflutungen in Küstennähe.

Kategorie 4: Starke Schäden an Wänden und Dächern von größeren Gebäuden, alle Bäume und Sträucher werden umgeweht, Küstengebiete, die niedriger als 3 m über dem Meeresspiegel liegen, werden überflutet.

Kategorie 5: Häuser und Brücken werden zerstört, kleine Gebäude vollständig um- oder weggeweht, Schiffe werden Hunderte von Metern an Land geworfen. Küstengebiete niedriger als 5 Meter über dem Meeresspiegel sind bis 16 Kilometr landeinwärts überschwemmt.