Stadt gibt Sozialcharta für LBBW-Wohnungen bekannt – Finanzminister Schmid widerspricht.
Stuttgart - Die Zwistigkeiten um den Verkauf der 21.500 LBBW-Wohnungen haben einen neuen Höhepunkt erreicht: Während Stadt und die neue Besitzerin Patrizia AG eine verbesserte Sozialcharta verkünden, hält Finanzminister Nils Schmid diese Regelung für „nichts Neues“.
Der Konflikt um die Zukunft der 21.500 LBBW-Wohnungen und ihrer 60.000 Mieter wird immer heftiger. Nachdem das Baden-Württemberg-Konsortium um die Stadt Stuttgart im Bieterverfahren der Augsburger Patrizia AG unterlegen war, hatte die Stadt Gespräche mit dem neuen Besitzer aufgenommen. Ziel: Der Mieterschutz sollte über den von der Landesbank in einer Sozialcharta festgelegten hinausgehen.
Am Freitagmittag verkündeten Stadt und Patrizia dann Vollzug – um am Abend Widerspruch von Finanz- und Wirtschaftsminister Nils Schmid (SPD) zu ernten. Aber der Reihe nach. Stadt und Patrizia geben am Freitag bekannt, man habe sich geeinigt. In mehreren Gesprächen habe sich Patrizia bereit erklärt, die von der Landesbank vorgeschriebene Sozialcharta deutlich auszuweiten. So soll es einen besseren Mieterschutz und höhere Investitionen für die Instandhaltung geben. Auch Verkäufe in großem Umfang sind demnach für Jahrzehnte ausgeschlossen.„60.000 Mieter in Baden-Württemberg können jetzt ruhiger schlafen“, sagt Oberbürgermeister Wolfgang Schuster erleichtert.
Die überraschende Attacke von Nils Schmid
Von vielen Seiten, nicht zuletzt vom Mieterbund, war zuvor die Befürchtung geäußert worden, Patrizia könnte in großem Umfang Mieten erhöhen oder Wohnungen verkaufen. Auch die Stadt selbst hatte mit Empörung auf den Zuschlag reagiert, hatte das Baden-Württemberg-Konsortium nach eigener Aussage doch wesentlich mehr Mieterschutz geboten, allerdings weniger Geld.
Die Töne aus dem Rathaus Richtung Augsburg klingen versöhnlich. Der Patrizia-Vorstandsvorsitzende Wolfgang Egger habe sich sehr kooperativ gezeigt, sagt Schuster. Die Stadt werde definitiv nicht wie zunächst von Patrizia angeboten mit einem zehnprozentigen Anteil einsteigen. Vielmehr habe sich das Unternehmen auf eine freiwillige soziale Selbstbindung eingelassen. „Das war nicht selbstverständlich. Es ist ein Zeichen dafür, dass Patrizia langfristig orientiert ist und partnerschaftlich in der Region agieren will“, sagt Schuster. Mit dem Verhandlungsergebnis habe man die Ziele für Mieter und Wohnungen im Wesentlichen erreicht.
Am Abend dann die überraschende Attacke von Nils Schmid: Der Finanzminister meldet sich und äußert Verwunderung über die Mitteilung von Stadt und Patrizia. Schuster „schmücke sich mit fremden Federn“, die Vereinbarungen seien „nichts Neues“. Man habe bereits bei der entscheidenden Aufsichtsratssitzung der Landesbank gewusst, dass Patrizia Zusagen gemacht habe, die über die Sozialcharta hinausgehen. „Deshalb haben wir ja auch guten Gewissens dem Verkauf zugestimmt“, sagt Schmid.
Der Mieterbund bleibt dennoch skeptisch
Bei der Stadt ist man über die Äußerungen des Ministers erstaunt. „Das wundert mich“, sagt der Erste Bürgermeister Michael Föll. Die jetzt getroffene Vereinbarung gehe nach Wissen der Stadt weit über die ursprünglichen Zusagen hinaus. Dafür spricht auch die Tatsache, dass sie nochmals mit der Landesbank und der mit dem Verkauf betrauten Investmentbank Leonardo abgestimmt worden ist. Auch Patrizia hatte stets einen geringeren Mieterschutz verkündet als in der jetzt vorgestellten erweiterten Sozialcharta.
Die Vereinbarung sieht laut Stadt vor, dass Kündigungen wegen Eigenbedarfs oder einer wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks für 20 Jahre ausgeschlossen sein sollen. Ursprünglich sollten es nur zehn sein. Patrizia verpflichtet sich, in den nächsten zehn Jahren 98 Millionen Euro mehr in Instandhaltung, Modernisierung und energetische Sanierung zu stecken als ursprünglich vorgesehen. Mieterhöhungen danach sind begrenzt. Falls Fördergelder für die 7500 öffentlich geförderten Wohnungen zurückgezahlt werden, bleiben Belegungsrechte der Kommunen 16 Jahre lang bestehen. Und zuletzt muss Patrizia in den nächsten 20 Jahren einen Kernbestand von mindestens 18.000 Wohnungen behalten. Die erweiterte Sozialcharta wird als Zusatz im Kaufvertrag festgehalten, die Einhaltung jährlich überprüft.
Der Mieterbund bleibt dennoch skeptisch. „Das hört sich zunächst gut an, ich kann aber nichts Verbindliches finden, sondern nur Absichtserklärungen“, sagt der Landesvorsitzende Rolf Gaßmann. Schwammige Formulierungen ließen Raum für Interpretationen. Die Stadt bekräftigt dagegen, die Klauseln seien verbindlich. Dennoch fährt sie weiter zweigleisig. Um Spekulationen mit den Eisenbahnerwohnungen am Nordbahnhof zu verhindern, soll eine Erhaltungssatzung für das Viertel her. Schuster will dem Gemeinderat „in Kürze einen Vorschlag vorlegen“.