Innungsobermeister Hans-Georg Ehret, Bauernverbandsvorsitzender Gerhard Fassnacht und der umweltpolitische Sprecher Raimund Haser (von links) bei der Podiumsdiskussion. Foto: Arbeitskreis Landwirtschaft

Eine lebhafte Diskussionen um die Zukunft der Landwirtschaft gab es jetzt beim Strategiedialog in Wildberg. Die Situation im Kreis Calw ist gekennzeichnet von einem starken Rückgang – sowohl bei den Betrieben als auch bei den Tierzahlen.

 
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Die Landwirtschaft ist seit vielen Jahrzehnten in einem tiefgreifenden Wandel begriffen. In den vergangenen Jahren haben die Veränderungen nochmals deutlich an Dynamik gewonnen. Von 2005 bis 2020 hat jeder dritte landwirtschaftliche Betrieb in der EU aufgegeben. Auch in Baden-Württemberg sind es nicht mehr nur Höfe an der Schwelle des Generationenwechsels, die überlegen, aus der Lebensmittelproduktion auszusteigen.

Die Frage, wie es mit der heimischen Landwirtschaft weitergeht, treibt offensichtlich viele Betroffene in der Region um, wie der große Zuspruch zu der Veranstaltung „Strategiedialog BW – Perspektive für die heimische Landwirtschaft?“ zeigte. Eingeladen hatte zu dieser Veranstaltung mit verschiedenen Referenten aus Politik, Landwirtschaft und Lebensmittelhandwerk der Arbeitskreis Landwirtschaft/Ländlicher Raum Calw-Freudenstadt unter der Leitung von Angelika Holzäpfel.

Staatssekretärin Sabine Kurtz aus dem Ministerium ländlicher Raum wies darauf hin, wie wichtig es sei, dass alle beteiligten Akteure miteinander das Gespräch suchen.

Kritik: Zu wenige Landwirte dabei

Der agrarpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Klaus Burger, stellte die verschiedenen Arbeitsgruppen des vom Staatsministerium auf Landesebene initiierten Strategiedialogs vor. Die beiden in diesen Strategiedialog eingebundenen Landwirte, Christian Coenen (Vorsitzender von „Land schafft Verbindung“ Baden-Württemberg) und Marc Berger (Bad Liebenzell) berichteten von der Arbeit in ihrer jeweiligen Gruppe. Dabei kritisierten sie die aus ihrer Sicht einseitige Besetzung. So ist in der Arbeitsgruppe, die sich mit Modellprojekten und Reallaboren befasst, unter den 25 Teilnehmenden nur ein aktiver Landwirt.

Auch die drei anwesenden Landtagsabgeordneten wünschten sich eine stärkere Einbeziehung der Erzeuger. In erster Linie gehe es um deren Zukunft. So betonte der umweltpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Raimund Haser, die große Bedeutung der baden-württembergischen Landwirtschaft sowohl bei der Ernährungssicherung als auch beim Naturschutz. Für beides brauche es die Bauern.

Dagmar Hämmerle, die Leiterin des Landwirtschaftsamts Calw, stellte die aktuelle Situation der Landwirtschaft im Kreis Calw vor. Diese sei gekennzeichnet von einem starken Rückgang sowohl bei den Betrieben als auch bei den Tierzahlen.

Anbaufläche geht verloren

Weiter verloren die Bauern im Kreis Calw innerhalb der vergangenen 30 Jahre zehn Prozent ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche. Dabei leisteten die heimischen Landwirte heute schon einen großen Beitrag zum Umwelt- und Artenschutz. Zwei Drittel des Grünlands werde extensiv bewirtschaftet, auf 60 Prozent der Ackerfläche würden biodiversitätsfördernde Maßnahmen erbracht. Der Viehbesatz liegt weit unter dem Bundesdurchschnitt.

Trotzdem kämpfen auch die Landwirte im Bereich des Bauernverbands Nordschwarzwald-Gäu-Enz mit gesellschaftlichen Vorbehalten und ständig steigenden Auflagen, wie der Vorsitzende Gerhard Fassnacht schilderte. Kommen die beiden EU-Verordnungen zum Pflanzenschutz und zur Wiederherstellung der Natur wie geplant, dann bedeute dies das Aus für die meisten Betriebe. Wenn man die Messlatte immer höher lege, würden irgendwann auch die besten nicht mehr drüber kommen, so Fassnacht.

Schweinefleisch wird importiert

Ein eindrückliches Beispiel ist der Schweinemarkt, bei dem die Selbstversorgung in Baden-Württemberg innerhalb weniger Jahre von einem Überschuss auf einen Selbstversorgungsgrad von gegenwärtig circa 40 Prozent eingebrochen ist. Hier greifen mehrere Faktoren ineinander, wie der Obermeister der Fleischerinnung Calw, Hans-Georg Ehret, aufzeigte. Auch das Schließen von nahe gelegenen Schlachtstätten und daraus resultierend lange Transportwege sowie das Fehlen von Arbeitskräften, wie bspw. im Fleischerhandwerk, seien Gründe, warum immer mehr Ställe leer blieben.

Die Organisatorinnen Margit Gärtner (Wildberg), Engül Köhler (Egenhausen) und Angelika Holzäpfel sicherten zu, dass es eine Fortsetzung des Dialogs geben wird. Wer Interesse an den vorgestellten Zahlen hat, kann sich unter angelika.holzaepfel@t-online.de an die Koordinatorin des Abends wenden.

Die Situation im Kreis Calw

Derzeit gibt es im Kreis Calw noch 520 landwirtschaftliche Betriebe, 80 Prozent davon werden im Nebenerwerb geführt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche (LN) setzt sich zusammen aus 7900 Hektar Acker- und 9600 Hektar Grünland. Seit 1993 hat sich diese Fläche um 2500 Hektar reduziert. 20 Prozent der LN wird ökologisch bewirtschaftet, auf 60 Prozent der Ackerfläche werden biodiversitätsfördernde Maßnahmen wie zum Beispiel Blühstreifen und vielfältige Fruchtfolge erbracht. Der Rinderbestand hat sich innerhalb von 40 Jahren fast um die Hälfte reduziert. Der Selbstversorgungsgrad bei Rindfleisch beträgt heute noch 47 Prozent (Schwein fünf Prozent), bei Milch und Milchprodukten sind es 33 Prozent.