Nils Schmid kommt zur Wahlparty nach Stuttgart. Zum Feiern ist dem SPD-Landeschef nicht zumute. Auf dem Bildschirm links ist der Sieger von Grün-Rot zu sehen. Foto: Deck

Prominente Genossen wie Fraktionschef Claus Schmiedel verlieren ihre Mandate. Mitglieder wollen Wahlschlappe analysieren.

Stuttgart - Für einen Augenblick wird es ganz still im Saal. Eine Art Schockstarre erfasst die Gäste im SPD-Hauptquartier im Neuen Schloss, als um 18 Uhr die erste Wahlprognose über den Bildschirm läuft: Voraussichtlich 13 Prozent der Wähler haben demnach der Südwest-SPD ihre Stimme gegeben, das sind zehn Prozentpunkte weniger als vor fünf Jahren. Schon damals waren es so wenige wie nie zuvor. Dass es noch schlimmer kommen könnten, hatte sich seinerzeit niemand vorstellen können – in ihrer besten Zeit, 1972, hatten die Sozialdemokraten 37 Prozent geholt.

"Es ist ein bitterer Tag", sagt Nils Schmid, als er eine halbe Stunde später in der Alten Kanzlei vor die Genossen tritt, die ihn mit langem Beifall empfangen. Das Ergebnis sei schmerzhaft, von der guten Arbeit der grün-roten Koalition hätten allein die Grünen profitiert. Die landespolitischen Themen hätten im Wahlkampf keine Rolle gespielt, das Thema Flüchtlinge alles überlagert. Jetzt sei es Aufgabe von Kretschmann und den Grünen, eine Regierung zu bilden.

Für eine Fortsetzung der grün-rote Koalition reicht es künftig nicht mehr. Statt 35 werden nur noch 19 SPD-Abgeordnete im Landtag sitzen, prominente Mitglieder wie Fraktionschef Claus Schmiedel und Sozialministerin Katrin Altpeter haben ihre Mandat verloren. Das einzige bisherige Direktmandat in Mannheim I ging an die Alternative für Deutschland, die viele Stimmen von der SPD abgezogen hat, ebenso wie die Grünen. Mit 22,2 Prozent ist der Mannheimer SPD-Kandidat Stefan Fulst-Blei Stimmenkönig unter den Sozialdemokraten, gefolgt von Kultusminister Andreas Stoch mit 19,4 Prozent im Wahlkreis Heidenheim.

"Es ist der bitterste Tag in meiner politischen Laufbahn", sagt Innenminister Reinhold Gall. Dass die Leistungen der SPD so wenig honoriert würden, sei unbegreiflich. "Wir müssen das Ergebnis in aller Ruhe analysieren."

Viele Genossen hatten auf ein Wunder gehofft, wie 2011 – auch damals lag die SPD in Umfragen zeitweise unter 20 Prozent, erholte sich aber wieder und landete bei 23,1 Prozent. Das reichte für ihren damaligen und heutigen Spitzenkandidaten Nils Schmid nicht, um Ministerpräsident zu werden – aber die 58 Jahre währende CDU-Vorherrschaft war gebrochen. Grüne und SPD wollten auf Augenhöhe miteinander regieren – mit seinem Superministerium für Finanzen und Wirtschaft wollte Schmid seine Partei eigentlich zur Nummer eins machen. Die Rechnung ist nicht aufgegangen – künftig ist sie Nummer vier. Für den 42-jährigen Landeschef könnte es eng werden. Welche Rolle wird Nils Schmid spielen, falls die SPD nicht mehr an einer Regierung beteiligt ist?

Der Fraktionsvorsitz wird zwar frei, weil Claus Schmiedel, der bisherige Chef der Landtagsfraktion, den Einzug in den Landtag verpasst hat. Aber viele Landtagsabgeordnete sind auf Schmid nicht gut zu sprechen, machen ihn für das Wahldebakel verantwortlich, weil er sich anfangs über Warnungen hinweggesetzt und die Weichen falsch gestellt habe – etwa bei der Entscheidung für eine Kultusministerin, die mit den geplanten Bildungsreformen überfordert war und Anfang 2013 gehen musste. Ihr Nachfolger Andreas Stoch gilt ebenso als Anwärter für den Fraktionsvorsitz wie Innenminister Reinhold Gall oder Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hofelich.

Über mögliche Koalitionen mag am Abend noch keiner reden. In einer Regierung mit Grünen und FDP bliebe wenig Spielraum, sich zu profilieren. Aber auch in der Opposition wird das schwierig – die AfD dürfte alles daran setzen, um sich lauthals bemerkbar zu machen. Und die CDU-SPD-FDP-Koalition, die CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf auch nach der Wahlschlappe unverdrossen ins Gespräch bringt? "Die Grünen haben das Mandat zur Regierungsbildung, nicht die CDU."

Die SPD werde sich auf eine Koalition mit CDU und FDP nicht einlassen, sagen manche Genossen. Es gehe nicht ums Regieren um jeden Preis, sondern darum, sich und anderen klarzumachen, was ihr eigentliches Ziel sei, um Wähler wieder zurückzugewinnen. Ihr Anspruch, alle Schichten zu vertreten, sei nicht angekommen, sagt Fraktionschef Claus Schmiedel.

Die SPD müsse sich wieder mehr um Sozialpolitik und die Besteuerung von Vermögen sowie um Friedenspolitik kümmern, sagt Karl Bayer, seit mehr 50 Jahren Mitglied der SPD. Studentin Jasmin Meergans trat vor drei Jahren der Partei bei, weil sie dort Werte wie Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität am besten vertreten sah. Beide erwarten nach diesem Ergebnis, dass die Partei nicht einfach zur Tagesordnung übergeht.