SPD-Chef Sigmar Gabriel, die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und stellvertretende SPD-Vorsitzende Hannelore Kraft und SPD-Fraktionsvorsitzender Thomas Oppermann (von links) treten kurz nach den ersten Hochrechnungen im Willy-Brandt-Haus vor die Mikrofone. Foto: Gabbert

Wahl-Reaktionen: Merkel gerät unter Druck. Gabriel denkt nicht an Rücktritt. Grüne und AfD im Hochgefühl.

Berlin - Die gestrigen Landtagswahlen in drei Bundesländern haben im politischen Berlin ein mittleres Erdbeben ausgelöst. Der konservative Flügel der Christdemokraten dringt auf ein Schließen der rechten Flanke, die SPD leckt ihre Wunden und verweist auf das gute Ergebnis in Rheinland-Pfalz, die FDP sieht sich im Aufwind und die Grünen jubeln über ihren Sieg in Baden-Württemberg. Und die AfD findet plötzlich moderatere Töne.

In der Kanzlerpartei stehen quälende Debatten bevor. Angela Merkel wird dabei stärker Rücksicht nehmen müssen. Noch sieht es so aus, als könne sie persönlich den Sturm überstehen. Natürlich hat Angela Merkel das alles kommen sehen. Beeinflusst hat das ihren Kurs kaum. Was sie von dem nun schon in ersten Wellen heran brandenden Unmut hält, hat sie schon vor einigen Tagen in interner Runde formuliert. "Zeitverschwendung." So sieht sie es. So nüchtern.

Doch schon die heutige Vorstandssitzung verspricht heftig zu werden. Dort, wo der Widerstand gegen ihren Kurs stets besonders deutlich war, schlagen die Wellen nun besonders hoch. In der Südwest-Landesgruppe der Unionsfraktion im Bundestag hatte es seit Monaten Widerstand gegen den Flüchtlingskurs der Kanzlerin gegeben. Die Kritiker fühlen sich nun bestätigt.

Joachim Pfeiffer, der Waiblinger Bundestagsabgeordnete und wirtschaftspolitische Sprecher der Fraktion, fordert eine schonungslose Analyse der Lage der Union. "Schönreden hilft jetzt nicht mehr weiter", sagt er. Das ist nicht aus der frischen und schneidenden Südwest-Wut heraus gesagt. Pfeiffers Analyse wird in einer größeren Parteiströmung vollkommen geteilt.

Und die SPD? Seit Schlag 18 Uhr wissen sie im Willy-Brandt Haus zumindest, dass Sigmar Gabriel bleiben wird, was er ist: Parteichef. Der SPD-Vorsitzende hat sich mit zahlreichen Spitzengenossen an seiner Seite vom sechsten Stock der Parteizentrale aufgemacht hinunter ins Foyer. Um 18.30 Uhr steht Gabriel im Scheinwerferlicht, an einem Wahlabend "mit ganz unterschiedlichen und gemischten Gefühlen". Denn der Last-Minute-Sieg für Dreyer ist auch ein Sieg für Gabriel – trotz der sonst schlechten Ergebnisse für die SPD.

Die Stimmung unter den Genossen ist nachdenklich. Sind 13 Prozent in Baden-Württemberg oder rund zwölf Prozent in Sachsen-Anhalt noch genug für eine Volkspartei? Aber Gabriel genügt der Wahlsieg Dreyers, wo die Ministerpräsidentin doch eine "Politik der gespaltenen Zunge entlarvt" habe. Spekulationen, Gabriel könnte den Parteivorsitz hinwerfen, sollte die SPD Rheinland-Pfalz verlieren, wo sie seit 25 Jahren regiert, sind durch das Wahlergebnis überholt.

Der Erfolg von Winfried Kretschmann rückt derweil die Grünen in der Bundespolitik stärker in die Nähe von Angela Merkel. Dies wird Folgen haben, wenn es demnächst auf Bundesparteitagen darum geht, den Kurs für den nächsten Bundestagswahlkampf festzulegen. 2013, also beim letzten Mal, hatten vor allem bei Steuer- und Umverteilungsfragen dem linken Parteiflügel angehörende Grüne eine Programmatik durchgedrückt, die bei bürgerlichen Wählern für Befremden gesorgt hatte. Klar dürfte sein, dass die Grünen 2017 nicht mehr mit der Forderung nach der Wiedereinführung der Vermögensteuer in den Wahlkampf ziehen werden.

Freude auch bei der FDP. Selten hatten die Liberalen seit der Bundestagswahl 2013 so viel Grund zum Jubeln wie am gestern Abend. Parteichef Christian Lindner wurde bei seinem kurzen Auftritt in der Berliner Parteizentrale mit großen Applaus empfangen.

Im Hochgefühl ist die AfD. "Wir befinden uns auf der Siegerstraße", ruft Vorsitzende Frauke Petry ins Mikrofon. "Frauke, Frauke", jubeln ihre Parteifreunde. Sie sind wie im Taumel. Immer höher klettern die blauen Balken, die den Stimmenanteil der rechtspopulistischen AfD bei den Landtagswahlen im Südwesten und in Sachsen-Anhalt anzeigen. Dass das Regieren in den drei Bundesländern jetzt schwieriger wird, weil die AfD so gut abgeschnitten hat, quittieren die Rechten mit einem Achselzucken.