Eine Stimme hatten die Wähler zu vergeben: Die meisten, 20.356, erhält im Wahlkreis 43 Calw Thomas Blenke (CDU). Foto: Fritsch

Duell unter Gechingern: Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Thomas Blenke (CDU) und Johannes Schwarz (Grüne) prägt den Wahlabend. Fast bis zum Ende der Auszählung muss Blenke warten, bis klar ist, dass er das Direktmandat im Wahlkreis 43 Calw wieder errungen hat.

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Kreis Calw - Wahlpartys gibt es am Sonntagabend wenn, dann nur virtuell. Für die Landtagskandidaten war es trotzdem ein ereignisreicher Abend.

CDU: knapper Sieg

Den Wahlabend verbringt Thomas Blenke im Landtag. Die gute Nachricht für den Gechinger ist die, dass er das Direktmandat im Wahlkreis Calw einmal mehr errungen hat. Wie seit jeder Wahl seit 2001. "Das war mein Ziel und Anspruch." Das Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem Grünen Johannes Schwarz hätte allerdings kaum knapper ausfallen können. Blenke kommt am Ende auf 28,8 Prozent und damit 20 356 Stimmen, Schwarz auf 27,1.

Blenke lebt in Gechingen, Schwarz stammt von dort: Auch in der Gemeinde liegt der CDU-Mann nur einen guten Prozentpunkt vor dem Grünen, 2016 waren es noch fast 23 Prozent. "Das ist völlig okay für mich", er gönne Schwarz das gute Ergebnis. Am landesweitem Ergebnis der CDU jedoch kann auch Blenke nichts Positives finden. "Gratulation an Herrn Kretschmann." Für den Unionspolitiker ist klar, dass das Ergebnis der Grünen vor allem auf das Konto des Ministerpräsidenten geht. Gleichzeitig will er das miserable Abschneiden seiner Partei zumindest am Sonntagabend nicht Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann anhängen. "Das Ergebnis von uns ist multikausal."

Die Maskenaffären, bei der sich CDU-Bundestagsabgeordnete bereichert haben, habe der Union den Rest gegeben. Blenke sagt, er sei genauso empört darüber wie alle Bürger. Wie es nun weitergeht? Bei Gesprächen mit Bürgern habe er in den vergangenen Wochen immer wieder mitbekommen, dass die Menschen erwarten, dass Grün-Schwarz weitermacht. "Deshalb gehe ich noch einen Schritt weiter und appelliere an die Grünen, den Wählerwillen zu akzeptieren!"

Grüne: fast Abgeordneter

Noch ganz entspannt ist Johannes Schwarz am Anfang der virtuellen Wahlparty der Grünen. Er sitzt unter einem Sonnenschirm mit Parteilogo und lächelt in die Kamera. Als kurz nach 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme flimmert, wird das Grinsen des 50-jährigen Stammheimers immer breiter. Doch eine Stunde später hält es dann auch den sonst so entspannten Schwarz nicht mehr auf dem Stuhl: Das Kopf-an-Kopf-Rennen mit Thomas Blenke geht in die heiße Phase. Dobel, Wildberg, Simmozheim – Minute für Minute lesen die Parteifreunde die Wahlergebnisse aus den einzelnen Kommunen vor. Und immer wieder die gleiche Reaktion: Dass man dort nur so knapp hinter oder sogar vor der CDU liegt, hätte man vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten. "Hat jemand Bilder vom Blenke? Der sitzt doch jetzt auf heißen Kohlen", ruft einer ins Mikrofon.

Kurz vor 20 Uhr zeichnet sich ab: Es hat um Haaresbreite nicht gereicht. "Ich habe schon mit der Situation geliebäugelt, Abgeordneter zu sein", sagt Schwarz. Noch bevor das endgültige Wahlergebnis von Ostelsheim feststeht, das letzte im Kreis Calw, gibt sich der Architekt geschlagen und spricht in die Kamera: "Natürlich ist das eine kleine Enttäuschung. Aber wir haben im Kreis Calw mehr hinzugewonnen als die Grünen im Landesdurchschnitt. Und die AfD wurde im Kreis Calw mehr zurückgefahren als im Landesdurchschnitt, auch wenn sie immer noch zu viele Stimmen hat." Über das Landesergebnis der Grünen sei Schwarz "hocherfreut" und unterstreicht: "Die Grünen haben sich voll etabliert."

AfD: Klauß ist wohl drin

Verloren und doch gewonnen: Die AfD hat mit 9 521 Stimmen, was 13,5 Prozent entspricht, im Wahlkreis Calw deutlich schlechter abgeschnitten als noch 2016. Damals kam sie auf 19,1 Prozent. Dennoch schafft es Miguel Klauß offenbar in den Landtag: Nach eigenen Angaben hat er ein Zweitmandat errungen. Laut dem Vollmaringer gibt es im Regierungsbezirk Karlsruhe für die AfD vier oder fünf Sitze zu verteilen. Er liege stimmenmäßig auf Platz zwei. Damit wäre er gewählt. Sein Vorgänger als AfD-Kandidat im Wahlkreis 43, Heinrich Kuhn, kam vor fünf Jahren genauso in den Landtag. Trotzdem sei die Wahl "nicht optimal gelaufen". Landesweit kommt die Partei lediglich auf 10,1 Prozent. Seine Erklärung: Zu Beginn der Corona-Pandemie habe sie ihren Kurs noch nicht gefunden gehabt.

"Erschreckend" findet Klauß, der bei einem großen Autohersteller arbeitet, vor allem das starke Ergebnis der Grünen: "Ich mache mir Sorgen um die Automobilindustrie." Zudem schmerze, dass die AfD hinter die SPD gefallen sei. Für Miguel Klauß ist klar: "Wir müssen eine Topp-Arbeit leisten." Die Zeiten, in denen die AfD-Landtagsfraktion vor allem wegen interner Streitereien aufgefallen ist, sollen vorbei sein. Bei der Wahl 2012 seien noch Leute hineingespült worden, die vorher niemand kannte. Die neue Fraktion wird laut Klauß "deutlich besser und professioneller".

FDP: ein Ziel erreicht

Herbert Müller hat eins seiner Ziele gerade so erreicht: Ein zweistelliges Ergebnis wollte er einfahren, mit zehn Prozent (7088 Stimmen) ist ihm dies knapp gelungen. Im Vergleich zur Wahl 2016 hat er sich um fast zwei Prozent verbessert. "Ich bin zufrieden", sagt er. "Das ist auf jeden Fall ein Erfolg." Ob er es über ein Zweitmandat in den Landtag schafft? Das kann der Nagolder am Sonntagabend noch nicht sagen, zumal er im Regierungsbezirk mit Kandidaten konkurriere, die auf 17 oder 18 Prozent Stimmenanteil kommen. "Ich rechne jetzt erst einmal nicht damit. Wenn es doch so sein wird, freut es mich umso mehr."

Dass die Liberalen Regierungsverantwortung übernehmen möchten, das habe die Partei klar gesagt, meint Müller. Jetzt sei Winfried Kretschmann am Zug.

SPD: zu unbekannt?

Sichtlich geknickt ist Philipp Göhner am Wahlabend. Zwei Ziele hatte sich der erst 25 Jahre alte Kandidat der SPD gesetzt: ein zweistelliges Ergebnis und vor der AfD landen. Beide verpasst der in Bad Liebenzell lebende Verwaltungsbeamte – deutlich. Die AfD holt im Kreis Calw sogar fast doppelt so viele Stimmen wie die SPD. "Mich erschreckt dieses hohe Ergebnis der AfD. Da müssen wir alle uns als demokratische Parteien Gedanken machen", fordert Göhner. Das schlechte Abschneiden der SPD im Kreis Calw hat für den 25-Jährigen mehrere Gründe. Göhner räumt ein: Es habe auch an seiner eigenen Person gelegen. "Ich bin gegen Kandidaten angetreten, die einen deutlich höheren Bekanntheitsgrad haben", bedauert der Sozialdemokrat. Sich aus der Politik zurückziehen will Göhner aber nicht: "Ich will mich weiter einbringen. Mein großer Wunsch ist, dass wir im Kreis Calw aus diesem Tief herauskommen."

 Freie Wähler: bis 2026!

Martin Handel, Kandidat der Freien Wähler, kommt auf Anhieb im Landkreis Calw auf 6,1 Prozent der Stimmen, was 4305 Kreuzchen entspricht. Seine Partei dagegen scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde und schafft es mit 3,3 Prozent nicht ins neue Parlament. Handel kann dennoch zufrieden sein. "Mir geht’s gut", sagt er und ist gerade dabei, zu versuchen, sich via Zoom in die landesweite Wahlparty der Freien Wähler einzuloggen. Das Problem sei ja gewesen, dass sich die Freien Wähler (FW) nicht einig waren. Der FW-Landesverband will sich nur kommunalpolitisch engagieren, während die FW-Landesvereinigung auf Bundes- und Landesebene antritt. Auch die Calwer FW-Kreistagsfraktion hatte sich erst kürzlich öffentlich von der Partei distanziert. Dass Handel ebenfalls für die Freien Wähler im Kreistag sitzt, ist für ihn kein Problem. Doch ohne diese Querelen, meint der Chefarzt der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in Calw, hätte es wohl für den Einzug in den Landtag reichen können.

Für Martin Handel ist sein persönliches gutes Abschneiden im ersten Anlauf und auch das seiner Partei etwas, auf dem man aufbauen kann. "Ein Probelauf", sagt er. Und die Grundlage, um es in fünf Jahren wieder zu probieren.

Linke: plus 0,5 Prozent

Ein halber Prozentpunkt mehr in Baden-Württemberg, ein halber Prozentpunkt mehr im Kreis Calw: Linken-Kandidat Erhard Hofmann gibt sich am Wahlabend zufrieden. "Respektabler Zuwachs", findet der Calwer Stadtrat, der vor der Landtagswahl allerdings mit "fünf Prozent plus" gerechnet hatte. Hofmann räumt daher ein: "Wir sind nicht so hochgegangen, wie wir das erwartet hatten. Das Ziel, in den Landtag zu kommen, war wohl etwas zu hoch gesteckt." Nicht verstehen könne er, warum die Linke bei Landtagswahlen in Baden-Württemberg stets schlechter abschneidet als bei Bundestagswahlen.

Das beste Ergebnis fährt Hofmann mit 3,65 Prozent in Calw ein. "Das Ergebnis ist eine Bestätigung, dass wir in Calw einen Linken im Gemeinderat haben", betont der Sozialpädagoge und bekräftigt: "Wir konsolidieren uns und machen weiter."

Klimaliste: für die Grünen

Für Tina Frey, die sowohl im Kreis Calw als auch im Kreis Freudenstadt für den Landtag kandidiert, steht der Nordschwarzwald am Wahlabend zunächst nur an zweiter Stelle. Die 27-Jährige arbeitet für das Landratsamt des Rhein-Neckar-Kreises und ist als Wahlhelferin in Heidelberg im Einsatz. Erst gegen 20.45 Uhr erfährt sie am Telefon vom Wahlergebnis im Kreis Calw – und muss zunächst einmal schlucken. Mit 0,8 Prozent der Stimmen hat sie das schlechteste Ergebnis aller Kandidaten im Kreis Calw eingefahren. Freys Ziel vor der Wahl: mindestens fünf Prozent in beiden Kreisen. Davon ist Frey auch im Kreis Freudenstadt mit 0,9 Prozent weit entfernt. Ihre Reaktion: "Es freut mich ungemein, dass die Grünen so gut abgeschnitten haben. Ich habe mit meinem Ergebnis den Grünen nicht viele Stimmen weggenommen, aber durch meinen Wahlkampf die Klimagerechtigkeit und den Klimaschutz gepusht."

Kommentar: Fast geknackt

Von Roland Buckenmaier

Der Wahlkreis Calw ist seit jeher eine feste Bank für die CDU. Das war einmal. Am Sonntag zitterte sich Christdemokrat Thomas Blenke zum Sieg, dem Grünen Johannes Schwarz fehlten nur 1,7 Prozent, um diese Bank zu knacken. Förmlich gerupft im Kreis wurde die zweite einstige Volkspartei. Wenn es einen Kretschmann-Bonus für die Grünen gab, muss es offenbar auch einen Esken-Malus für die SPD geben. 7,8 Prozent im Wahlkreis, aus dem die eigene Bundesvorsitzende stammt – tiefer können Genossen nicht fallen. Ein Treppenwitz der Geschichte wäre es, wenn der AfD-Mann Miguel Klauß den Sprung in den Landtag geschafft hätte. Bei den Gemeinderatswahlen 2019 wurde ihm noch ein Stadtratsmandat in Nagold verwehrt, weil er es mit Wahlunterlagen nicht so genau nahm – und jetzt Landtagsabgeordneter? Demokratie treibt schon seltsame Blüten.