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Trotz des Entgegenkommens von Bund und Land klagen die Kreise über steigende Soziallasten.

Stuttgart - Die Wirtschaft boomt, die Steuerquellen sprudeln - wie können die Landkreise da ins Jammern verfallen? Aus der Erkenntnis, dass die Sozialausgaben "ein Fass ohne Boden" sind, wie Landkreistagspräsident Helmut Jahn sagt.

Die Sozialausgaben der 35 baden-württembergischen Landkreise steigen in diesem Jahr auf Rekordhöhe. Dies sagte der Präsident des Landkreistags, der Hohenloher Landrat Helmut Jahn, am Mittwoch in Stuttgart. Danach beträgt der Zuschussbedarf im laufenden Jahr 3,084 Milliarden Euro. Das sind 352 Euro je Einwohner. Im vergangenen Jahr waren es 3,059 Milliarden beziehungsweise 349 Euro gewesen. Ein besonders großer Ausgabenposten entfällt auf die sogenannte Eingliederungshilfe. 1,28 Milliarden Euro stellen die Kommunen aktuell zur Verfügung, um rund 58.000 behinderte Menschen im Land zu betreuen und ihre Eingliederung in die Gesellschaft zu fördern.

Obwohl die Sozialeinrichtungen zunehmend versuchen, dieses Angebot von den teuren stationären Behindertenheimen auf die ambulante Ebene zu verlagern, steigen die Kosten an. Jahn: "Wir müssen wiederum 4,5 Prozent höhere Ausgaben verkraften." Allerdings beträgt die Quote der ambulant betreuten Behinderten derzeit lediglich zehn Prozent. Die Steigerung dieses Wertes sei kurzfristig schwierig, heißt es.

Skepsis, ob das Geld für alle Wünsche reicht

Aber auch die Jugendhilfeausgaben steigen von 508 Millionen Euro (2010) um 6,1 Prozent auf 539 Millionen. Das alles führt laut Jahn dazu, dass die Landkreise von 100 Euro, die sie zur Verfügung haben, 85 Euro für den Sozialbereich ausgeben müssen. Von Euphorie über das Wirtschaftswachstum oder gar der Bereitschaft, die Kreisumlage zu senken, ist beim Verband deshalb nichts zu spüren. "Wir sind bei den Haushaltsberatungen sehr zurückhaltend", beschreibt Jahn die Stimmung in den Kreistagen. Allerdings drängen die Gemeinden, aus deren Umlage sich die Landkreise speisen, auf Entlastung. Jahn räumte ein, dass die Einnahmen der Landkreise wegen eines gewissen Verzögerungseffekts im nächsten Jahr besser werden. Auch die Zusage des Bundes, die Grundsicherung im Alter aus seinem Haushalt zu bezahlen, wurde bei den Kreisen "dankbar zur Kenntnis genommen". Mit Blick auf die Anzeichen, dass die Konjunktur erneut eine Delle erhält, warnte der Verbandschef jedoch vor zu hochgesteckten Erwartungen: "Die Kreisumlage kann keinesfalls auf breiter Front zurückgefahren werden."

Jahn bekräftigte seine Forderung, den Landkreisen eine verlässliche eigene Einnahmequelle zu verschaffen. Am liebsten wäre ihm ein Anteil am Umsatzsteueraufkommen - was der Bund allerdings entschieden ablehnt. Mindestens eine Kostenbeteiligung für die Behinderten hält der Landrat für notwendig. Verhalten optimistisch geht der Verbandschef in die Gespräche mit der Landesregierung - zumal Grün-Rot den Kommunen weitreichende Versprechungen gemacht hat. So sollen die 350 Millionen Euro Mehreinnahmen aus der Erhöhung der Grunderwerbsteuer um 1,5 Prozentpunkte dem Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen zugutekommen. Eine gewisse Skepsis, ob das Geld für alle Wünsche reicht, ist beim Landkreistag allerdings nicht zu überhören: "Die 350 Millionen sind schon fünfmal verteilt", sagt Hauptgeschäftsführer Eberhard Trumpp. Gleichwohl zeigen sich die Verbandsvertreter erfreut darüber, dass Grün-Rot die finanziellen Zusagen der Vorgängerregierung einlösen will. Dabei geht es vor allem um den sogenannten "Pakt zur Stärkung der Chancengerechtigkeit", in dem das Land den Kommunen ein Entgegenkommen bei den Kosten für die Schülerbeförderung und die Schulsozialarbeit zugesagt hatte. Auch der Beitrag der Kommunen für den Länderfinanzausgleich soll abgesenkt werden.

In den nächsten Wochen sollen all diese Posten noch einmal verhandelt werden. Für Ende Oktober ist ein Spitzengespräch mit dem Ministerpräsidenten vorgesehen.