Jeden Tag versucht in Deutschland ein Mann seine Frau oder Partnerin zu töten. Jeden dritten Tag endet so ein Angriff mit dem Tod der Frau. Viele fordern härtere Strafen für solche Vergehen. Ein Mann, der vor einem halben Jahr am Hechinger Brielhof seine Partnerin mit dem Messer angegriffen hat, wurde vom Landgericht mit zwei Jahren Haft, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt.
Hechingen - Nur Bewährung, wieso? Vorsitzender Richter Hannes Breucker gab sich in seiner Urteilsbegründung viel Mühe, die milde Strafe aus den besonderen Umständen des Falls zu erklären. Das war um so mehr nötig, da der Staatsanwalt zuvor in seinem Plädoyer mit Bezug auf die hohe Zahl dieser so genannten Femizide, also tödlicher Angriffe auf Frauen, eine spürbare Haftstrafe gefordert hatte, die nicht auf Bewährung ausgesetzt werden darf. Nur bei harten Strafen für solche Verbrechen könne der Rechtsstaat glaubwürdig sein, sei Abschreckung gewährleistet.
Zwei Justizvertreter, zwei unterschiedliche Sichtweisen
Zwei Justizvertreter, zwei unterschiedliche Sichtweisen auf eine Tat, die sich am 22. November vorigen Jahres auf dem Parkplatz des Hotel Brielhof ereignet hat. Nach über 20 Jahren Partnerschaft und Aufbau eines Unternehmens in Österreich hatte die Frau sich von ihrem Partner trennen wollen. Er hatte das nicht akzeptiert, ihr nachgestellt, weiter Kontakt gesucht. Sie gab nach, trennte sich dann wieder. Mehrfach. Beim Treffen im Brielhof machte sie ihm aber klar, dass nun endgültig Schluss ist. Als beide im Auto saßen, griff er zu einem Messer, das in Seitenablage aufbewahrt wurde, fügte ihr Wunden an Kopf und Hals zu. Sie konnte aus dem Auto rollen. Er folgte ihr, packte sie an der Jacke. Dann fiel das Messer auf den Boden. Sie griff zu und stach ihm zwei Mal in den Oberschenkel. Daraufhin konnte sie ins Hotel flüchten.
Kein "Vernichtungswille" beim Messerangriff
Was könnte hier für eine milde Strafe sprechen? Es sei eben kein Femizid gewesen, so Richter Breucker. Der Angeklagte war noch nie gewalttätig gewesen, keinerlei Vorstrafen, war zwar dominant in der Beziehung, aber kein Macho. Und mit dem Messer habe er keine gewalttätigen Stiche ausgeführt, die am Hals sicher tödlich verlaufen wären, sondern er habe das Messer "fuchtelnd in verschiedene Richtungen" bewegt und damit nur oberflächliche Schnittwunden verursacht. Schlimmer waren die Verletzungen an der Hand, die sich die Frau bei der Abwehr des Angriffs zuzog. Da sei aber kein Vernichtungswille zu spüren gewesen, so der Richter. Den Angriff bezeichnete er als "Augenblicksversagen" eines Mannes, der sonst nie gewalttätig gewesen sei.
Rücktritt vom Messerangriff ermöglicht "Goldene Brücke"
Was aber wohl entscheidend war: Als die Frau aus dem Auto gerutscht war, lag sie auf den Knien. Er war ihr gefolgt und stand vor ihr. Hier hätte er sie leicht erstechen können, stattdessen packte er sie nur an der Jacke, wollte sie in ihrer Panik beruhigen. Ob ihm das Messer aus der Hand fiel, ob er es fallen ließ – das blieb offen. Jedenfalls kümmerte er sich nicht weiter um die Waffe, zerrte nur noch an der Jacke der Frau herum. Mit diesem Rücktritt von dem Messerangriff sei die Tat, die bis dahin als versuchter Mord einzustufen war, sozusagen auf den Stand einer gefährlichen Körperverletzung zurückgesunken, so Richter Breucker. Aus eigenem Antrieb und ohne Zwang von einem Verbrechen abzulassen, das sei eine "goldene Brücke", die der Gesetzgeber zu einer milderen Strafbemessung baue.
Frau hat ihrem Ex-Lebenspartner verziehen
Ebenfalls bemerkenswert: Die angegriffene Frau hat ihrem ehemaligen Lebenspartner nach einem offiziellen Versöhnungsprozess verziehen. Er hat ihr Geld im Täter-Opfer-Ausgleich bezahlt. Sie wünsche sich auf keinen Fall, dass er schwer bestraft werde, hatte sie ihrer Anwältin erklärt, die sie als Nebenklägerin vor Gericht vertrat. Sie sei ihm auch nicht mehr böse.
Mit seinem Urteil folgte Richter Breucker in entscheidenden Argumenten den Plädoyers der beiden Strafverteidiger des Angeklagten. Beide hoben darauf ab, dass dem Mann zwar ein furchtbarer und kaum verzeihlicher Ausraster passiert ist, dass er aber keine ernsthaft Tötungsabsicht verfolgte oder zumindest schnell und aus eigenen Antrieb davon abließ.
Angeklagter kann in seiner Firma weiter als Geschäftsführer arbeiten
Der Angeklagte kann nun wieder in seiner alten Firma als Geschäftsführer arbeiten. Dennoch ist die Strafe für ihn kein Klacks. Die Bewährungszeit, in der schon bei kleinen Straftaten ins Gefängnis müsste, beträgt vier Jahre. Er hat schon eine große Summe im Opfer-Täter-Ausgleich bezahlt, trägt sämtliche Verfahrenskosten, muss seiner Ex-Partnerin Rentenzahlungen leisten, dazu kommen 5000 Euro Strafzahlung an den Weißen Ring. Aber keine Frage, der gestrige Tag war für ihn ein Glückstag. Nach über sechs Monaten in Untersuchungshaft kam er an Ort und Stelle frei. Ein Justizbeamter löste noch im Gerichtssaal die Fußfesseln, die er während des gesamten Prozesses tragen musste.