Tatort Alter Botanischer Garten: Hier wurde das Opfer erstochen. Foto: imago/ULMER

Ein 29-Jähriger soll einen Widersacher am helllichten Tag im Botanischen Garten erstochen haben. OB Palmer setzte nach der Tat einen umstrittenen Post ab.

Ein Handyvideo hat die Szene festgehalten. Der junge Gambier, den alle nur B. nennen, geht auf den jungen weißen Mann mit der Mütze zu. Er zieht seine Jacke aus. In der Hand hält er ein Pfefferspray. „Steck mich doch, wenn du ein Mann bist“, ruft er und boxt ihn. Der andere boxt zurück. Und dann rammt er ihm tatsächlich ein Messer in die Brust, vor allen Zeugen am helllichten Tag im Alten Botanischen Garten von Tübingen. Im Gegenzug erhält er eine Dosis Pfefferspray ins Gesicht. Doch B. sackt zu Boden. Der andere flüchtet mit brennenden Augen. Das Messer wirft er in die Ammer.

 

Der Tod des jungen Gambiers vor neun Monaten hat Tübingen erschüttert – und war im Rückblick betrachtet – auch der vorletzte Schritt für Boris Palmer raus aus seiner grünen Partei, der er schon damals nur noch als ruhendes Mitglied angehörte. Denn schon wenige Stunden später meldete sich der Tübinger Oberbürgermeister mit einem seiner berüchtigten Facebook-Kommentare zu Wort. Er bedauerte den Tod eines jungen Menschen, um dann aber sogleich zur Analyse überzugehen. „Mir genügt Ort, Zeit und Herkunft völlig, um zu wissen, was der Hintergrund ist“, diagnostizierte Palmer. Es handle sich um eine Auseinandersetzung um Drogen, befand er.

OB Palmer kommt in Bedrängnis

Die Ferndiagnose zu einem Zeitpunkt, als die Leiche noch warm und die Polizei noch unterwegs zum mutmaßlichen Täter war, nahmen ihm nicht nur die üblichen Verdächtigen übel. Sogar die Dekanin habe ihn zur Seite genommen, räumte hinterher ein selbstkritischer Palmer ein. Seine Beigeordneten Cord Soehlke und Daniela Harsch rückten bei der Gemeinderatsdebatte zu dem Thema sogar sichtbar ab und setzten sich ins Plenum. Palmer sei Wiederholungstäter, seufzte der SPD-Chef Martin Sökler.

Im Schwurgerichtssaal des Tübinger Landgerichts sitzt jetzt der 29-jährige mutmaßliche Täter. Der junge Mann ist sichtlich nervös. Er nimmt einen kräftigen Schluck aus einem Tetrapack mit stillem Wasser und erzählt dann von jenem Tag, an dem es tatsächlich, wenn auch nur indirekt, um Drogen gegangen war. B. habe nämlich behauptet, dass er ihm noch Geld schulde. Und davon sei er nicht abgerückt, obwohl es doch umgekehrt gewesen sei. Zwei Wochen vor dem Ereignis habe er nämlich bei dem Opfer tatsächlich fünf Gramm Cannabis gekauft. 50 Euro habe er dafür bezahlt. Zuhause habe er dann bemerkt, dass es nur 2,7 Gramm waren. „Ich habe das nachgewogen und mich sehr geärgert.“

Streit habe er aber keinen gewollt, auch nicht an diesem Tag, den er günstig fand, um sich fürs Wochenende mit Cannabis einzudecken. Warum er das Messer mitgebracht hatte, sagt er am ersten Verhandlungstag nicht. Nachfragen will er erst beim nächsten Mal beantworten. Allerdings hatte die Stadt Tübingen offenbar gegen ihn ein Waffenverbot verhängt.

Der Angeklagte sagt, er habe sich stellen wollen

In Panik sei er nach der Tat nach Hause gegangen. Seiner Mutter, mit der er zusammenwohnt, habe er erklärt, er sei von Wespen gestochen worden. Dann habe er in seinem Zimmer gesessen. „Es war surreal.“ Erst habe er sich umbringen wollen, dann habe er zu beten angefangen und beschlossen, sich zu stellen. Als ein Spezialkommando der Polizei ihn festnahm, hatte seine Mutter, der er kurz zuvor alles gebeichtet hatte, tatsächlich schon ein Taxi zum Revier bestellt.

Alle politischen Diskussionen über eine Waffenverbotszone und die Installierung von Überwachungskameras am Botanischen Garten sind inzwischen abgeebbt. Der Garten sei in der Kriminalstatistik kein Kriminalitätsschwerpunkt, teilte das Polizeipräsidium mit. Damit fehlt es aber an einer Rechtsgrundlage. Der Prozess wird fortgesetzt.