Kretschmann beim Landesparteitag der Grünen in Donaueschingen Foto: dpa/Philipp von Ditfurth

Ein bisschen Streit muss sein: Beim ersten Präsenz-Parteitag seit langem liegen sich die Grünen nur bei Asyl und Homöopathie in den Haaren. Den Ton gibt weiter Altmeister Kretschmann vor - doch die Partei bereitet sich so langsam auf die Zeit ohne ihn vor.

Die baden-württembergischen Grünen wollen sich stärker dem ländlichen Raum widmen und so auch ihre Wählerbasis verbreitern. Bei einem Landesparteitag am Samstag in Donaueschingen wurde ein Leitantrag des Landesvorstands zur Stärkung der ländlichen Räume bei einer Gegenstimme und wenigen Enthaltungen angenommen. Die Grünen möchten damit auch den momentanen Koalitionspartner CDU als „Baden-Württemberg-Partei“ dauerhaft ablösen. Die Union hat hier immer noch mehr als dreimal so viele Mitglieder wie die Grünen, die seit elf Jahren den Regierungschef stellen. Die Ökopartei will mit dem neuen Akzent die Voraussetzungen dafür schaffen, nach dem Abgang des auch bei konservativen Wählern beliebten Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann an der Macht bleiben zu können.

Der 74-jährige Regierungschef, der bei der Landtagswahl 2026 nicht mehr antreten will, wurde in Donaueschingen für seine Rede zur Bewältigung der Energie- und Inflationskrise von den etwa 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern bejubelt. Er gab CDU und SPD eine Mitverantwortung für die Krise infolge des Ukraine-Kriegs. „Jetzt fallen uns die strategischen Fehlentscheidungen der letzten Bundesregierungen auf die Füße.“ Union und SPD hätten Deutschland von russischem Öl, Kohle und Gas abhängig gemacht und den Ausbau erneuerbaren Energien hart ausgebremst. „Dafür bezahlen wir jetzt die Zeche“, sagte Kretschmann.

Kretschmann will Solardachpflicht auch für ältere Gebäude

Dagegen leiste Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in der härtesten Energiekrise seit Bestehen der Bundesrepublik Großes. „Er hat in nur sieben Monaten dafür gesorgt, dass wir heute von russischem Öl und russischer Kohle unabhängig sind und dass die Gasspeicher trotzdem zu 90 Prozent gefüllt sind.“ Er nahm Habeck gegen Kritik in Schutz. „Es ist keine Schande, in einer Krise auch mal nachzubessern“, sagte er mit Blick auf die Gasumlage.

Um unabhängiger von Gas, Öl und Kohle zu werden, will Kretschmann bald eine Solarpflicht auch für ältere Gebäude einführen. „Jedes geeignete Haus im Land soll ein kleines Sonnenkraftwerk werden.“ Er hoffe, dass die grün-schwarze Koalition im nächsten Jahr so weit sei, die generelle Pflicht zu beschließen. Er wisse, dass das nicht von heute auf morgen gehe - auch weil die Krise viele Haushalte finanziell stark belaste. Aber bis 2035 sei das machbar und zumutbar. Bei den jüngsten Verhandlungen über das Klimaschutzgesetz war diese Pflicht zunächst auf Druck der CDU ausgeklammert worden.

Die CDU hatte Ende 2021 noch 55 800 Mitglieder – Tendenz sinkend

Auch in ihrem Leitantrag zu den ländlichen Räumen spielt der Kampf gegen die Klimakrise eine große Rolle: „Die künftige Stromerzeugung und Energiebereitstellung aus Biomasse, Wind, Sonne, Wasser oder Erdwärme wird die ländlichen Räume durch Arbeitsplätze und zusätzliche Wertschöpfung weiter stärken“, heißt es in dem Papier. Es gab in der Aussprache aber vereinzelt Kritik an dem Leitantrag, weil er zu vage bleibe. Die Landeschefs Lena Schwelling und Pascal Haggenmüller haben sich zu ihrem Amtsantritt Ende vergangenen Jahres vorgenommen, die Grünen auf dem Land stärker zu verankern und so auch die Basis der Partei zu verbreitern.

Zum Vergleich: Die Grünen haben nach eigenen Angaben etwa 16 680 Mitglieder im Südwesten. Das Durchschnittsalter lag Ende 2021 bei 48,4 Jahren, der Frauenanteil bei 41,4 Prozent. Die CDU hatte Ende 2021 noch 55 800 Mitglieder – Tendenz sinkend. Auch die Union, die bis 2011 fast sechs Jahrzehnte den Regierungschef gestellt hatte, versteht sich als Baden-Württemberg-Partei. Das Durchschnittsalter der CDU-Mitglieder lag zuletzt bei 61 Jahren, der Frauenanteil bei knapp einem Viertel.

Streit um Homöopathie flammt kurz auf

Am ersten Tag des Parteitreffens gab es nur wenig Streit. Jedoch kritisierte die Grüne Jugend die Asyl- und Migrationspolitik der Landesregierung hart und rügte auch Kretschmann. „Die katastrophale Asylpolitik der Landesregierung zerstört nicht nur Existenzen, sie schwächt auch den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft“, sagte Aya Krkoutli, Co-Chefin der grünen Jugendorganisation. Allein 2021 seien 1300 Menschen abgeschoben worden. Leider hätten sich die Bedenken gegen die Wiederauflage der Koalition mit der CDU bewahrheitet. Krkoutli sagte aber auch: „Das Problem liegt nicht nur bei der CDU.“ An Kretschmanns Adresse sagte die junge Grüne, man erwarte von ihm „eine klare Ansage an den Koalitionspartner“.

Auch der Streit um Homöopathie flammte in Donaueschingen kurz wieder auf. Anlass war die Entscheidung der Vertreterversammlung der Landesärztekammer, die Zusatzbezeichnung Homöopathie aus der Weiterbildungsordnung streichen zu wollen. Gesundheitsminister Manne Lucha hatte daraufhin erklärt, er glaube an die Wirksamkeit der Homöopathie und halte die Streichung für falsch. Beim Parteitag kritisierte Dorothea Kaufmann aus dem Kreisverband Heidelberg, dass sich der Minister hier eingemischt habe. „Wir sollten uns alle auf die Seite der Wissenschaft stellen“, forderte die promovierte Molekularbiologin Kaufmann und nannte Homöopathie „Scharlatanerie“.

Lucha sagte beim Parteitag, es werde eine rein formale Prüfung geben. „Wir brauchen da keinen Kulturkampf, wir bleiben nüchtern.“ Luchas Ministerium hat die Rechtsaufsicht über die Ärztekammer und muss die Änderungssatzung prüfen. Der Minister sagte in Donaueschingen, es gehe ihm darum, dass alle, die das wollten, Zugang zur alternativen Medizin hätten. Gegner der Homöopathie argumentieren, es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis für die Wirksamkeit etwa von Globuli, also homöopathischen Kügelchen.