FDP-Fraktionschef Rülke zeigte Skepsis vor einer allgemeinen Impfpflicht. Foto: dpa/Uli Deck

FDP-Fraktionschef Rülke warnt vor „Symbolpolitik“ und unüberlegter Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Heftige Kritik am „autoritären“ Ministerpräsident Kretschmann.

Fellbach - Beim Landesparteitag der FDP von Baden-Württemberg hat vor allem der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, seine Skepsis vor der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht formuliert. Sowohl er als auch der FDP-Landesvorsitzende Michael Theurer gingen auf Distanz zur CDU, vor allem aber auch zum grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, den sie als „autoritär-konservativ“ bezeichneten und dessen Corona-Politik – die unter anderem auf Ausgangssperren setzte – sie für gescheitert erklärten.

Kretschmann hat die Idee „aus dem Ärmel“ gezaubert

Der Parteitag fand nur in kleiner Präsenzrunde in Fellbach statt und war ansonsten digitalisiert. FDP-Fraktionschef Rülke sprach sich nicht direkt gegen eine Impfpflicht aus, wenngleich sie eine schwierigen Eingriff in Grundrechte darstelle, aber er erhob einige starke Zweifel gegen sie. Die Impfpflicht sei ja durchaus möglich, wenn „sie ein Weg ist, der uns aus der Pandemie herausführt“, so Rülke. Bisher sei dieser Weg aber noch nicht aufgezeigt worden, und auch Ministerpräsident Kretschmann, der mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder die Idee mit der allgemeinen Impfpflicht „aus dem Ärmel“ gezaubert und als „große Lösung“ angepriesen habe, sei darauf eine Antwort schuldig geblieben.

Wer soll denn kontrollieren?

Schon fünfmal sei Kretschmann mit seiner Corona-Politik im vergangenen Jahr gescheitert, er warne jetzt davor, dass ihm das ein sechstes mal passiere. „Kretschmann führt etwas ein und schaut danach, ob es funktioniert“, so Rülke. Fraglich sei vor allem, wie die Impfpflicht durchgesetzt werden solle, da es kein Impfregister gebe. Dass die Bundespolizei oder Bundeswehr die Impfpflicht überprüfe, das sei wohl nicht vorstellbar. Man werde die Aufgabe an die Länder delegieren, die sie dann an die Kommunen weitergeben würden. Die könnten eventuell anhand der Einwohnerverzeichnisse stichprobenartig den Impfstatus kontrollieren und Ordnungsstrafen verhängen.

FDP-Chef will „gewissen Druck“ auf Impfunwillige

Er bezweifle aber, ob sich die beiden impfunwilligen Gruppen davon abschrecken lassen würden: zum einen diejenigen, die wirklich mehr Angst vor der Impfung haben als vor dem Virus und zum anderen die überzeugten Querdenker, die mit ihrer Impfgegnerschaft nur ihren Misstrauen gegen den Staat ausdrücken wollen. „Wer die Impfpflicht will, der muss den Mut haben, ein Impfregister aufzubauen – sonst, Finger weg!“, sagte Rülke. Er denke, dass man auch mit einem „gewissen Druck“ auf Impfgegner, mit Hygienemaßnahmen und Anreizen fürs Impfen die Pandemie in den Griff bekommen könne. „Mit Symbolpolitik und Maßnahmen, die nicht wirken, sollten wir aufhören. Das spielt nur den Querdenkern in die Hände.“ Auch einen allgemeine Lockdown oder Ausgangssperren brauche man nicht.

In der Schulpolitik „Scheinheiligkeit“ kritisiert

Auch mit der Haushalts-, der Schul-, Verkehrs- und Energiepolitik der Landesregierung ging Rülke heftig ins Gericht. Dass Kretschmann behaupte, dass die Ampel-Koalition beim Klimaschutz eine „Blaupause“ in Baden-Württemberg genommen habe, dass stimme einfach nicht. Umgekehrt sei es der Fall. Das Land habe ähnlich wie bei der Ampel in seinem Gesetzentwurf für die Solarpflicht auf Dächern den Passus „wo das möglich ist“ aufgenommen – also nicht in verschatteten Lagen – und sei damit vom ursprünglichen grün-schwarzen Koalitionsvertrag abgewichen. Scheinheilig sei auch die Schulpolitik, wo die Schularten als gleichwertig bezeichnet werden und das Realschulreferat des Ministeriums dann ins Gemeinschaftschulreferat integriert werde.

„Und dann verkündet die Kultusministerin noch: Niemand hat die Absicht, der Realschule ans Leder zu gehen.“ Man wolle eine starke Opposition sein, die die Landesregierung antreibt, da die sich nur „an die Macht“ klammere, sagte Rülke.

Theurer stolz auf Mitgliederzuwachs

Der FDP-Landesvorsitzende und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Michael Theurer, hatte zuvor „den wesentlichen Anteil der Südwest-Liberalen am Erfolg der Bundespartei“ gerühmt. Mit 15,3 Prozent habe man das stärkste Landesergebnis erzielt bei der Bundestagswahl und 2,5 Prozent vor der Hessen-FDP gelegen. Mit 9750 Mitgliedern hätten die Liberalen in Baden-Württemberg einen Mitgliederrekord, allein in den vergangenen zwölf Monaten seien 1500 Neumitglieder hinzu gekommen. Theurer lobte die Zusammenarbeit der drei recht unterschiedlichen Parteien in der Ampel, die vor allem die Digitalisierung und die Infrastruktur ausbauen müssten: „Deutschland geht es nicht gut. Der Lack ist ab.“

Kritik am „autoritären“ Ministerpräsidenten

Kritik übte Theurer vor allem an den CDU-Ministerpräsidenten für Fehler in der Corona-Politik. Dem grünen Ministerpräsident Kretschmann kreidete er an, dass der von „Hyperliberalismus“ gesprochen habe. Dass Kretschmann seinerseits nächtliche Ausgangssperren verhängt habe, das sei „autoritär“ gewesen. „Wer wie Kretschmann das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel infrage stellt, der bringt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ins Wanken. Und er wird auf den Widerstand der FDP stoßen.“ Anders als Rülke äußerte sich Theurer zurückhaltender beim Thema Impfpflicht. Auch wenn Omikron milder verlaufe, könne wegen der vielen Infektionen eine Überlastung des Gesundheitssystems drohen. Es gebe auch eine „Verantwortung im Kleinen“ und wer sich nicht impfen lasse, nehme einem anderen vielleicht einen Krankenhausplatz weg, der ihn nötiger habe. „Ich habe Verständnis für die Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht“, so Theurer. Man brauche aber einen freien und demokratischen Diskurs in der Sache, die Gewalt der Straße gegen Polizei oder Politiker sei inakzeptabel.

Spott über die CDU im Südwesten

Für Baden-Württemberg konstatierte Theurer, dass hier der „gesellschaftspolitische Aufbruch“ – den die Ampel-Koalition vorlebe – fehle. Die grüne Basis müsse sich im Land endlich zugunsten des Fortschritts gegen den konservativen Kretschmann durchsetzen, meinte Theurer. Was die CDU im Land anbelange, so gelte das Wort der Ex-CDU-Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, die in einem Interview der Stuttgarter Zeitung gesagt hatte, dass deren Profil sich an den Reifen der Dienstlimousinen ihrer Spitzenpolitiker ablesen lasse.