Auf der Erfolgsspur: Sebastian Hoeneß. Foto: Björn Locke/Midjourney

Die Stadt der Tüftler steckt in der Krise. Die Stimmung ist verzagt. Wie kommt man da raus? Der VfB Stuttgart mit Sebastian Hoeneß liefert die Blaupause für den Weg in die Zukunft.

Fußball ist ein reaktives Geschäft. Und der VfB Stuttgart scheint sich berappelt zu haben. Was vor wenigen Jahren noch nach Abstieg roch, duftet heute nach Ambition, Stil und Haltung. Während die Wirtschaft der Region schwächelt, zeigt der Verein, wie man sich aus der Krise herauskatapultiert – nicht durch Zahlen, sondern durch Geist. Was kann die Wirtschaft von einem Verein lernen, der sich einst billig verkaufte und heute das teuerste Gut – ein klares Mindset – besitzt?

 

Die Lage ist schwierig: Stuttgart, die Hauptstadt des schwäbischen Erfindergeists, steht 2025 an einem neuralgischen Punkt. Die Stadt, einst Synonym für Ingenieurskunst, Präzision und wirtschaftliche Prosperität, taumelt. Bosch, der Traditionsriese, streicht weltweit, vor allem aber in Deutschland zehntausende Stellen. Der operative Gewinn ist eingebrochen, die Rendite schwach. Auch Mercedes-Benz, der andere Gigant, muss sparen, bietet Abfindungen an, um Personal abzubauen. Die Transformation zur Elektromobilität, einst Hoffnungsträger, entpuppt sich als langsamer, schmerzhafter Prozess. Die Schwäche der Konzerne bringt Stuttgart gewaltig unter Druck.

Doch es ist nicht nur die Wirtschaft, die schwächelt. Es ist auch die mentale Verfassung der Stadt. Eine Lethargie greift um sich, die eigentlich atypisch ist für den schwäbischen Stoizismus. Der Stolz auf das Erreichte ist einer Müdigkeit gewichen, die sich wie ein bleiernes Gewand über die Innovationskraft legt. Dieses Gewand ist kein neues. Es liegt seit einem Jahrzehnt über dem Land, schwer und lähmend, wie eine im Hochsommer getragene Winterjacke. Stuttgart hat sich in der Vergangenheit oft daraus befreit – mit Trotz, mit Tüftlergeist, mit einem gewissen Hang zur obsessiven Selbstoptimierung. Diesmal aber nicht. Diesmal scheint die Stadt sich eingerichtet zu haben. In der Komfortzone. Im Status quo. Im Mittelmaß.

Sebastian Hoeneß übernahm den VfB in einem Moment maximaler Verunsicherung. Der Verein war orientierungslos, die Spieler verunsichert, die Fans resigniert und schon bereit für den Abstieg. Doch Hoeneß brachte etwas mit, das in Stuttgart oft unterschätzt wird: eine kompromisslose Haltung gegenüber Mittelmäßigkeit. Er akzeptierte nicht den Status quo, sondern stellte ihn radikal infrage. Er formte aus einem zerfallenden Kader eine Einheit, die nicht nur kämpfte, sondern spielte – mit Stil, mit Mut, mit Überzeugung. Diese Haltung ist es, die Stuttgart jetzt braucht. Die Wirtschaft der Region leidet nicht nur unter äußeren Umständen, sondern auch unter einem mentalen Stillstand. Die Innovationskraft ist da, aber sie wird von Angst und Bürokratie gelähmt. Die Unternehmen müssen sich fragen: Wo ist unser Hoeneß-Moment? Wo ist der Punkt, an dem wir sagen: „So nicht!“

Hoeneß agiert nicht als Motivator im klassischen Sinne, sondern als Architekt einer Haltung. Seine Methode ist keine emotionale Aufladung, sondern eine stoische Disziplin, die sich weigert, das Mittelmaß als Normalzustand zu akzeptieren. Es ist eine Form der Führung, die nicht auf Lautstärke, sondern auf Klarheit setzt. Auf die stille Radikalität des Anspruchs. Auf die Kunst, das Gewöhnliche zu entlarven und das Außergewöhnliche zu ermöglichen.

Innovation, im Sport wie in der Wirtschaft, entsteht selten aus Komfort, sondern aus Notwendigkeit. Sie ist das Kind der Krise, der Druckpunkt, an dem das Alte nicht mehr trägt und das Neue noch nicht greifbar ist. Beim VfB war es der Moment, als das System kollabierte und die Sehnsucht nach Sinn stärker wurde als die Angst vor dem Abstieg. In der Wirtschaft ist es der Punkt, an dem alte Geschäftsmodelle versagen und die Märkte sich neu sortieren. Dabei gilt: Stuttgart darf sich nicht auf Berlin verlassen, nicht auf politische Programme, die in der Hauptstadt entworfen werden, fernab der Realität des Maschinenraums. Die Stadt muss erkennen, dass ihre Stärke nicht in der Hoffnung auf Subventionen liegt, die sowieso nicht kommen. Sondern in der eigenen DNA.

Diese DNA ist internationaler, als viele glauben. Die erste Generation der Arbeiter aus Griechenland, Kroatien, Italien – sie kamen nicht nur, um zu arbeiten, sondern um Teil von etwas Großem zu werden. Am Fließband waren alle gleich. Das schwäbische Qualitätsversprechen wurde nicht erklärt, es wurde gelebt. Und diese Menschen saugten es auf, machten es zu ihrem eigenen. Ihre Kinder und Enkel tragen heute das Mindset weiter, das Stuttgart groß gemacht hat: Präzision, Disziplin, Stolz auf das Produkt. Diese stille Integration war kein politisches Projekt, sondern ein kultureller Schulterschluss. Und genau dieser Geist muss jetzt wiederbelebt werden.

Mittelmaß ist keine Option für Stuttgart. Die Stadt war nie Durchschnitt, sie war immer Ausnahme. Wer hier lebt, weiß: Man misst sich nicht am Machbaren, sondern am Idealen. Diese Haltung ist unbequem, aber sie ist produktiv. Sie treibt an, sie fordert heraus. Und sie ist der Grund, warum Stuttgart sich nicht mit dem Status quo zufriedengeben darf. Die Wirtschaft muss wieder lernen, wie der VfB zu denken: nicht in Excel-Tabellen, sondern in Visionen. Nicht in Quartalszahlen, sondern in Qualität. Nicht in Angst, sondern in Haltung.

Innovation ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis eines Milieus, das Fehler erlaubt, das Vielfalt lebt, das sich selbst infrage stellt. Stuttgart hat dieses Milieu – in seinen Werkshallen, in seinen Hinterhöfen, in seinen Schulen. In seinen Köpfen und Herzen. Es muss nur wieder aktiviert werden. Der VfB hat gezeigt, wie das geht: durch Vertrauen, durch Mut, durch die Bereitschaft, anders zu sein. Die Wirtschaft muss folgen. Nicht als Kopie, sondern als eigenständiger Resonanzkörper. Denn die Zukunft wird nicht in Berlin entschieden, sondern in den Köpfen derer, die den Mut haben, neu zu denken – und das hier. In Stuttgart.

Die mentale Lethargie, die sich ausbreitet, ist gefährlicher als jede Rezession. Sie lähmt nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft. Sie macht aus Machern Verwalter. Aus Visionären Projektmanager. Stuttgart muss sich wieder spüren. Muss wieder in den Moment kommen. Muss wieder Lust auf Risiko haben. Auf Scheitern. Auf Neuanfang.

Der VfB war irgendwann mittelmäßig geworden. Und zwar nicht zufällig, sondern systematisch. Als der ehemalige Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt die Macht beim VfB übernahm und Wirtschaftsexperten wie Gerd Mäuser installierte, begann eine Phase der Entseelung. Mäuser, der Power-Boat-Fahrer, der den Verein wie ein Start-up managen wollte, nahm dem VfB das, was ihn ausmachte: seine Eigenart, seine Emotionalität, seine Unberechenbarkeit. Der Verein biederte sich damals der Wirtschaftsmacht Stuttgarts an – und verkaufte sich dabei teilweise sehr billig.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass heute genau dieser Verein, der sich einst vor den regionalen Wirtschaftsmächten in den Staub geworfen hatte, nun zum Vorbild für eben jene Wirtschaft geworden ist. Der VfB hat sich emanzipiert. Verliert vielleicht immer mal wieder. Hat sich aber neu erfunden. Hat Haltung gezeigt. Und genau diese Haltung fehlt aktuell der lokalen Wirtschaft. Die mentalen Kräfteverhältnisse im sogenannten Weltmarkenbündnis mit dem VfB haben sich verschoben. Der Verein ist nicht mehr das Anhängsel der Industrie – er könnte ihr ideeller Impulsgeber sein.

Die Schwaben gelten als stur. Als pedantisch. Als detailverliebt. Doch genau diese Eigenschaften sind in Zeiten der Disruption kein Nachteil, sondern ein Vorteil. Die schwäbische Dickköpfigkeit ist kein Defizit, sondern ein Asset. Sie bedeutet: Wir geben nicht auf. Wir machen weiter. Wir verbessern. Wir perfektionieren. Diese Haltung hat den VfB getragen. Und sie kann auch Bosch, Porsche und Mercedes tragen – wenn sie sich wieder auf ihre Wurzeln besinnen. Nicht als nostalgische Rückschau, sondern als strategische Ressource. Die schwäbische Mentalität ist kein museales Relikt, sondern ein Zukunftsmodell.

Stillstand ist keine Option

Und hier kommt Georg Wilhelm Friedrich Hegel ins Spiel. Der große Denker, geboren in Stuttgart, hat die Dialektik als Methode entwickelt, um Wandel zu verstehen. Für Hegel ist jede Krise eine notwendige Stufe auf dem Weg zur höheren Erkenntnis. These, Antithese, Synthese – das ist kein starres Schema, sondern ein dynamischer Prozess.

Die wirtschaftliche und mentale Krise Stuttgarts ist die Antithese zur jahrzehntelangen Prosperität. Doch sie ist notwendig, um eine neue Synthese zu ermöglichen. Die Unternehmen müssen die Krise nicht nur managen, sondern philosophisch durchdringen. Sie müssen erkennen, dass der Wandel nicht linear, sondern dialektisch verläuft. Hegel lehrte: Philosophieren heißt, frei leben zu lernen. Diese Freiheit beginnt mit der Erkenntnis, dass Stillstand keine Option ist. Dass jede Bewegung – sei sie schmerzhaft oder befreiend – Teil eines größeren Prozesses ist. Stuttgart muss sich neu erfinden. Nicht durch Aktionismus, sondern durch Reflexion und radikale Neuausrichtung.

Die Wirtschaft Stuttgarts steht am Scheideweg. Die alten Modelle funktionieren nicht mehr. Die neuen sind noch nicht etabliert. Doch genau hier liegt die Chance. Der VfB hat gezeigt, wie aus einer Krise eine Erfolgsgeschichte werden kann – durch Haltung, durch Mut, durch radikale Ehrlichkeit. Stuttgart muss sich fragen: Wollen wir weiter verwalten oder endlich gestalten? Wollen wir Mittelmaß akzeptieren oder Exzellenz anstreben? Die Antwort liegt nicht in Zahlen, sondern in der Mentalität. In der Bereitschaft, sich selbst infrage zu stellen. In der Fähigkeit, aus der Dialektik der Krise eine neue Synthese zu formen.

Sebastian Hoeneß würde sagen: Für die anstehende Partie brauchen wir einen klaren Kopf und das richtige Mindset. Wir müssen scharf sein. Hegel würde sagen: Die Wahrheit ist das Ganze. Und das Ganze ist mehr als Umsatz und Rendite. Es ist Geist. Es ist Haltung. Es ist die Idee, dass aus Stuttgart wieder ein Ort werden kann, an dem Zukunft gedacht und gemacht wird. So wie beim VfB.