OB Großmann ist sich sicher: Von der Landesgartenschau werden noch Generationen profitieren.
Nagold - So ganz traut Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) dem wackeligen Gefährt offenbar nicht, das ob des mit Mühe einen sicheren Sitzplatz suchenden politischen Schwergewichts auf dem Wasser hin und her schaukelt. "Willkommen", ruft ihm der lächelnde Gondolieri zu, ein Stadtrat und Arzt, der das Boot vom Ufer abstößt. Kretschmann, der offenbar lieber festen Boden unter den Füßen hat, lächelt gezwungen zurück. Klingt nach einem vergnüglichen Ausflug des Landesvaters nach Venedig, ist aber in Wirklichkeit eine Szene bei der Eröffnung der 24. Landesgartenschau (LGS) in Nagold, die so viel Ungewöhnliches, von Bürgern Geschaffenes zu bieten hat. Stocherkahnfahren mit besagtem Stadtrat Ulrich Hartmann am Zusammenfluss von Waldach und Nagold ist nur ein Beispiel von vielen.
Wenn bei den Eröffnungsreden am Freitag ein Begriff oft bemüht wurde, dann war es bürgerschaftliches Engagement. Das Jahrhundertereignis in der 22.000 Einwohner zählenden Stadt im Nordschwarzwald wird getragen von einer Welle des Miteinanders. Das war nicht immer so.
Nein des Volkes gegen die Treppe ohne Nachkarten akzeptiert
Wir erinnern uns: Kaum zwei Jahre ist es her, dass sich Nagolds Bürgerschaft in zwei Fronten teilte. Die geplante Treppe auf die mittelalterliche Hohennagold schied die Geister. Eine Bürgerinitiative gründete sich, um das Bauwerk zu kippen. Sogar der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wurde bemüht. Die Treppengegner obsiegten. Es kam zum Bürgerentscheid, dem ersten in der Stadtgeschichte. Und wieder zogen die Treppenbefürworter und voran die Landesgartenschau-Macher den Kürzeren: Die Nagolder sagten mit deutlicher Mehrheit Nein zur Treppe. Doch wer geglaubt hatte, dass dieses Veto die Stadt in eine Schockstarre versetzt hätte, täuschte sich. Nagold verfügt über eine besondere politische Streitkultur. So wie im Gemeinderat, in dem über alle politischen Fronten hinweg das Gesamtwohl der Stadt nie aus den Augen verloren wird, reagierten auch die Bürger. Das Nein des Volkes gegen die Treppe wurde ohne Nachkarten akzeptiert. Fortan gab es keine Gegner mehr - nur noch glühende Befürworter des Projekts, das alle einte: die Landesgartenschau.
Gartenschau kostet Stadt 29 Millionen Euro
Die horrenden Summen, die die Stadt für dieses Ereignis in die Hand nehmen musste und die sie wohl noch Jahrzehnte abzahlen muss, waren nie Anlass für kritische Auseinandersetzungen. Warum auch? "Landesgartenschauen sind geniale Infrastrukturmaßnahmen", konstatiert Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann in seiner Festrede vor weit mehr als Tausend Gästen, "davon werden noch Generationen profitieren."
Von den insgesamt fast 29 Millionen Euro, die in dem insgesamt 16 Hektar großen Gelände investiert und für die mehr als 3000 Veranstaltungen ausgegeben werden, fließen 18,5 Millionen Euro in Anlagen, die diese Gartenschau überdauern werden. Aus dem Treffpunkt Baden-Württemberg wird später eine Kindertagesstätte, in den Landkreispavillon wird die Jugendkunstschule einziehen und ihren beliebten "Kleb", früher mehr eine Festwiese denn ein Park, werden die Nagolder nach dem 7. Oktober als durchgestylte Parkanlage mit völlig neuen Sichtachsen wieder in Besitz nehmen. "Es sind die dauerhaften Werte, die dahinter stehen", sagt Kretschmann, nachdem er das Bad in der Menge und den freundlichen Applaus der Nagolder sichtlich genossen hat. Immerhin hat das Land acht Millionen Euro beigesteuert: "Das ist gut angelegtes Geld", meint er.
Wie in den anderen Landesgartenschau-Städten hat auch Nagold sein Gesicht in knapp drei Jahren Bauzeit völlig verändert. Eben nicht nur in den beiden neu gestalteten Parks Kleb und Riedbrunnen, sondern auch in der Innenstadt. Nagolds LGS-Motto "Grüne Urbanität" verpflichtet.
Der geistige Vater dieses ambitionierten Projekts, Alt-OB Rainer Prewo (SPD), wird, als sein Name fällt, vom Festpublikum mit Ovationen gefeiert. Er hat damals, im Jahr 2002, Nagolds Bewerbung um dieses Jahrhundertereignis vorangetrieben. Stets das große Ziel vor Augen, wird die Stadt in den nachfolgenden Jahren völlig umgekrempelt: Eine Innenstadtumfahrung entsteht, die Altstadt wird vom Verkehr entlastet, neue Einkaufszentren und ein neuer Busbahnhof schießen in die Höhe. Und ein Ende dieser Investitionen ist heute noch nicht in Sicht. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die kommunalen Investitionen für diese Landesgartenschau das Sechsfache an privaten Baumaßnahmen auslösen.
Landrat begeistert: "Hier blüht der ganze Landkreis auf"
Doch dieses florale Spektakel, das bei Kaiserwetter und Tausenden Besuchern seinen Auftakt nahm, ist eben mehr als bloße Strukturförderung. "Das ist Lebensfreude pur", gibt sich Hubert Möhrle, Vorsitzender der Fördergesellschaft der Baden-Württembergischen Landesgartenschauen, beim Blick vom Rednerpult in die große Natur-Arena ganz begeistert. Und Landrat Helmut Riegger (CDU), dessen Kreis Calw strukturell so sehr den starken Nachbarn im Westen hinterherhinkt, hat endlich auch mal Grund zur Freude: "Hier blüht der ganze Landkreis auf." Und versäumt es natürlich nicht, dem Ministerpräsidenten die Unterstützung für den geplanten S-Bahnanschluss von Calw und Nagold nochmals besonders ans Herz zu legen.
Ein anderes Projekt, für das sich der Landrat stark machte, hat Kretschmann an diesem Tag glatt übersehen. Dabei müssten ihm die Abertausenden von Kunstleitpfosten, die von Schülern, Vereinen und Bürgern kreiert und an den Straßenrändern im Kreis Calw in die Erde gerammt wurden, doch ins Auge gefallen sein. Taten sie aber nicht. Vor lauter Aktenstudium im Fond seiner schwarzen Limousine hat er die Pfosten glatt übersehen.
Diese größte Kunstaktion im Land mit mehr als 9000 bemalten und geschnitzten Holzpfosten ist nur eine von vielen Initiativen, die Sinnbild sind für die Identifikation einer ganzen Region mit dieser Landesgartenschau. Ein anderes, ebenso einzigartiges Bürgerprojekt ist die Wachsende Kirche, aus christlicher Sicht das Herzstück der Landesgartenschau. Am Zusammenfluss von Nagold und Waldach wächst ein einmaliges Gotteshaus aus 24 Lindenbäumen und einem mit lebenden Weiden geflochtenen Zaun Richtung Himmel. Es gilt als Wahrzeichen des Glaubens und der Ökumene.
So wie bei der gestrigen Eröffnungsfeier, als der evangelische Dekan Ralf Albrecht gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Edgar Jans und dem evangelisch-methodistischen Pastor Jonathan Whitlock den Segen spendet, wird auch am morgigen Sonntag der Eröffnungsgottesdienst der Wachsenden Kirche im Zeichen der Ökumene stehen. Der evangelische Landesbischof Frank Otfried July, der katholische Bischof Gebhard Fürst und der evangelisch-methodistische Superintendent Johannes Knöller stehen ab 14.30 Uhr gemeinsam am Altar.
Insgesamt 164 Tage, nämlich bis zum 7. Oktober, dauert diese Landesgartenschau. Oberbürgermeister Jürgen Großmann weiß auch schon, wie sie in die Annalen eingehen wird - als "Nagolder Sommermärchen".