Eisweinernte in Baden: Anders als in Rheinland-Pfalz ging es vergangenen Winter bei der Lese in Baden-Württemberg mit rechten Dingen zu. Foto: dpa

Pfälzer Weinbauer geben minderwertige Ware als hochwertig aus – Unruhe bei Betrieben im Land

Stuttgart/Mainz - Stuttgart/Mainz - Am 2. Januar 2012, der Silvester-Riesling hatte sich gerade aus den Adern der Pfälzer Winzer verflüchtigt, sank das Thermometer links des Rheins endlich unter null Grad Celsius. Monatelang hatten die Weinbauern auf diesen Moment gewartet. Überall in den beschaulichen Örtchen entlang der Deutschen Weinstraße klingelten die Handys. Wenig später rückten die Erntekolonnen aus. Im ersten Morgengrauen preschten Vollernter, gefolgt von weißen Kleintransportern, über Schotterpisten in die Weinberge. Alles musste schnell gehen. Eisweinernte!

An diesem und einigen folgenden Tagen fuhren insgesamt 197 Betriebe in Rheinland-Pfalz 468.000 Liter Eiswein ein. Genug für eineinviertel Millionen Flaschen. Eine Prachternte.

Eiswein? Kilian Schneider räuspert sich. „Was da geerntet wurde, kann vieles gewesen sein, aber wohl kein Eiswein.“ Schneider ist Präsident der badischen Weinbauern und eigentlich nicht für verbale Rempler gegen seine Kollegen aus anderen Anbaugebieten bekannt. Aber was vergangenen Winter in der Pfalz geschah, bringt den altgedienten Weinbauern ziemlich in Rage. In der Zeitschrift „Der Badische Winzer“, dem Leib- und Magenblatt der Zunft am Oberrhein, hat er sich jüngst seinen Frust vom Leib geschrieben. Tenor: Die Rheinland-Pfälzer hätten Trauben bei „fragwürdigen Temperaturen“ und in „fragwürdigem Zustand“ geerntet und zu allem Übel auch noch versucht, das Rebenextrakt als edlen Eiswein zu vermarkten.

Ein Großteil der Trauben war bereits am Stock verfault

Bei gerade mal minus zwei Grad Celsius – so erzählt man sich das zumindest bei einem Glas Trollinger in Baden und Württemberg – seien die Erntekolonnen in die Weinberge eingerückt. Viel zu warm sei das gewesen.

Tatsächlich kam die frühmorgendliche Hauruck-Aktion der rührigen Rheinhessen und Pfälzer auch anderen schnell spanisch vor. Schon Stunden später schickte das Mainzer Weinbauministerium Späher aus, die bei den Winzern Proben zogen. Das Resultat: Fast alle der getesteten Betriebe hatten auf die für die Eisweinernte nötigen extrem tiefen Temperaturen gepfiffen. Ein Großteil der Trauben war zudem bereits am Stock verfault. Was mit dem exquisiten Prädikat Eiswein hätte ausgezeichnet werden sollen, war wenig mehr als gelblich-süße Beeren-Plörre.

Das Ergebnis der Kontrolleure schlug umso mehr ins Kontor, als dass es sich bei den Tricksereien um nichts weniger als um die Schändung eines önologischen Heiligtums handelte. Wohl kein Produkt des deutschen Weinbaus ist auch nur annähernd so legendenumrankt und prestigeträchtig wie der von Blumenaromen und ausgewogener Säure geprägte Winterwein. Kein Rebsaft erzielt derart hohe Preise. Manche Winzer nehmen eher Erfrierungen an Gliedern in Kauf, als die verschrumpelten Beeren nächtens bei mehr als den vorgeschriebenen minus sieben Grad Celsius zu lesen. Lieber verzichten sie ganz auf die Eisweinernte und degradieren die Träubchen zu edelsüßen Beerenauslesen.

„Es lag ziemlich nahe, dass da irgendwas nicht stimmen konnte“

Gerade mal 4200 Liter des Tranks ernteten etwa alle badischen Winzer im letzten Winter – weniger als ein Hundertstel der Menge, die in Rheinland-Pfalz anfiel. „Es lag ziemlich nahe, dass da irgendwas nicht stimmen konnte“, sagt Schneider. Das Geschäft müsse sauber bleiben. Alles andere sei für die Winzerzunft als Ganzes eine Katastrophe.

Nicht nur die Badener sind wegen des süßen Verrats auf der pfälzischen Rheinseite sauer. Auch die Franken, die neben besonders klobig anmutenden Tröpfchen im Bocksbeutel immer mal wieder auch mit ziemlich eleganten Eisweinen überraschen, werden nicht müde, die industrielle Eisweinernte in der Pfalz anzuprangern. Zumal jetzt offenbar auch noch Mindeststandards gerissen wurden. Allein in Württemberg sieht man die Lage gelassen. Auf den Schlips getreten fühle man sich nicht, heißt es vom Weinbauverband Württemberg. Kein Wunder . Wenig mehr als homöopathische Dosen des öligen Eisweins quetschen die hiesigen Winzer auch nicht aus ihren frostenstellten Schrumpeltrauben.

Schunkelnde Glückseligkeit ist einer Katerstimmung gewichen

In Rheinhessen, dem Stammland des Eisweins, flaut die Erregung indes nicht ab. Belehrungen aus Baden verbittet man sich mit dem Verweis auf die in vielen Streitfällen noch laufenden Untersuchungen. Immerhin, so Ingo Steitz, Weinbaupräsident in Rheinhessen, habe man auch nicht gemeckert, als die Badener 2011 nach zwei Missernten die erlaubten Mengen beim Qualitätswein mit einem Trick nach oben geschraubt hätten.

Und so ist die schunkelnde Glückseligkeit, die sonst zwischen den Anbauverbänden Süddeutschlands regiert, einer Katerstimmung gewichen. Seit Monaten sieht man die gegenseitigen Beziehungen ungefähr so trüb wie frisch abgepressten Traubenmost. Sogar die Landespolitik in Baden-Württemberg hat der süffig-süße Streit mittlerweile erreicht. Per Antrag forderte der Weinbaupolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Arnulf Freiherr von Eyb, den grünen Verbraucherschutzminister Alexander Bonde jüngst dazu auf, Stellung zu den Vorgängen im nördlichen Nachbarland zu nehmen. Immerhin stehe der Ruf einer ganzen Branche auf dem Spiel. Die Anfrage indes brachte außer der Erkenntnis, dass in Baden-Württemberg alles rund läuft, wenig Neues. Immerhin ist der „ziemlich einzigartige Vorgang“ (von Eyb) aber jetzt auch im Landtag Thema. Eventuell werde sich auch der Minister noch einmal zu dem Vorgang äußern, mutmaßt von Eyb. Das Verhalten der Rheinland-Pfälzer habe im Südwesten ja für viel Unruhe gesorgt.

Dass das frostige Klima links und rechts des Rheins wieder aufheitert, scheint indes nicht gänzlich unmöglich. Zwar könne man den voreiligen Winzern in den allermeisten Fällen „keinen Vorsatz unterstellen“, sagt der rheinhessische Chef-Weinbauer Steitz. In Zweifelsfällen müsse man aber in Zukunft eben von der Eisweinernte Abstand nehmen.