Kathrin Lieb hat die Sonderausstellung im Stadtmuseum konzipiert, in der die wichtigsten Funde der Ausgrabung in der Leopoldstraße gezeigt werden. Foto: Schabel

Archäologie: Sonderausstellung im Stadtmuseum informiert über Ausgrabungen

Lahr - Die Römersiedlung auf dem Gebiet des heutigen Dinglingen hatte wohl länger Bestand, als die Archäologen bisher vermuteten. Das haben die Ausgrabungen in der Leopoldstraße ergeben, denen das Stadtmuseum eine Sonderausstellung widmet.

In einem Raum im Obergeschoss des Museums liegen rechteckige Sandsteine auf dem Boden, die unscheinbar aussehen, aber doch etwas Besonderes sind. Vor ungefähr 1.900 Jahren waren sie Teil einer massiven Steinmauer, die unweit der heutigen Aral-Tankstelle an der B 3 stand. Zwischen Juli 2019 und April 2020 buddelte dort ein Archäologen-Team und legte dabei auch die Mauer frei – für Lahr ein Sensationsfund.

Denn dass auf dem Gebiet des heutigen Dinglingen um 100 nach Christus eine Römersiedlung stand, war zwar nichts Neues. Doch bis dahin war es nur gelungen, jahrtausendealten Schutt ans Licht zu bringen, Reste zerstörter Gebäude. Nun tauchte dort erstmals ein unzerstörtes Überbleibsel aus der Römerzeit auf – die Mauer.

 Die Ausgrabungen: Auf dem Areal wurden Abertausende von Resten römischen Lebens freigelegt, darunter säckeweise Scherben, meist Bruchstücke von römischen Dachziegeln. Auch Überreste von "Lahrer Ware" kamen zum Vorschein, graue Töpferwaren, die dort einst hergestellt wurden und ein wichtiges Handelsgut waren.

Ende der Römersiedlung wird nach spektakulärem Münzenfund neu datiert

Gefunden wurden auch 75 antike Münzen, aber nicht auf einem Haufen, sondern jede einzeln für sich – es gab also keinen "Schatz von Lahr". Zumal kein Gold ausgegraben wurde, sondern römisches Kleingeld aus Kupfer, Bronze und Messing.

Die Augen der Archäologen brachten aber auch diese antiken Geldstücke zum Glänzen, da ein besonderes Exemplar dabei war, eine kaum abgenutzte Münze mit dem Konterfei des römischen Kaisers Severus Alexander, der 235 nach Christus ermordet wurde. Bis etwa in jene Zeit muss die Römersiedlung bestanden haben, folgerten die Archäologen. Zuvor war angenommen worden, dass das Ende des "Vicus Lahr-Dinglingen", in dem 700 bis 800 Menschen gelebt haben sollen, einige Jahrzehnte früher gekommen war.

Neue Erkenntnisse: Den Menschen der Siedlung war ihr gepflegtes Äußeres wichtig, darauf weisen Armringfragmente, Fingerringe, Perlen und Haarnadeln für Hochsteckfrisuren hin, die dort gefunden wurden. An der Grabungsstelle in der Leopoldstraße entdeckten die Archäologen auch einen Ring mit markanter Inschrift: TIA/MO – "ich liebe dich", steht dort, wohl einst die Gabe eines Römers an seine Herzensdame. Gefunden wurden auch zwei filigrane Fragmente eines Weinsiebes – der erstmalige Beleg, dass in der Römersiedlung Wein getrunken wurde. Ausgiebige Funde von Tierknochen lassen laut Lieb darauf schließen, dass dort in größerem Stil Hornschnitzerei betrieben wurde, wobei vermutlich kleinere Alltagsobjekte wie Messergriffe, Löffel, Haarnadeln oder Kämme entstanden – auch das wusste man vorher nicht.

In einer Grube wurden mehr als 400 Knochenabfälle gefunden, wobei Schulterblätter häufig vertreten waren. Sie zeigen Auffälligkeiten wie abgehackte Gelenkenden und Schnittspuren. Diese Funde interpretieren die Archäologen als Abfälle von geräucherten Vorderschinken – Schäufele waren offenbar bereits damals eine typische regionale Spezialität.

Bleibt die Frage nach der Einordnung der Mauer. Nach Ansicht der Archäologin deutet alles darauf hin, das es im südlichen Teil des Vicus eher private Grundstücke gab, und zwar im Stil des römischen Streifenhauses, das im Bürgerpark nachgebaut worden ist. Weiter nördlich habe sich wohl das Zentrum der Siedlung befunden. Die Überreste in der Leopoldstraße würden auf ein Versammlungsgebäude oder einen Tempelbau hindeuten.

Im Vicus lebten gallorömische Familien, die vermutlich aus Gallien stammten, ihre Gebräuche mitbrachten, sich aber zunehmend der römischen Lebensweise anpassten. Es waren einfache Handwerker, Kleinhändler und Tagelöhner, wie in der Ausstellung auf einer Infotafel nachzulesen ist. Die Siedlung sei als Drehscheibe für Handel und Verkehr an der Kreuzung zweier wichtiger Fernstraßen entstanden, einer nord-süd verlaufenden Rheinstraße und einer Route, die aus dem Schwarzwald nach Osten führte.

 Die Ausstellung: All das und noch viel mehr verrät die sehenswerte Sonderschau "Ausgegraben und Ausgestellt" im Stadtmuseum, die Anfang Juli eröffnet wurde und noch bis zum morgigen Sonntag zu sehen ist. Konzipiert wurde sie von Kathrin Lieb, die den Textautor auf die Frage nach ihrem Lieblingsstück zielstrebig zu einer Vitrine mit Römerschmuck führt. Darin sind silberne S-Haken zu sehen, an denen Römerinnen Halsschmuck befestigten, aber auch ein Haken, der wahrscheinlich zu einem Ohrring umgearbeitet wurde. Darauf lässt laut Lieb ein kleiner Stift an der Spitze schließen – "das war wohl einst der Ohrstecker". Ein römischer Ohrring dieser Art ist nirgends sonst gefunden worden, auch nicht in Rom, wie Lieb betont.

Der Sonderausstellung zu den Grabungen in der Leopoldstraße sind zwei Räume im Obergeschoss gewidmet. Lieb hat jedes Stück sorgfältig ausgewählt, das dort zu sehen ist, darunter natürlich die 75 Münzen, aber etwa auch größere Amphoren, die in mühevoller Puzzlearbeit aus zahlreichen Scherben zusammengesetzt worden sind.

Doch es werden nicht nur die schönsten Funde gezeigt, vielmehr informiert die Schau auch über die Arbeit der Archäologen in der Leopoldstraße. In einer Ecke lehnen Spitzhacken und Schaufeln, die bei gröberen Aufgaben verwendet wurden, während in einer Vitrine das feinere Werkzeug liegt – Spitzkelle, Spatel oder Winkelkratzer. Großformatige Fotos zeigen Archäologiestudentinnen, die sich über die Fundstellen beugen, wobei einige Polster unter den Knien haben. "Archäologie geht auf die Gelenke, da muss man aufpassen", erklärt Lieb.

Meist wurde "händisch gegraben", wie auf einer Infotafel erklärt wird, doch auch modernste Technik kam zum Einsatz: Aus 2D-Bildern, die eine Drohne aus unterschiedlichen Blickwinkeln machte, wurde eine 3D-Oberflächenberechnung erstellt. Das Ergebnis wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt. Zu sehen sind auch großformatige Zeichnungen, die das Leben vor 1900 Jahren im Römerdorf veranschaulichen. Darauf ist auch eine Art Tempel zu erkennen, in dem kultische Handlungen vollzogen werden, außerdem größere Feuerstellen, von denen ebenfalls Überreste gefunden wurden. "Die Zeichnungen sind allerdings nur Annäherungen", stellt Lieb fest. Man wisse nicht, wie die Römersiedlung genau ausgesehen hat.

Das Grabungsareal heute: Die 964 Quadratmeter große Ausgrabungsfläche lag im Westen in der Stadt, drumherum war bereits alles bebaut. Nur wenige Schritte entfernt rauschte auf der Bundesstraße der Verkehr vorbei, während die Archäologen vorsichtig das Terrain freilegten.

Funde verzögern Hausbau, verhindern ihn aber nicht

Das Gewann befindet sich inmitten des 1955 ausgewiesenen Grabungsschutzgebiets "Lahr-Mauerfeld, römische Siedlung". Bevor dort noch ein Wohngebäude errichtet werden darf, müssen die Denkmalschützer ihr Okay geben. Deshalb wurden Sondierungsgrabungen veranlasst, bei denen bereits kurz unter der Grasnarbe die Überreste aus der Römerzeit zum Vorschein kamen. Daraufhin wurde die Grabungsfirma Archaeo-Task damit beauftragt, die Funde zu sichern. Die Grabung kostete rund 300.000 Euro, die von der Stadt Lahr übernommen wurden.

Nicht lange, nachdem die Archäologen im April 2020 abrückten, kamen Bagger und hoben das Fundament für ein größeres Wohngebäude aus, das mittlerweile weitgehend fertig ist. Von der Römersiedlung ist nichts mehr zu sehen.

Blutet der Archäologin deshalb nicht das Herz? Nein, erwidert Kathrin Lieb. Alles, was dort ausgegraben wurde, darunter sämtliche Steine der Mauer, werde heute im zentralen Archiv in Rastatt des Archäologischen Landesmuseums aufbewahrt. Die Funde seien dokumentiert und so für die Nachwelt gesichert worden. Außerdem denke sie darüber nach, einige Exponate der jetzigen Sonderausstellung später in der Dauerausstellung zur Römerzeit im Museum zu zeigen.

Öffnungszeiten

Die Schau "Ausgegraben und Ausgestellt" wird noch bis Sonntag im Stadtmuseum gezeigt, danach wird sie abgebaut. Das Museum ist mittwochs bis sonntags von 11 bis 18 Uhr geföffnet. Besucher müssen einen 3G-Nachweis vorlegen.