Aufführung: Lahrer Tanztheater hat für "Muxical" eigene Choreografie entwickelt
Lahr - Die neue Produktion von "Szene 2wei" spielt in einer Gendercollage mit der Auflösung der Geschlechterrollen, schlägt eine Brücke vom Tanztheater in Richtung Musical. "No Name* – das Muxical" wurde im Lahrer Kesselhaus aufgeführt.
Die einstündige Produktion nach einer Choreografie von William Sanchez H. geht eigene Wege und löst die Muster eines reinen Tanzstücks auf. Naturlaute, Vogelgezwitscher und elektronische Beats prallen auf Popsongs, die Tänzer und der als Drag Queen gestylte DJ Josema lassen immer wieder Elemente einer fetzigen Bühnenshow aufblitzen.
Internationale Besetzung ausgebremst
Die 2009 im Umfeld der Folkwang Universität in Essen gegründete Tanzkompanie denkt vieles neu. Menschen mit und ohne Handicap bilden ein professionell agierendes Ensemble, das eigene Choreografien und Stücke auf die Bühne bringt. Zum festen Stamm von "Szene 2wei" gehören Jörg, Matthieu, Deborah und Ricarda, die im Rollstuhl sitzt. Die vier hätten wegen ihrer Behinderung normalerweise nicht den Hauch einer Chance auf eine professionelle Tanzausbildung.
Angesteckt von ihrer Begeisterung für den Tanz haben Timo Gmeiner und William Sanchez H., die beiden Leiter und Gründer der Kompanie, für sie das Modell einer berufsbegleitenden Ausbildung entwickelt, die fünf Jahre dauert. Vormittags arbeiten sie in den "Lahrer Werkstätten", nachmittags wird im Tanzstudio von "Szene 2wei" trainiert.
Die Wege sind kurz, gleich nach dem Umzug nach Lahr hat die Tanzkompanie auch eine Wohngemeinschaft in unmittelbarer Nachbarschaft des Sutios bezogen, die nun in Zeiten von Corona zur Trumpfkarte des Ensembles wurde. Andere Kompanien werden durch das Abstandsgebot, ihre internationale Besetzung ausgebremst. "Szene 2wei" integriert die an der jeweiligen Produktion beteiligten Tänzer temporär in die häusliche Gemeinschaft der Truppe. Im Sommer wurde so das "Rapunzel Projekt" – mit Aufführungen im öffentlichen Raum – aufgelegt.
Genderthematik wird in einem lustvollen Spiel ausgespielt
Beim neuen Stück ist der Einstieg statisch, acht schwarz verhüllte Gestalten, ein überlebensgroßer Teddybär, kaum Bewegung, eine vollkommene Stille, die von Vogelgezwitscher abgelöst wird. Der in Köln lebende DJ Josema ist der erste, der sich aus dem schwarzen Overall herausschält und die Maske der Neutralität ablegt.
Eine schillernde Drag Queen im roten Kostüm, lasziv, temperamentvoll, eine überschäumende Performance zum Popsong "I Feel Like Dancing". Eiji Takeda, Deborah Heim, Jörg Besse, Mathieu Bergmüller, José Manuel Ortiz, Ricarda Noetzel und Fernando Balsera greifen in das sich immer mehr beschleunigendes Geschehen auf der improvisierten Bühne ein.
Schillernde Kostüme und High Heels, Poesie und Sinnlichkeit, der Tanz ein fortwährender Flirt mit dem Publikum, bei dem sich die Geschlechterrollen lustvoll auflösen. Deborah agiert mit maskulinen Gesten, Jörg und Matthieu kontern mit koketter Weiblichkeit. Hämmernde Beats sorgen für ein immer rasanteres Tempo, das Ensemble spielt mit einem gläsernen Tisch, der als Plattform und Schaufenster dient, wie der Rollstuhl von Ricarda als variables Element einbezogen wird. Das Stück interpretiert zeitgenössisch das Musical und breitet die Genderthematik in einem lustvollen Spiel aus. Das Finale schäumt über zu den Klängen von Little Richards "She’s Got It".
Aufführungen
"No Name* – Das Muxical" wird in den kommenden Monaten in Karlsruhe, Berlin und Essen aufgeführt, im Frühjahr dann aufgrund der großen Nachfrage nochmal in Lahr.