Thomas Marwein, GrünenLandtagsabgeordneter des Wahlkreises Offenburg, protestierte mit. Foto: Deckert/Schauer

"Fessenheim ist eine Bedrohung": In Kehl, Schwanau und Straßburg fordern Anti-Atom-Aktivisten die Abschaltung des Atomkraftwerks im Elsass.

Kehl - "Es gibt Menschen, die hoffen, wenn sie nur lange genug Verbrechen an der Menschheit begehen, dann regt sich keiner mehr darüber auf", ruft Petra Rumpel in ihr Megafon. Die gelbe Metalltonne, auf der sie steht, wackelt leicht. Um sie herum auf der Europabrücke zwischen Kehl und Straßburg stehen etwa 600 Menschen – pfeifen, rufen, schreien. "Profitgier ist einer der Gründe, warum es vor drei Jahren zum Reaktorunglück in Fukushima und vor 28 Jahren zum Gau in Tschernobyl kommen konnte." Die Atomkraft gefährde die Lebensgrundlage der Menschen, vor allem der Pannenreaktor in Fessenheim sei eine enorme Bedrohung. "Deswegen sind wir heute hier: Wir wollen unsere Empörung kund tun und unseren Wunsch äußern, dass sich was tut. Fessenheim, abschalten. Jetzt", brüllt die Geschäftsführerin des Umweltzentrums Ortenau – und die Menge schließt sich dem Schlachtruf an.

Rückblick: Über den Kehler Bahnhofsplatz dröhnen dumpfe Schläge. Ein Anti-Atomkraft-Aktivist sitzt an seinem Schlagzeug und stimmt die etwa 300 wartenden Menschen auf ihren Feldzug ein. Ihr Ziel: Die Abschaltung des Atomkraftwerks (AKW) in Fessenheim. Und: Die mahnende Erinnerung an das Reaktorunglück in Fukushima vor drei Jahren sowie an den Gau in Tschernobyl vor 28 Jahren. Dafür wollen sie vom Kehler Bahnhof bis zur Hälfte der Europabrücke ziehen und sich dort mit Gleichgesinnten aus Frankreich treffen, die sich am anderen Ufer des Rheins ebenfalls bereits versammeln. Fast zur selben Zeit kommen in Schwanau-Nonnenweier an der Brücke hinüber ins elsässische Gerstheim etwa 50 Radfahrer angestrampelt – im Korso von Lahr bis Schwanau. In Offenburg treffen sich die AKW-Gegner aus Deutschland und Frankreich auf der Pflimlin-Brücke.

Unzählige gelbe "Atomkraft? Nein danke"-Fahnen wehen im Kehler Wind. Wer noch keine hat, kann am Stand des Umweltzentrums Ortenau noch schnell eine kaufen. Rumpel und ihr Team haben alle Hände voll zu tun – einige Menschen scheinen sich spontan für die Teilnahme an dem Demonstrationszug zu entscheiden. Die Meisten, ob jung oder schon etwas älter, kommen jedoch recht gut vorbereitet. Aus ihren Rucksäcken holen sie zusammengerollte Fahnen, selbst gebastelte Plakate und Kostüme.

Mitten unter ihnen: Offenburgs Grünen-Landtagsabgeordneter Thomas Marwein. "Bei mir im Büro hängt auch so eine Fahne", sagt er lachend und deutet auf den Klassiker in gelb. "Am Anfang haben sich da manche Parlamentarier-Kollegen in Stuttgart noch darüber aufgeregt – jetzt sagen sie nichts mehr." Dann wird er ernst. "Ich bin heute hier weil ich an den Atom-Ausstiegsbeschluss von Frankreichs Präsident Hollande für das Jahr 2016 erinnern und sicherstellen möchte, dass er eingehalten wird", sagt er. Das Arbeitsplatz-Argument der Atomkraft-Befürworter könne er leicht entkräften: "Von einem der Betreiber des AKW in Neckarwestheim weiß ich, dass alle, die dort arbeiten, noch Jahre nach der Stilllegung beschäftigt sind."

Dann geht es los: Ilse Weghaupt, eine der Aktivistinnen um Rumpel und das Umweltzentrum, erklimmt eine Bank, das Megafon fest in der Hand. »Wir treffen uns in der Mitte der Brücke, um einander die Hand zu geben, um Solidarität mit den französischen Demonstranten zu zeigen«, schwört sie ihre Mitstreiter ein. "Mehr als 200 Menschen haben sich in Fukushima in den vergangenen drei Jahren das Leben genommen, weil sie für sich, ihr Familien und ihre Existenz keinen Ausweg mehr gesehen haben."

Hupend, trillernd und trötend machen sich die Deutschen nach der Ansprache auf den Weg. Als sie auf die Brücke einbiegen, trägt der Wind schon die musikalische Schlachtbegleitung der französischen Demonstranten über die Europabrücke. Um 14 Uhr haben sie sich mit der Musik voraus in Bewegung gesetzt, die Aktivisten von "Stop Fessenheim" gehen hinter einem Spruchband an der Spitze des Zugs. Dahinter haben sich auch fünf Stadträte aus der Stadtgemeinschaft von Straßburg eingereiht.

Für Alain Jund, beigeordneter Bürgermeister in Straßburg und Spitzenkandidat der Grünen bei der Kommunalwahl Ende März, ist Fessenheim auf jeden Fall ein Thema "für alle am Oberrhein und nicht nur in Fessenheim und ein bisschen drum herum."

Es sind aus Frankreich vor allem die Menschen zur Demonstration gekommen, die sich als Bürger betroffen fühlen. Sie halten keine Plakate in die Höhe, skandieren keine Parolen. »Wir kommen, weil es um uns alle geht«, sagt ein Paar. "Wir müssen hier einfach alle anpacken. Über den Rhein hinweg sowieso", betonen drei Frauen aus Straßburg. Eine kleine Kundgebung auf dem gelben Metallfass gibt es dann aber doch noch - und zwar von beiden Seiten.

Um den Toten zu gedenken und anschaulich zu zeigen was passiert, sollte es zu einem Gau kommen, legen sich die Demonstranten danach auf die Brücke. Durch das Megafon dröhnt ein Sirenensignal, ein Mann hebt eine rote Leuchtrakete in die Luft. Nur ein als Tod verkleideter Mann bleibt stehen und schwingt seine Sense durch die Luft.

Ein französischer Demonstrant ruft von der Brücke gehend: "Das war’s. Die letzte Demo zu Fessenheim. Weil jetzt machen sie ja dicht". Wohl wissend, dass rund 80 Prozent des Stroms im ganzen Elsass aus dem AKW in Fessehnheim kommen.