Demontage des verletzten Capitano hat begonnen: Lahm will Binde nicht zurückgeben.

Pretoria - Vor dem WM-Halbfinale gegen Spanien am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD) in Durban ist in der Nationalelf ein offener Machtkampf ausgebrochen. Kapitän Philipp Lahm macht dem verletzten Michael Ballack für die Zeit nach der WM die Rolle des Spielführers streitig - die Demontage des Capitano hat begonnen.

Ein gutes Gefühl hatte keiner, der während der WM in Südafrika in der Nationalmannschaft das Sagen hat. Hier Philipp Lahm, der Kapitän, und dort Michael Ballack, der Capitano - so waren die internen Machtverhältnisse nach dem verletzungsbedingten WM-Ausfall Ballacks geklärt, zumindest fürs erste. Die Frage, wer denn der eigentliche Spielführer ist, war somit vertagt, und mit ihr die Frage, wer nach der WM der Kapitän sein würde.

Jetzt aber hat die Realität alle Beteiligten schneller eingeholt, als ihnen lieb ist. Denn Philipp Lahm ist drauf und dran, neue Fakten zu schaffen. Der Interims-Kapitän hat so große Freude an seinem neuen Amt, dass er es nicht wieder abgeben will. "Die Rolle des Kapitäns macht mir sehr viel Spaß. Wieso sollte ich das Amt dann freiwillig abgeben?", sagte der Verteidiger von Bayern München - Bundestrainer Joachim Löw müsste ihn also dazu zwingen. Es sei doch klar, "dass ich die Kapitänsbinde gerne behalten möchte: "Wenn man seine Rolle auf dem Platz ausfüllt und sie im Griff hat, so wie ich auf meiner Position, dann will man mehr. Dann will man mehr Verantwortung, dann will man sich um das Ganze kümmern. Und das ist jetzt bei mir der Fall."

Damit hat er eine offene Konfrontation in der DFB-Auswahl geschaffen, die Demontage des bisherigen Platzhirsches Ballack (33) ist eingeleitet. Zufall oder nicht: Lahm stellte seine Ansprüche nur Stunden nach Ballacks Abreise aus dem DFB-Quartier in Pretoria, die auffallend überstürzt wirkte - weil es zuvor zum Streit mit Philipp Lahm gekommen war? Ballack war erst zum Viertelfinalspiel gegen Argentinien am vergangenen Samstag angereist.

Ballack schwimmen die Felle davon

"Ich habe mich gefreut, meine Kollegen für einige Tage in Südafrika zu sehen und einen hervorragenden Eindruck von der Mannschaft gewonnen", erklärte Ballack. Er verwies auf einen glänzenden Heilungsverlauf nach seiner schweren Bandverletzung im rechten Sprunggelenk. Die DFB-Mediziner müssten sich jetzt vor allem um die WM-Spieler kümmern.

Offenbar spürt Ballack nur zu deutlich, wie ihm die Felle in der Nationalmannschaft davonschwimmen. Auch ohne ihren bislang einzigen Star von Weltrang spielt die DFB-Auswahl ein glänzendes WM-Turnier, vor allem überzeugt sie mit ihrer spielerischen Klasse wie schon lange keine Auswahl vor ihr. Nach dem 4:0-Sieg gegen Argentinien sagte Ballack mit bitterer Miene: "Für mich tut es schon weh, ich hätte gerne auf dem Platz gestanden."

2002 hatte Ballack die Nationalmannschaft mit seinen Toren ins WM-Finale geschossen, beim 0:2 gegen Brasilien hatte er dann aber gesperrt zusehen müssen. 2006 platzte der Traum im WM-Halbfinale gegen Italien in der Verlängerung - Ballack vergoss noch auf dem Feld bittere Tränen. Zwei Jahre später standen im EM-Endspiel in Wien beim 0:1 jene Spanier im Weg, die nun in Durban wieder auf das deutsche Team warten. Die Jugend-Welle könnte ihn nun zum unvollendeten Fußballer machen, der in seiner DFB-Laufbahn vergebens auf den Gewinn eines großen Titels gehofft hat.

Für seine Kollegen sind diese Debatten aktuell aber nur ein Randthema. Auf Ballacks Besuch angesprochen sagte Bastian Schweinsteiger: "So eng war er ja nicht bei uns, weil jeder selbst weiß, was zu tun ist. Jeder ist auf sich fokussiert." Ballack, konnte man heraushören, störte da eher.