In Belarus herrscht Ausnahmezustand, an der Grenze zwischen Belarus und Polen spielen sich dramatische Szenen ab. Viele Flüchtlinge wollen nach Deutschland. Der Kreis Rottweil spürt bereits den Anstieg der Zahlen deutlich. Jetzt werden neue Unterkünfte gesucht. Sozialdezernent Bernd Hamann erläutert im Gespräch mit unserer Redaktion die aktuelle Lage.
Kreis Rottweil - Während die Politik darüber streitet, wie mit der dramatischen Lage umzugehen ist und sich CDU-Politiker Wolfgang Schäuble für eine "schnelle, humanitäre Lösung" und zügige Asylverfahren ausgesprochen hat, ist Bernd Hamann direkt an der Basis bereits mit den Auswirkungen der dramatischen Lage beschäftigt. Die Zahl der Flüchtlinge, die im Kreis Rottweil ankommt, steigt deutlich. "Und wir müssen dafür sorgen, dass sie irgendwo unterkommen", sagt der zuständige Sozialdezernent im Rottweiler Landratsamt. Die Suche nach Unterkünften im ganzen Kreisgebiet läuft.
Zuletzt alle Unterkünfte zurückgefahren
Das Problem: Vor noch nicht allzu langer Zeit war man mit dem genau gegenteiligen Prozedere beschäftigt. Es galt, die nach der Flüchtlingswelle 2015 bestehenden Unterkünfte gemäß eines Abbaukonzepts des Landes nach und nach aufzugeben. "Bis März waren wir dran, den Wohnraum zurückzufahren", so Hamann. Dann sei aber ein Stoppsignal gekommen – auch aufgrund der Corona-Entwicklung, durch die sich in den bestehenden Aufnahmestellen mehr Platzbedarf ergeben hatte.
Bezüglich der aktuellen Zahlen betont Hamann, dass die Lage natürlich nicht mit der Situation von 2015 zu vergleichen sei. "Damals wussten wir ja zeitweise nicht, wie es weitergeht", erinnert er. Doch auch jetzt gebe es angesichts der Entwicklung deutlichen Handlungsbedarf. Die Kurve geht nach oben.
Zahl der Geflüchteten pro Monat hat sich verdreifacht
So seien von Januar bis August im Schnitt rund zwölf Flüchtlinge pro Monat in den Kreis Rottweil gekommen, im September waren es dann 20, im Oktober 26 und im November bis jetzt schon 37. Von einer weiter steigenden Tendenz ist auszugehen.Vorwiegend seien die Asylsuchenden, die in den Landkreis kommen, aus Syrien, Afghanistan und Nordafrika. "Die Zahlen werden steigen, das wird uns auch von allen Seiten so angekündigt", so Hamann.
Hinter jeder Zahl stecken Menschen, die "man nicht auf der Straße stehen lassen kann, sondern für die wir einen Platz haben müssen", sagt der Sozialdezernent. Deshalb müsse nun verstärkt und vorausschauend Wohnraum angemietet werden. Würde man aktuell nicht reagieren, dann wären die Kapazitäten schon Ende des Jahres erschöpft.
Konflikte vermeiden
Bewährt habe sich – so die Erfahrungen aus 2015 – die dezentrale Unterbringung der geflüchteten Menschen im ganzen Landkreis, sowohl mit Blick auf die Integration als auch mit Blick auf mögliche Konflikte. Man spreche aktuell mit potenziellen Vermietern über die Möglichkeiten und Konditionen, Vermittler seien hier oft die Rathäuser, mit denen man dies abstimme. Die Zuständigkeiten sind zwar unterschiedlich, vermischen sich aber teilweise irgendwann auch: Für die vorläufige Unterbringung der Geflüchteten ist der Kreis zuständig, für die Anschlussunterbringung sind dann die Kommunen verantwortlich, erklärt Hamann.
Diese erfolge nach 24 Monaten oder früher, sobald die Anerkennung des Asylantrags durch ist. Nicht zwingend müssten die Menschen dann die Wohnung wechseln, manchmal springe die Stadt oder Gemeinde dann in den bestehenden Mietvertrag ein.
Verteilung auf Kommunen
Doch wie werden die Menschen nun im Kreis auf die Gemeinden verteilt? Wird der Schlüssel gemäß Einwohnerzahl angewandt? "Ja, wir gucken natürlich auf die Verteilung, aber wir können es nicht immer so steuern", sagt Hamann. Wenn dringend Wohnraum gebraucht wird, muss pragmatisch vorgegangen werden: Dort, wo es eine Möglichkeit zum Mieten gibt, wird gemietet. In Rottweil habe man zudem die Sondersituation mit der Asylunterkunft in der unteren Lehrstraße, wo Menschen unterkommen können.
Hamann lässt durchklingen, dass er sich vom Land durchaus etwas mehr frei Hand wünsche, wenn es um die Unterkunftssuche geht. Vor allem wenn es schnell gehen muss. Es seien "sehr intensive Gespräche" erforderlich.
Dass jetzt gerade nach dem großen Abbau des Wohnraums für Geflüchtete nunalles wieder hochgefahren werden muss, kostet natürlich Kraft und zehre auch. Gleichzeitig könne man auch nicht über Monate nur für den Fall der Fälle Wohnraum vorhalten, der nicht genutzt wird. "Es sind ja letztlich Steuergelder, mit denen müssen wir ordentlich umgehen."
Eine langfristige Prognose, wie sich die Zahlen entwickeln werden, ist laut Hamann nicht möglich. Dennoch ist der erfahrene Sozialdezernent zuversichtlich: "Wir haben es bislang immer hinbekommen."