Der Kirchheimer Autositzhersteller Recaro will „gestärkt aus der Krise hervorgehen“. Nach einer Infoveranstaltung der Geschäftsleitung aber zeigt sich der Betriebsrat skeptisch. Die Produktion soll weiterlaufen, teilt das Management mit.
Die Insolvenz soll nicht zum letzten Kapitel in der Geschichte des traditionsreichen Autositzherstellers Recaro in Kirchheim/Teck werden. So jedenfalls hat es die Geschäftsleitung bei einer Mitarbeiterinfo am Dienstag versichert. Nach der Kommunikationspanne rund um den Insolvenzantrag aber zeigte sich der Betriebsrat skeptisch. Dessen Vorsitzender Frank Bokowits spricht von „jahrelangem Missmanagement vom Allerfeinsten“, das den Betrieb in die Krise geführt habe.
Die 215 Beschäftigten in Kirchheim hatten am Montag nicht durch das Management von der Zahlungsunfähigkeit des Betriebs erfahren, sondern durch die Push-Meldung eines Internetportals, die sich via Whatsapp rasant verbreitete. Als sich die Bestätigung dann auf der Website für Insolvenzbekanntmachungen rasch beibringen ließ, war das Unverständnis umso größer.
Bei der Infoveranstaltung am Dienstagvormittag entschuldigte sich die Geschäftsführung dann bei der Belegschaft. Man sei vom zeitlich nicht kalkulierbaren Ablauf überrascht worden, nachdem der Insolvenzantrag am Freitag gestellt worden war.
Recaro-Beschäftigte sind durch Insolvenzgeld vorläufig abgesichert
In den nächsten drei Monaten, in denen die Gehälter durch eine Insolvenzgeld-Vorfinanzierung abgesichert werden, soll nun mithilfe der Beratungsfirma Baker Tilly ein Restrukturierungsplan für die Recaro Automotive Seating GmbH erarbeitet werden. Das Unternehmen gehört seit 2020 zu der US-amerikanischen Investmentgesellschaft Raven Acquisitions LLC. Die Auslandsgesellschaften – Recaro produziert auch in den USA und in Japan – sind von der Insolvenz nicht betroffen. Die Firma sei „aufgrund extremer Preissteigerungen und einer negativen Entwicklung des Gesamtmarktes in den vergangenen Krisenjahren sowie wegen des Wegfalls eines Großauftrages in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten“, teilte Baker Tilly am Dienstagabend mit. Man wolle mit Mitarbeitern, Lieferanten und Kunden „als Team eng zusammenarbeiten“, um „schon bald wieder auf festen wirtschaftlichen Füßen zu stehen“. Die Produktion werde in vollem Umfang aufrecht erhalten, um bestehende Aufträge und Neuanfragen von Kunden zu erfüllen.
Um die Interessen der Gläubiger zu sichern, wurde vom Insolvenzgericht in Esslingen der Stuttgarter Fachanwalt Holger Blümle als vorläufiger Sachwalter eingesetzt. Ziel der Insolvenz in Eigenverwaltung, so teilt dessen Kanzlei Schultze&Braun mit, sei es, die Zahlungsfähigkeit wieder zu erlangen und den Betrieb fortzuführen. Solche Verfahren würden in der Regel auch vorher mit den wesentlichen Gläubigern abgestimmt.
Man wolle „gestärkt aus der Krise hervorgehen“ und die Belegschaft künftig in kurz getakteten Infoveranstaltungen über den Fortgang informieren, hieß es am Dienstag bei Recaro. Der Betriebsrat bemängelt jedoch, dass es keine konkrete Zusage dafür gegeben habe, die Produktion in Kirchheim zu erhalten. Nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre sei er skeptisch, sagte BR-Chef Bokowits. Aus seiner Sicht gab es fragwürdige Management-Entscheidungen – bei der Auswahl von Lieferanten, bei der Auslagerung der Logistik und bei der Konzentration auf einzelne Großaufträge.
Früher hätte man neben dem Geschäft mit sportlichen Autositzen zum Nachrüsten parallel mehr als ein Dutzend Hersteller beliefert, sagt der Betriebsrat. Darunter waren klangvolle Namen wie Porsche und Mercedes-AMG, die Recaro-Sitze teils in Serien-, teils in Sondermodellen einbauten. Heute aber schlägt es mächtig ins Kontor, wenn der momentan einzige Großkunde Ineos Aufträge abmeldet, weil sich das Geländeauto Grenadier nicht verkauft wie erhofft.
Recaro: Ruhmreiche Geschichte, schwierige Zukunft
Von der Historie kann Recaro nicht leben, auch wenn sie schillernd und eng mit Porsche verbunden ist. Der Sattlermeister Wilhelm Reutter hatte 1906 in der Augustenstraße die „Stuttgarter Carosserie- und Radfabrik“ gegründet. 1930 ging er eine Partnerschaft mit Ferdinand Porsche ein und eröffnete eine Produktionsstätte in Zuffenhausen, die zur Keimzelle für die Porsche-Karosseriefertigung wurde.
1963 verkaufte Reutter das Werk an Porsche und konzentrierte sich auf die Herstellung von Sitzen. Der Name Recaro ist eine Kurzform von Reutter Carosserie. 1983 verkaufte die Familie Reutter die Firma, 2011 wurde Recaro aufgespalten – und die Autositzsparte ging zunächst an den US-Konzern Johnson Controls.
Während sich die Recaro Holding in Stuttgart auf die Produktion von Flugzeug-, Bahn- und Computer-Gaming-Sitzen spezialisiert hat, hat sich Recaro in Kirchheim per Lizenz die Markenrechte für die Autositze gesichert. Nach mehreren Eigentümerwechseln gehört die Firma seit 2020 zur US-Firma Raven – die nun den Betrieb auf neue Beine stellen muss.