Der gebürtige Ukrainer Ivan Zozulya zeigt seine Werke bei Schacher Foto: Schacher/ms

Es ist Krieg in Europa – und die Kunst hisst auf ganz eigene Weise die Fahne der Freiheit und der Demokratie. Spürbar ist dies auch und gerade in Stuttgarts Privatgalerien.

Es ist Krieg in Europa – und die Kunst hisst auf ganz eigene Weise die Fahne der Freiheit und der Demokratie. Spürbar ist dies auch und gerade in Stuttgarts Privatgalerien. In diesen Tagen starten zahlreiche Ausstellungen – und schon jetzt bereiten sich 18 Galerien auf ihr gemeinsames großes Kunstwochenende am 9. und 10. April vor – zum zweiten Mal gibt es den Rundgang Art Alarm auch im Frühjahr – zu sehen sein wird dann auch eine Einzelausstellung des in der Ukraine geborenen Malers Ivan Zozulya. Eröffnet wird dessen Schau „Nicht nur Kippbilder“ im Kunstraum Schacher (Breitscheidstraße 48) bereits an diesem Freitag, 18. März (19 bis 23 Uhr).

Ivan Zozulya bei Schacher

Poltava ist eine Stadt im Osten der Ukraine. Poltava ist Partnerstadt der Fildergemeinden Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen und Ostfildern. Und in Poltava ist 1990 Ivan Zozulya geboren. 2012 (bis 2019) reiht er sich in der Stuttgarter Kunstakademie ein in die Phalanx internationaler Studierender der Malklasse von Cordula Güdemann. Das doch ganz der Malerei vertrauende erzählerische Programm von Güdemann zieht ihn an, die Möglichkeit, im Sprachengewirr nicht unüberhörbar, aber doch unübersehbar eigene Geschichten zu erzählen.

„Peace Papers“ reagieren auf den Krieg

2018 macht er doppelt auf sich aufmerksam – mit den Serien „Irgendwas zwischen Kopf und Karte“ sowie „Szenen mit Handelnden“. Papierarbeiten, die Abgründe fein umkreisen, einkreisen. Jetzt dient Zozulya der schnelle Strich auf Papier wieder zu unmittelbaren Reaktionen. „Peace Papers“ nennt er den neuen Zyklus, dem im Ausstellungsraum von Katrin und Marko Schacher im Galerienhaus Stuttgart ein eigener Auftritt gilt. Der eigentliche Höhepunkt? Ein Hinweis auf jeden Fall, dass sich Zozulya in seiner aktuellen Bildwelt voller inhaltlicher, formaler und farblichen Verdichtungen, Überlagerungen und Verschränkungen nicht wirklich einrichten will. Zozulya, das zeigen seine „Peace Papers“, weiß: Das real Böse lässt sich mit sphärischer Überhöhung nicht bändigen. Umgekehrt aber gilt: Das Wissen um das rituelle Städtemorden in Europa und das Ringen um den Menschenbruder Kiew schärfen den Blick für die Härten in Zozulyas „Kippbilder“-Zyklus, für den ständigen Balanceakt zwischen purer Entwicklung und Ausbruch.

„Porträt“ in der Galerie von Braunbehrens

Bereits eröffnet ist in der Galerie von Braunbehrens (Rotebühlstraße 87) ein Panorama mit neun aktuellen Positionen zum Thema Porträt. Dass uns dieser Tage der Mensch wieder in aller Härte als unbekanntes Wesen gegenübertritt, verändert auch in dieser Ausstellung den Klang. Noch unmittelbarer formen sich die Gesichter der Wienerin Elena Steiner zur Fratze eines sich selbst zersetzenden Kapitalismus, noch wuchtiger stehen die Figuren des Engländers Sean Henry – allen voran sein „Standing Man“ zum Auftakt der Schau – auf eigenem Grund.

Angela Merkel im Zeitraffer

Sie hat es immer wieder getan. Über Jahrzehnte. Herlinde Koelbl hat Politikerinnen begleitet, sie fast im Jahresrhythmus fotografiert. „Spuren der Macht“ ist dieser große Werkblock betitelt – und bei Braunbehrens sind nun alle Augen auf Angela Merkel gerichtet. Von ihrem Antritt als Politikerin bis zur 16 Jahre währenden Kanzlerschaft. Koelbl erspürt die Distanz, die diese Frau als Schutz sucht, von Beginn an. Sie respektiert diese Distanz – und schafft damit das fast Unmögliche: Nähe.

Lesen Sie aus unserem Angebot: So vielfältig ist die Kunstregion

Mit Recht für sich präsentiert, ist allein Koelbls Merkel-Serie den Besuch einer Ausstellung wert, die, kaum dreht man sich um, schon einen weiteren Höhepunkt bietet: eine Trilogie der in jüngster Zeit wiederholt museal gefeierten Wienerin Xenia Hausner. Briefmarken werden Hausner zur Bühne gänzlich inoffizieller zwischenmenschlicher Momente. Zu sehen sind diese feinen Balanceakte bis zum 21. April – und dürften auch beim Art Alarm am 9. und 10. April zu den Attraktionen gehören.

Patrick Lambertz bei Hartmann Projects

Nur einen Tag nach der Eröffnung der Schau mit Werken von Ivan Zozulya bei Katrin und Marko Schacher gibt es im Galerienhaus in der Breitscheidstraße 48 schon die nächste Eröffnung: An diesem Samstag, 18. März (11 bis 18 Uhr) lassen Angelika und Markus Hartmann mit „Patrick Lambertz – Chalets of Switzerland“ eine Schau beginnen, die in jeder Weise aus dem Rahmen zu fallen scheint. Die Korrektur unserer Chalet-Vorstellung ist da noch die geringste Erschütterung. Mit der Wahrnehmung von Häusern als (verletzliche) Körper macht Patrick Lambertz die stets in selbst zur abstrakten Realität werdenden Schnee fotografierten Chalets zu Fanalen erhoffter Achtsamkeit.

Zwischen Marketing und großer Stille

1972 geboren, wächst Lambertz in Deutschland, Ghana und Belgien auf, zieht 2009 in die Schweiz und wird dort bald zum gefragten Marketing-Spezialisten. Wie das zu einem passt, den die Fotografie seit dem 18. Lebensjahr nicht mehr loslässt und der mit Künstlerinnen und Künstlern wie Shirin Neshat, Rosa von Praunheim und Wim Wenders zusammenarbeitet? In seiner Fotografie – wie etwa auch in seiner Serie „Die Architektur der Jagd“ über Hochsitze – sucht Lambertz die große Stille. „Chalets of Switzerland“ spitzt seinen Blick zu, schärft damit die Blicke des Publikums.

Ausstellung trifft Buch

Die Verwirrung über das Geschaute lässt sich bald auch zu Hause klären – zwar nicht bis zum Art Alarm am 9. und 10. April, aber doch bis Mitte April erscheint bei Hartmann Books das Buch „Chalets of Switzerland“. Und wer sich zum Buch (38 Euro) noch eine Edition gönnen will, ist im ersten Anlauf mit 380 Euro dabei.

Yongchul Kim bei Thomas Fuchs

Am besten, man lässt das Farbenfeuerwerk von Yongchul Kim im lichten Ausstellungsraum der Galerie Thomas Fuchs (Reinsburgstraße 68a) zunächst einmal hinter sich und geht die schmale Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dort wartet es, das Bild, mit dem und in dem der gebürtige Südkoreaner (auch er Studierender einst bei Cordula Güdemann an der Stuttgarter Akademie) alles auf den buchstäblichen Punkt bringt.

Das grüne Kaninchen

„Begegnung. Grünes Kaninchen“ zeigt eben dies, mehr noch aber überführt das Bild alle behauptete Erhabenheit der Lächerlichkeit, alle mühsam entwickelten Schutzpanzer unserer Persönlichkeit als höchst brüchig. Einzig verlässlich ist das Zusammenspiel von Kunst und Poesie, das auf dem eigentümlichen Umweg über die Ironie in eine Zone vordringt, in der Schönheit wieder denkbar wird.

Farbe wird Gestalt

Derart elektrisiert sieht man die Großformate im oberen Ausstellungsraum schärfer. Und ja – „Begegnung. Welle“ ist das unschlagbare Museumsbild in dieser doch auch mit Spannung erwarteten Begegnung mit den neuen Arbeiten von Yongchul Kim. Das gesuchte Eigenleben der Farbe schafft hier sich auftürmende und abbrechende Gestalten. Risikoreicher fast aber erscheint nun das sein Gegenüber gleichermaßen fast einsaugende wie durch den Raum pustende Szenario „Himmel“. Zieht sich der große Erzähler Yongchul Kim zurück? Sind die Identitäten seiner gleichzeitig aus der Vorzeit wie aus der Zukunft stammenden Figuren der vergangenen Jahre wirklich geklärt? Das lässt sich noch bis zum 26. März vor den neuen Bildern von Yongchul Kim diskutieren.