Nicht nur die Stadt Albstadt, auch ihr renommierter Kunsttempel wird 50 Jahre alt und widmet sich aus diesem Anlass intensiver seiner Vergangenheit – und der Person des umstrittenen Gründungsdirektors Alfred Hagenlocher.
Mit einer Ausstellung zum wohl größten Aktivposten seines Bestandes, dem grafischen Werk von Otto Dix, leistet das Kunstmuseum Albstadt 2025 seinen wichtigsten Beitrag zum Programm des Stadtjubiläums. Am Freitag,14. März, ist Vernissage; der Katalog zur Ausstellung, der von da an zugänglich ist, enthält unter anderem einen Aufsatz von Kai Hohenfeld, in dem der Museumsdirektor die Person und Vita des Gründungsdirektors Alfred Hagenlocher beleuchtet – und die Rolle, die dieser zum einen für den Aufbau der Sammlung Walther Groz und die Gründung der Städtischen Galerie Albstadt im Jahre 1975, zum anderen Jahrzehnte zuvor als hoher Gestapo-Offizier gespielt hatte.
Von letzterem war vieles, das Meiste davon, noch 1994 unbekannt gewesen, als Hagenlocher für seine Verdienste um die Kunst die Staufer-Medaille des Landes Baden-Württemberg erhielt. Er starb 1998; in den folgenden Jahren kam nach und nach Vorschein, wer er gewesen war – vor 1945 und auch danach. Nicht zuletzt auf Initiative von Hohenfeld, der damals noch zweiter Mann im Kunstmuseum war, hielt im Februar 2020 der Stuttgarter Historiker Friedemann Rincke einen Vortrag über Hagenlocher in Albstadt, in dem zur Sprache kam, was die Kunstfreunde der Stadt bis dahin nur geahnt, allenfalls bruchstückhaft gewusst hatten: Alfred Hagenlocher war alles andere als ein kleiner Mitläufer gewesen; er hatte sich das Prädikat Täter im Dritten Reich „redlich“ verdient.
Jagd auf Widerständlervom „Hotel Silber“ aus
Und er hatte früh damit begonnen: Mit 17 war er 1931 Mitglied der NSDAP und der SS geworden, 1936 dann in die Gestapo eingetreten. Über verschiedene Wegstationen führte ihn seine Laufbahn schließlich ins Stuttgarter Gestapo-Hauptquartier, das sogenannten „Hotel Silber“, wo er Leiter des Sachgebiets IV 2b wurde. Als solchem oblag ihm die Unterwanderung und Enttarnung von Widerstandszellen wie der Stuttgarter „Gruppe Schlotterbeck“ – neun ihrer Mitglieder wurden ohne Prozess liquidiert; die entsprechende Mitteilung ans Standesamt Stuttgart trägt Alfred Hagenlochers Unterschrift.
Was in Weißrussland geschehen ist, bleibt im Dunkeln
Weitaus schwerer wiegt mutmaßlich, was Hagenlocher als Mitglied des Einsatzkommandos 8 der Einsatzgruppe B in Weißrussland zu verantworten haben dürfte, dem er 1943 über Monate angehörte – die Einsatzkommandos bekämpften nicht nur Partisanen und erstickten Widerstand im eroberten Feindesland, sie ermordeten auch Abertausende von Juden, ehe die „industrielle“ Menschenvernichtung in den Lagern anlief. Dokumente oder Akten gibt es dazu nicht; daher weiß niemand, wie Alfred Hagenlochers Beitrag zu diesem „großen Freiheitskampf des deutschen Volkes“ – ein Eintrag seiner ersten Frau im Kindertagebuch der Tochter – aussah.
Egomane und Machtmenschblieb er zeitlebens
Nach dem Krieg kam die Häutung. Hagenlocher, der 1948 noch als „Hauptschuldiger“ klassifiziert wurde, erhielt 1951 seinen Persilschein und begann ein neues Leben als Freund und Verehrer der Kunst – auch solcher, die unter den Nazis als „entartet“ galt. Er beriet Walther Groz beim Aufbau seiner Sammlung, wurde Präsident der Reutlinger Hans-Thoma-Gesellschaft, Gründungsdirektor der Städtischen Galerie Albstadt und Stifter des Meßstetter Museums für Volkskunst, das bis 2020 seinen Namen trug. Ein Sinnes- und Charakterwandel? Mitnichten: Auch der Hagenlocher der späten Jahre, das geht aus Kai Hohenfelds Aufsatz hervor, war ein Egomane, Machtmensch und Manipulator. Und, nach allem, was man weiß, ein ewig Gestriger, der nichts bedauerte, geschweige denn bereute.
Wer all das genauer hören möchte, hat am 18. Mai, dem „Tag des offenen Museums“, Gelegenheit dazu – dann hält Kai Hohenfeld einen Vortrag über „Walther Groz, Alfred Hagenlocher und die Entstehung des Kunstmuseums Albstadt“. Am 3. Juni wird der Film „Sie kann doch nichts für ihren Vater“ gezeigt, den Hermann Abmayr mit Unterstützung des Stuttgarter Hauses der Geschichte über eine Begegnung von Hagenlochers Tochter Ingrid Hagenlocher-Riewe mit Wilfriede Heß, der Tochter der in Dachau ermordeten Widerstandskämpferin Gertrud Lutz, eines Mitglieds der „Gruppe Schlotterbeck“, gedreht hat. Parallel dazu läuft an der Walther-Groz-Schule ein Schülerprojekt über „Demokratie und Kultur“, das vom Team des Kunstmuseums begleitet und moderiert wird.