Die Kinder posieren für ein Gruppenfoto mit den Freiwilligen. Foto: Raibl

Um Lebenserfahrungen zu sammeln, bringt sich die Eutingerin Chantal Raible an der Juhudi-Englisch-Medium-School auf Sansibar als "Volunteer" ein. Das Ziel der 20-Jährigen ist es nicht nur, Kindern Bildung zu vermitteln, sondern auch die sanitäre Situation zu verbessern.

Eutingen - Einige kennen Chantal Raible aus Eutingen als Sängerin, ob bei den Mobilen Legenden auf dem Eutinger Flugfeld oder bei der 1250-Jahr-Feier in Eutingen. Aber auch im Sportverein und in der Schlagerbar Eutingen bringt sie sich ein. Über die Plattform Praktikawelten wurde sie auf Sansibar aufmerksam. Im April kam Chantal Raible in Mbweni, etwa zehn Minuten von Stone Town entfernt, an. Um für ihr späteres Studium gewappnet zu sein, absolviert die 20-Jährige ein Praktikum bis Oktober an der 2005 eröffneten Primärschule mit Vorschulunterricht.

Auch außerhalb der Schulräume ist es sehr schmutzig

Zusammen mit den Schweizerinnen Tanja (20 Jahre) und Elin (19 Jahre) wohnt sie im "Volunteer"-Haus. "Wir kannten uns vorher nicht", erklärt Chantal Raible per Sprachnachricht. Die Drei scheinen sich jedoch angefreundet zu haben, immerhin verbindet sie einiges: Sie sind Lehrerinnen. Chantal Raible unterrichtet Mathe, Englisch und Deutsch. Keine genauen Vorgaben habe sie von den Lehrern erhalten, weshalb sie in der Unterrichtsgestaltung frei sei. Ab und zu helfen die Volunteers auch im Kindergarten aus. Eine Einarbeitung von Seiten der Lehrer gab es nicht. "Man bekommt Bücher in die Hand gedrückt: ›Leg mal los.‹ Die Lehrer sagen nicht, was die Schüler schon gelernt haben. Das muss man selbst herausfinden", erklären die Freiwilligen.

Die beiden Schweizerinnen waren bereits vor Chantal Raible auf Sansibar und konnten ihr vor dem ersten Schultag einige Tipps geben. "Ich sollte lieber die sanitären Anlagen in unserem Haus nutzen. Nun weiß ich auch warum", verweist Chantal Raible auf Fotos. In den Toilettentrennwänden befinden sich Löcher, womit die Intimsphäre eingeschränkt sei. Waschbecken wiesen große Risse auf und seien sehr verdreckt. Die Decken seien feucht sowie von Schimmel überzogen. Dieser Zustand hat die Freiwilligen sehr schockiert. Sie haben sich daher entschieden, die sanitären Anlagen sanieren zu lassen.

Auch außerhalb der Schulräume ist es sehr schmutzig. Die Kinder spielen barfuß im Müll, berichten die Freiwilligen. Die Privatschule lebt vom Einsatz der Freiwilligen, sagt Chantal Raible. Sie weiß von den anderen Freiwilligen, dass schon einige Projekte umgesetzt wurden. So haben die Vorgänger die Privatschule für die Sechs- bis 15-Jährigen gestrichen. Zusammen mit Tanja und Elin erarbeitete sie eine Liste, was zu tun ist. Die Sanierung der sanitären Anlagen schrieben die Drei an erster Stelle ihrer Liste, gefolgt von den Decken- und Wand- sowie der Dachsanierung.

Für Lehrer gehört es zur Normalität, Schüler zu schlagen

Sie waren ziemlich erstaunt, dass der Direktor der Schule eine ganz andere Prioritätenliste erstellt hatte. Er nannte an erster Stelle die Etablierung eines Schulbusses. Im Zuge dieser Neuerung solle die Schülerzahl von rund 60 auf 200 aufgestockt werden. "Wie das passiert, wissen wir nicht, deshalb hat das für uns keine Priorität", erklärt Elin. Der Direktor hätte auch gerne ein Büro für die Lehrer. "Wir sammeln Spenden für die Schüler, nicht für die Lehrer", erklärte Elin, dass auch dieser Vorschlag von den Freiwilligen nicht aufgegriffen wird. "Das war krass, den Vergleich zu sehen", betonte die Schweizerin. Der Direktor hatte die Sanierung der sanitären Anlagen an achter Stelle platziert, doch das sehen die Europäerinnen anders. Daher machen sie sich mit ihrer Spenden-Aktion über eine Online-Plattform für saubere Toiletten, ein Grundbedürfnis, stark.

Einige Kinder stammen aus der Mittel- und Oberschicht, manche haben nur einen Elternteil, sind Waisen oder kommen aus nicht finanziell starken Familien. Die Drei setzen sich daher mit viel Herzblut für die Kinder ein.

Was sie von Anfang an schockiert hat, ist der kulturelle Unterschied. "Die Kinder werden geschlagen. Jeder Lehrer hat einen Stock bei sich. Die Kinder fangen pro Lektion ein bis zwei Hiebe. Manche Lehrer bringen die Kinder zum Weinen", erklären die beiden Schweizerinnen ihre Beobachtungen. Leider können die Freiwilligen nicht eingreifen, betonen die Schweizerinnen: "Wir würden gerne eingreifen, müssen das aber akzeptieren." Die Konzentration der Kinder lasse oft nach nur zwei Minuten nach, weshalb die Lehrer sie wahrscheinlich schlagen würden. Die Freiwilligen schlagen die Kinder nicht. Sie versuchen mit anderen Methoden die Aufmerksamkeit auf den Unterricht zu lenken. "Die Kinder haben keinen Respekt", erklären die Drei.

Manche Lehrer schreiben Aufgaben an die Wand und lassen Schüler allein

Chantal Raible hat das Fehlen der Struktur ebenfalls erschreckt. Die Kinder sollen das Lesen, Schreiben und Rechnen auf Englisch lernen. Doch der Unterrichtsinhalt wird nicht geprüft. Die Drei haben auch schon beobachtet, wie Lehrer einfach während der Unterrichtsstunde das Klassenzimmer verlassen haben. Manche Lehrer würden Aufgaben an die Wand schreiben und die Schüler dann allein lassen. Schüler würden auch mal eine Woche nicht zur Schule gehen und keiner würde sich darum kümmern. Manche müssten zuhause arbeiten. In der Vorschule würde es an einigem fehlen, was in den deutschen Kindergärten zum spielerischen Lernen beitrage, wie eine Puppen- oder Bauecke. Aber auch die Ausstattung mit Tischen und Stühlen fehlt, weshalb die Kinder auf manchen Fotos auf dem Boden zu sehen sind.

Schwierig sei für die Europäer auch, dass sie von den Kindern als Lehrer angesehen werden. Seit der Ankunft am Flughafen wundern sich die Europäerinnen über die nicht vorhandenen Corona-Maßnahmen auf Sansibar. Wer eine Maske trage, falle auf. An der Schule gibt es keine Masken, weder für die Lehrer noch für die Schüler. Abstandsregelungen sind auch nicht vorhanden. "Wenn hier jemand hustet, dann denke ich daran", sagt Chantal Raible. Corona-Fälle vor Ort sind ihr und auch den meisten nicht bekannt.

Für die Freiwilligen steht nun das große Sanierungsprogramm an, wofür die Drei um finanzielle Hilfe bitten. Einige Freunde und Bekannte haben schon über eine Online-Plattform gespendet. Über 4300 Euro kamen schon auf der Webseite von "Go-Fund-Me" nach Chantal Raibles Aufruf zusammen. Die Eutingerin beschreibt, dass Handwerker beauftragt werden. Ihnen schaut sie über die Schulter und wird das Geld für sauber erledigte Arbeit ausbezahlen. Bis Juni sollen die sanitären Anlagen erneuert werden.