Werke der Konzeptkünstlerin Marja Scholten-Reniers sind bei der Jahresausstellung des Kunstvereins VS im Franziskanermuseum in Villingen zu sehen. Foto: Heinig

"Für meine Arbeiten brauche ich den Input von außen". Die Konzeptkünstlerin Marja Scholten-Reniers kann nach der Pandemie endlich wieder ausstellen. So auch bei der an diesem Sonntag eröffnenden Jahresausstellung des Kunstvereins VS im Franziskanermuseum in Villingen.

VS-Villingen - Ihre künstlerischen Themen stammen in der Regel aus der Mitte der Gesellschaft und versuchen, beim Betrachter ihrer Kunst Sensibilität für ein aktuelles Thema zu erzeugen. "Fast Forgotten" ist eine Sammlung kleiner Stickbilder auf Pappe, die lediglich die Kopfbedeckungen und Haartrachten von weiblichen und männlichen Widerständlern aus aller Welt zeigen.

Heimwehtaschentücher mit Sprichwörtern

Über 100 "Heimwehtaschentücher", mit Sprichwörtern aus unterschiedlichen Ländern in deren Sprache und Schreibweise bestickt, 2012 zu sehen im Franziskanermuseum und in der Städtischen Galerie, sollen zeigen, dass in einer Gemeinde viele Nationalitäten zusammenleben. 130 sind es in Villingen-Schwenningen. Gemeinsam mit ihrer Tochter Amber stellte sie bei einer Jahresausstellung des Kunstvereins "Gyalpa", ein gekauftes und in einem Billiglohnland handgefertigtes Schreibmäppchen, einem identischen, aber in Europa professionell nachgemachtem Exemplar gegenüber, einschließlich der Rechnungen und Preisschilder: aus 20 Euro Kaufpreis waren 520 Euro geworden.

In diesem Jahr ist sie bei der Ausstellung, die am Sonntag anlässlich des Museumsfestes eröffnet wird, mit gestickten Rechtecken in Anlehnung an die Bücher von Margaret Atwood vertreten. Darin wird das Volk der "Craker" beschrieben. "Sie haben unterschiedliche Hautfarben und sind vollkommen", sagt die Künstlerin.

Handarbeit hat Tradition

Bei der Konzeptkunst von Marja Scholten-Reniers geht es nicht um Arbeiten, mit denen der Betrachter alleine gelassen wird, weil er sich seine eigenen Gedanken dazu machen soll. "Das Umfeld, das Geschehen und die Umsetzung bilden immer eine Einheit", sagt Maja Scholten-Reniers. In der Familie der 63-Jährigen hat die Handarbeit Tradition: der Vater war Holzschuhmacher, die Mutter strickte auf Bestellung. Marja Reniers studierte in ihrer Heimat, den Niederlanden, an der "Fontys Hogescholen" in Tilburg Kunst und wählte dabei den Schwerpunkt Textilkunst und Malerei. Vier weitere Semester an der "Grafische School" in Utrecht folgten. Sie übernahm einen Lehrauftrag, heiratete den Zahnarzt Patrick Scholten und zog 1987 mit der Familie nach Villingen.

Sie musste ihren Platz in Villingen erst finden

"Hier musste ich meinen Platz erst finden", erinnert sich die Mutter dreier Kinder und mittlerweile Großmutter eines Enkels. Sie nahm Deutschunterricht und erhielt eine Anstellung als Honorarkraft an der Jugendkunstschule in Donaueschingen. Als dort 1998 eine Ausstellung mit Arbeiten der Lehrer initiiert wurde, sollte das ihr "Sprungbrett" werden. "In der Kunst braucht man immer jemanden, der einem eine Chance gibt", sagt sie und ist dafür bis heute dankbar. Es kamen nicht nur Angebote von der Jugendkunstschule in Rottweil, der Kunstschule Neufra und der Volkshochschule sowie vom Kunstmuseum "Art.Plus" in Donaueschingen, wo sie Führungen durchführte, sie erweckte auch als Künstlerin beim hiesigen Kunstverein Aufmerksamkeit. Sie ist bei den Jahresausstellungen vertreten und seit 2008 sitzt sie in der Planungsgruppe.

Ihre Karriere nimmt Fahrt auf

Ihre Karriere nahm Fahrt auf, inzwischen stellt sie ihre Projekte im In- und Ausland aus. Die Arbeit "Mein Platz in Villingen-Schwenningen", für das sie mit ihrer in Den Haag lebenden Tochter, eine Modedesignerin, in Anlehnung an die bunte Vielfalt der Bevölkerung in VS die Sitzflächen von Melkschemeln mit internationalen Trachtenstoffmustern bedruckte, kaufte das Franziskanermuseum. Auf der Empore vor dem Eingang zur Dauerausstellung dürfen Besucher darauf Platz nehmen. 2017, lange vor Corona, widmete sich das Mutter-Tochter-Gespann der textilen Gestaltung von Mund-Nasen-Schutzmasken. "Say Nothing" heißt das Kunstprojekt, das die Einschränkung der Meinungsfreiheit in vielen Teilen der Welt thematisierte.

Sie ist Teil der Kulturpreis-Jury

Marja Scholten-Reniers ist aktuell Teil der dreiköpfigen Jury, die gerade über die Verleihung des Kulturpreises Schwarzwald-Baar entscheidet. Eine schwierige Aufgabe, auf die sie sich aber freue, sagt sie. Mit 7500 Euro sei der Preis ungewöhnlich und daher erfreulich hoch dotiert. "Ich habe noch nie so einen Preis bekommen", gibt sie lächelnd zu. Für Künstlerinnen und Künstler sei es überlebenswichtig, "sich sichtbar" zu machen. Dabei helfen die bereits erwähnten "Chancengeber", eine dadurch aufgewertete Vita und natürlich – Geld.

Marja Scholten-Reniers kennt die Statistik: nur sieben Prozent aller Kunstschaffenden können von ihrer Arbeit leben. Einen Grund sieht sie in der Selbstverständlichkeit, mit der Kunst und Kultur von der Gesellschaft wahrgenommen werde. Und darin, dass in vielen Städten und Gemeinden – so auch in Villingen-Schwenningen - nur ein winziger Bruchteil des städtischen Haushaltes dafür ausgegeben wird.

Jüngstes Projekt benannt nach Essay von Virginia Woolf

"Ein Zimmer für mich allein" heißt eines der jüngsten Projekte von Marja Scholten-Reniers, benannt nach dem 1929 von Virginia Woolf verfassten Essay. Dabei nähert sie sich in mehreren Dimensionen der Bedeutung eines eigenen Raumes als Sinnbild für wirtschaftliche und geistige Unabhängigkeit. Ein Teil, drei gestickte Vierecke, sind momentan in Freiburg in der Ausstellung "Literatur und Kunst" zu sehen.