Der Höhepunkt ihres Lebens: König Charles III. und Königin Camilla standen im Mittelpunkt eines Spektakels, wie es das Land seit siebzig Jahren nicht mehr erlebt hat.
Ein bisschen besorgt sahen sie aus, als sie mit ihren Kronen auf den Köpfen durchs Kirchengestühl von Westminster Abbey balancierten. Dem just gekrönten Monarchen, Charles III., hatte der Erzbischof von Canterbury das gute Stück mit den Händen regelrecht aufgeschraubt, damit nur kein Unglück geschehe.
Und Königin Camilla schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob sie ihre Krone wirklich verdient hatte – oder ob ein böses Geschick (die Hand Dianas?) sich ausgerechnet an diesem Tag an ihr rächen könnte. Sie rückte ihre Krone eigenhändig zurecht und suchte ihr Haar in die richtige Position zu zupfen, um sicher zu sein.
Am Ende lief alles gut. Niemand verlor Kopfbedeckung oder Nerven. Tags zuvor war Charles ja noch, bei einem kurzen Rundgang vorm Buckingham-Palast, von Gratulanten gefragt worden, ob er denn nicht unruhig sei, vor einem so grossen Tag. Darauf hatte der König nur gegrinst und den Kopf geschüttelt. Glauben mochte ihm das allerdings niemand so recht.
Höhepunkt im Leben von Charles
Denn die Krönung war für den 74-jährigen König offensichtlich der Höhepunkt seines Lebens. Als er und Camilla auf den königsblauen Teppich in der Westminster Abbey traten, war Charles natürlich bewusst, dass er im Mittelpunkt eines Spektakels stand, wie es sein Land seit siebzig Jahren nicht mehr erlebt hat, und möglicherweise auch nie wieder erleben wird in dieser Form.
Bejubelt von Hunderttausenden in London, und im Blick Hunderter von Millionen Menschen weltweit, unterzog sich der König einer Zeremonie, wie sie prachtvoller und opulenter nicht hätte sein können.
Zwei Stunden lang währte die kirchliche Feier, in der Charles, immerhin seit sieben Monaten schon König, zu feierlichen Gesängen, im Gebet und unter Zuhilfenahme allen verfügbaren Repertoirs an historischen Ritualen zu dem Punkt geführt wurde, an dem ihm Erzbischof Justin Welby endlich die alte St Edward´s-Krone aufdrücken konnte – und Fanfaren und Kanonböller verkünden durften, dass er nun auch offiziell zum Monarchen gekrönt war (und Camilla kurz danach zur Königin).
Mit jeder Menge Requisiten aus der Truhe der royalen Geschichte der britischen Inseln wurde die Feier in den Stand eines unvergleichlichen Ereignisses erhoben. Goldene Roben, altertümliche Bibeln, diamantbesetze Schwerter aller Art und natürlich Szepter und Reichsapfel wurden ins Spiel gebracht. Staats-, Krönungs- und Thronsessel fanden nacheinander Verwendung. Der „Stone of Destiny“, der „Schicksalsfelsen“ der Nation, war zur Feier des Tages aus Schottland herbei geschafft worden.
Gewicht der Geschichte auf den Schultern
Das Gewicht einer Geschichte, die bis zur Krönung Williams des Eroberers am Weihnachtstag 1066 in Westminster Abbey zurückverfolgt werden kann, lastete spürbar auf dem Königspaar in diesen Stunden und erfüllte das Kirchenschiff mit gespannter Erwartung, vom Portal bis zum Altar. „Heiliges Öl“, für die Salbung des Königs hinter seinen Stellwänden, war aus Jerusalem antransportiert worden. Ein Löffel aus dem 12. Jahrhundert wurde für die Weihung benutzt. Zeremonielle Gürtel, Ringe und ein einzelner heiliger Handschuh waren Teil des Schauspiels, das die Kirche von England inszeniert hatte für die Monarchie.
Auf und ab wandelten ganze Heerscharen von Kirchenfürsten, von weltlichen Würdenträgern, von Talaren, Roben, Amtsketten, Wappenträgern, stolzen Uniformen und eleganten Hüten. Die Angehörigen des Königshauses, der Prinz und die Prinzessin von Wales allen voran, waren festlicher denn je herausgeputzt.
Chorsängerinnen und –sänger gaben sich alle erdenkliche Mühe, der Festivität mit Hymnen aus vielen Jahrhunderten die richtige Note zu verleihen. Boris Johnson sah man aus vollem Halse die Nationalhymne singen. 100 Staatsoberhäupter aus aller Welt waren, aus Respekt für den König, angereist nach London. Auch die Regierungschefs von Schottland, Wales und Nordirland saßen brav auf ihren Plätzen, obwohl sie alle Republikaner sind.
Andere Religionen sind erwünscht
Erstmals hatte man auch Repräsentanten anderer Kulturen und Religionen die Gelegenheit gegeben, dem König zu huldigen und bei der Zeremonie eine Rolle spielen. Was vom Commonwealth noch zur Krone hält, wurde sorgsam ins Bild gerückt. Und dass der britische Premierminister Rishi Sunak, der aus der Bibel las, seinerseits Hindu ist, war nicht uninteressant. Charles sei es ausgesprochen wichtig gewesen, die „Vielfalt“ in der Bevölkerung auf neue Art zu würdigen, hat man bei Hofe erklärt.
Das änderte freilich nichts daran, dass Charles, wie all seine Vorfahren der letzten Jahrhunderte, der Staatskirche – dem offiziellen anglikanischen Glauben – feierlich seine exklusive Treue gelobte. Als „getreuer Protestant“ schwörte er, weiterhin „die protestantische Thronfolge“ im Vereinigten Köngreich zu sichern. Katholiken können weiterhin alle entsprechenden Ambitionen vergessen. Ob er das gemeint hatte, als er Charles das Zeremonien-Schwert mit den Worten überreichte, er solle es nutzen, „um allem Übel zu wehren“, führte Erzbischof Welby allerdings nicht weiter aus.
Tatsächlich hatte Welby selbst etwas zurückstecken müssen, nachdem er vor ein paar Tagen noch unvorsichtigerweise an die Nation appelliert hatte, in einem „Chor von Millionen Stimmen“ zum Zeitpunkt der Krönung dem König und seinen Erben lautstark ewige Gefolgschaft zu geloben. Nachdem sich selbst Monarchisten gewundert hatten über diese Idee, erklärte Welby kurz vor der Feier, natürlich habe er nur gemeint, dass er die Untertanen von Charles zu dieser Huldigung „einladen“ wollte. „Verpflichtet“ sei niemand dazu.
Am Ende hatten zumindest in Westminster Abbey die meisten der Geladenen nichts dagegen, am gewünschten „Chorus“ teilzunehmen. Und so gut wie alle Gäste stimmten ein in den Ruf „God save the King“, während der Erzbischof einen Schritt weiter ging und hoffte, Charles „möge ewig leben“, zum Nutzen seiner Nation.
Harry wirkt etwas verloren
Was die schwarzen Schafe der Familie von solchen Wünschen hielten, behielten sie geflissentlich für sich, was wohl auch besser war, alles in allem. Prinz Harry, am Freitag aus den USA eingeflogen, war an diesem Samstagmorgen wie eine etwas verlorene Figur in die Abbey spaziert.
Eine offizielle Rolle beim Krönungsdrama spielte er ja nicht. Und später war es ihm nicht mal erlaubt, im Familienfoto auf dem Balkon des Buckingham zu erscheinen. Schlechter ging es nur seinem Onkel, Prinz Andrew, der ausgebuht worden war, als man ihn nach Westminster fuhr.
Kein Problem dieser Art hatte William, Charles´ ältester Sohn und damit der unmittelbare Thronfolger. „Wills“ durfte seinem Vater nicht nur beim Anlegen seiner Krönungsgewänder helfen, um ihm hernach ganz persönlich Gehormsam (ohne alle Rebellionsgelüste) zu schwören. Der Prinz hatte dem König auch, Protokoll oder nicht, nach der Krönung ein Küsschen auf die Wange gepflanzt.
Dudelsäcke spielen auf
Charles selbst schien ein wenig überwältigt zu sein, vielleicht weil er doch nicht genug Schlaf bekommen hatte in der Nacht auf Samstag. Einmal im Verlauf des Gottesdienstes vergaß er offenbar aufzustehen, bei seinem eigenen Gelöbnissen gegenüber Volk, Gott, Kirche und Staat.
Erst als alles vorbei war, als er sich zurück im Garten des Buckingham-Palastes fand, wo ihm Tausende von Soldaten der vielen verschiedenen Truppenteile „Hip-hip-hooray“ zuriefen und wo die Dudelsäcke fröhlich aufspielten, zeigte er sich etwas entspannter, mit einem ersten kleinen Lächeln, wie vorsichtig auch.
Zu diesem Zeitpunkt hatten 4000 Soldaten in einem grandiosen Sammelsurium von Uniformen und in streng choreografierten Formationen, die „Goldene Staats-Kutsche“ mit ihm und Camilla von der Westminster Abbey zurück in den Palast begleitet. 19 Militärkapellen spielten im Zuge dieser meilenlangen Prozessionen auf. 250 Pferde waren mit von der Partie. An Bewunderung, allein für die Perfektion dieser Aufmärsche und Umzüge, ließ es niemand fehlen. Seit siebzig Jahren war das die größte, die farbigste Militärparade im Königreich.
Begeisterte Royalisten, von denen die hartgesottensten schon vor zehn Tagen ihre Position an der Krönungsroute bezogen hatten, verfolgten die vorüberziehende Prozession an der Pall Mall, der Prachtsstraße Londons, und zogen dann selbst, gut gelaunt, hinterher. Nicht einmal der obligatorische Nieselregen („Wir sind schließlich in Großbritannien“) vermochte der festlichen Stimmung Abbruch zu tun. Die glücklich ihre Fahnen schwenkten, waren in Anoraks und mit rot-weiß-blauen Schirmen gekommen, um ihren König zu feiern. Wetter hin oder her.
Aufmarsch der Königsgegner
Relativ wenig Aufmerksamkeit zogen derweil rund 2000 Anti-Monarchisten auf sich, die sich am Trafalgar Square aufgestellt hatten, um ihre „Not-My-King“-Transparente hochzuhalten und sich Gehör zu verschaffen. „Findet ihr das nicht alles ein bisschen lächerlich?“ stand auf einem Plakat.
Während Militärkapellen im Vorbeimarsch die Buhrufe der Republikaner einfach mit der Nationalhymne überdröhnten, konnte sich die BBC, Großbritanniens zu Ausgewogenheit verpflichtete öffentlich-rechtliche Anstalt, in ihrer gehobenen Stimmung nicht einmal dazu bringen, diese – doch ganz ansehnliche Gruppe – wenigstens einmal ins Bild zu rücken: Und das, obwohl mittlerweile bereits mehr als die Hälfte aller Britinnen und Briten Umfragen zufolge „kein sonderliches Interesse“ an der Monarchie mehr hat.
Zu scharfen Protesten war am Morgen des Krönungstags schon der prominente Vorsitzende der Gruppe „Republic“, Graham Smith, von der Polizei festgenommen und abgeführt worden, als er seinen Mitstreitern Kaffee und mehr Plakate bringen wollte. „So viel zum Recht auf friedlichen Protest“, klagten die Betroffenen empört.
Ihren „Moment außergewöhnlichen nationalen Stolzes“, wie es Premier Sunak ausdrückte, wollten sich die Monarchisten jedenfalls nicht von Andersgesinnten vermiesen lassen. Als König Charles zum Abschluss der offiziellen Zeremonien am Samstagnachmittag noch auf den Balkon trat, umgeben vom engsten Kreis seiner Familie und den Familien, schlug ihm eine mächtige Woge von Hochrufen entgegen vom Vorplatz des Schlosses und von Pall Mall.
Zwar hatte, wegen des Regens und der tief hängenden Wolken, der Hauptteil der traditionellen Luftparade, abgesagt werden müssen. Nur ein paar Hubschrauberstaffeln und die Red Arrows schafften es am Ende. Aber zu diesem Zeitpunkt war Charles III. offenbar einfach erleichtert und froh darüber, dass er sein Ziel erreicht hatte. Dass er siebzig lange Jahre nach der Krönung seiner Mutter nun selbst die Krone trug.
Als alle anderen Protagonisten schon wieder vom Balkon zurück in die warmen Räumlichkeiten des Buckingham-Palastes strebten, stand Charles immer noch glücklich winkend vorn an der Balustrade. Als könne er sich einfach nicht trennen von einer Kulisse, wie er sie sich erträumt haben musste so viele Jahre lang.