Wie die Zahl der Straftaten sich in Calw entwickelt hat, gibt die Polizei bekannt. Foto: © DABLJU – stock.adobe.com

In vielen Städten ist die Vorstellung der Kriminalitätsstatistik einmal im Jahr in einer Gemeinderatssitzung schon Tradition. In Calw wird das anders gehandhabt. Darum hat unsere Redaktion die Entwicklungen zusammengefasst – mit teils erstaunlichen Ergebnissen.

Calw - Die guten Nachrichten vorneweg: Die Zahl der Gesamtstraftaten in Baden-Württemberg war im Jahr 2021 weiter rückläufig. Mit 486 331 liegt sie laut der polizeilichen Kriminalstatistik des Landes auf dem niedrigsten Stand seit 36 Jahren. Calw bildet da keine Ausnahme. Auch in der Hesse-Stadt ist die Gesamtzahl der Straftaten von zuletzt 1205 im Jahr 2020 auf 1041 (2021) gesunken. Und: Die Aufklärungsquote ist gestiegen.

Das geht aus der Kriminalstatistik hervor, die das Polizeipräsidium Pforzheim unserer Redaktion auf Anfrage zukommen lässt. Doch bei Weitem nicht alles an der mehrere Seiten umfassenden Tabelle ist so erfreulich. Manche Entwicklungen sind überraschend, andere erwartbar oder gar schockierend.

Das schockiert

Einen sprunghaften Anstieg hat es von 2020 auf 2021 ausgerechnet bei den gravierendsten Straftaten gegeben – jenen "gegen das Leben". Das umfasst Mord, Totschlag, Tötung auf Verlangen (beispielsweise die in Deutschland verbotene aktive Sterbehilfe), fahrlässige Tötung und Schwangerschaftsabbruch. Davon hatte es vergangenes Jahr fünf Fälle in Calw gegeben – und damit fünf Fälle mehr als 2020. Bei vier Fällen davon handelte es sich laut der Statistik um Totschlag oder Tötung auf Verlangen. Mord war nicht vorgekommen. Wie Frank Weber, Sprecher des Polizeipräsidiums Pforzheim, auf Nachfrage unserer Redaktion ausführt, handelte es sich bei allen vier Fällen indes "um Totschlagsdelikte, die jedoch im Versuchsstadium stecken blieben".

Nicht nur in der Stadt Calw, sondern im ganzen Landkreis sind vergangenes Jahr mehr Straftaten gegen das Leben verübt worden. Elf Fälle hatte es gegeben, 2020 waren es noch vier. Demgegenüber steht der Trend im Gebiet des Polizeipräsidiums Pforzheim, das neben dem Kreis Calw noch den Kreis Freudenstadt, den Enzkreis und den Stadtkreis Pforzheim umfasst. Hier ist die Zahl – inklusive der im Kreis Calw – von 26 im Jahr 2020 auf 19 gesunken, was einer Abnahme von 26,9 Prozent entspricht. Einen konkreten Grund dafür scheint es indes nicht zu geben. "Es dürfte sich um eine mehr oder weniger zufällige örtliche Verlagerung handeln", so Weber.

Auf Landesebene bleiben die Zahlen der Straftaten gegen das Leben übrigens seit Jahren beinahe auf gleichem Niveau zwischen 379 (2019), 384 (2020) und 391 (2021).

Einen Schreckmoment beim Ansehen der Statistik erlebt man unter dem Überbegriff "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung". Während deren Gesamtzahl in Calw leicht von 33 auf 38 gestiegen ist (15,2 Prozent), ist die Zunahme bei Vergewaltigung/Sexuelle Nötigung/Übergriff immens: In Calw um 300 Prozent von einem auf vier Fälle. Überraschend dabei: Im Kreis Calw sowie im Gebiet des Polizeipräsidiums Pforzheim ist die Zahl dieser konkreten Vergehen zurückgegangen. Die Zahl der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung generell ist überall gestiegen – auch auf Landesebene.

Das bleibt gleich

Freilich gibt es nicht in jedem Bereich der Kriminalstatistik größere Veränderungen. So blieb beispielsweise die Zahl der Umwelt- und Verbraucherschutzdelikte bei sechs in Calw. Gleichbleibend auch die Fälle der sexuellen Belästigung (neun), des besonders schweren Fall des Diebstahls von Kraftfahrzeugen (eins) und Mopeds/Krafträdern (null). Unter besonders schwerem Fall des Diebstahls (auch: Diebstahl unter erschwerenden Umständen) versteht man beispielsweise den Einbruch in einen geschlossenen Raum oder das Stehlen von besonders gesicherten Gegenständen. Aber dazu später mehr.

Das überrascht

Die vergangenen beiden Jahre, insbesondere die Montagabende, waren geprägt von Protesten gegen die Corona-Maßnahmen. Auch in Calw. Dabei war es sogar einmal zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Folgerichtig könnte man denken, die Gewalt gegen Polizeibeamte habe zugenommen. Doch ist das wirklich so? Die klare Antwort lautet nein. Im Kreis Calw sowie in der Stadt Calw sind die Fallzahlen von 2020 auf 2021 sogar zurückgegangen. Von 16 auf 11, was einen Rückgang um 31,3 Prozent bedeutet. Fälle von Körperverletzung hat es 2021 nicht gegeben. Aber: Der genannte Vorfall zwischen Demonstranten und Polizisten war dieses Jahr, zählt also nicht in die Statistik hinein. Zugenommen hat indes der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte von vier auf sieben Fälle (plus 75 Prozent).

Einen wirklichen Rückschluss darauf, ob die Zunahme der Gewalt gegen Polizeibeamte mit den Corona-Demos zusammenhängt, lässt sich jedoch allein anhand der Statistik nicht ablesen, erklärt auch Weber. Und: Die Erfahrung zeige zudem, "dass die Corona-Demos im Bereich des Polizeipräsidiums Pforzheim grundsätzlich friedlich verlaufen und somit kaum Anlass für die Zunahme der Gewalt gegenüber Polizeibeamten sein dürften", führt der Polizeisprecher weiter aus. Die Gewalt gegen Polizisten bewege sich jedoch generell "seit Jahren auf einem besorgniserregend hohen Niveau".

Mit die größte Steigerung ist bei Rauschgiftdelikten zu verzeichnen. Insbesondere der illegale Handel und Schmuggel von Rauschgift hat zugenommen. Im Gebiet des Polizeipräsidiums Pforzheim um 8,9 Prozent, im Kreis Calw um 66 Prozent – in der Stadt Calw um sage und schreibe 211,1 Prozent. In absoluten Zahlen ausgedrückt bedeutet das einen Anstieg von neun auf 28 Fälle. Die Rauschgiftkriminalität insgesamt hat von 2020 auf 2021 um 56,8 Prozent zugenommen.

Doch bedeutet das nun, dass die Drogenkriminalität in der Stadt wirklich plötzlich sprunghaft angestiegen ist? Nicht unbedingt, erläutert Polizeisprecher Weber. In diesem Deliktfeld gebe es meist nur wenige Anzeigen oder Hinweise aus der Bevölkerung. Wie viele Taten aufgedeckt werden, hängt einerseits damit zusammen, wie aktiv die Polizei ermittelt oder kontrolliert; andererseits führt ein entdeckter Fall "häufig zu einer Vielzahl von Abnehmern und Einzeltaten", wodurch die Fallzahlen wiederum stark steigen, so Weber. Der Anstieg in Calw bedeute insofern nicht automatisch, dass die Polizei hier deutlich aktiver sei als in anderen Bereichen des Präsidiums.

Das freut

Erfreulich sind – und das seit Jahren – die Entwicklungen in Sachen Diebstahl. "Der sinkende Trend setzt sich auch im Jahr 2021 das sechste Jahr in Folge mit einem Rückgang von 16 Prozent fort. Die Fallzahlen und die Schadenshöhe erreichen somit den niedrigsten Wert seit Mitte der 1960er-Jahre", heißt es dazu im Sicherheitsbericht des Landes Baden-Württemberg von 2021. In Calw sieht es da ganz ähnlich aus. 20,6 Prozent weniger Diebstahldelikte wurden verzeichnet.

Die Freude darüber könnte indes von kurzer Dauer sein. Die landesweite Entwicklung, so erklärt Weber, sei mutmaßlich schlicht darauf zurückzuführen, dass es aufgrund der pandemiebedingten Geschäftsschließungen und Ausgangsbeschränkungen weniger Gelegenheiten zum Diebstahl gab. "2022 könnte sich die Fallzahlentwicklung mehr oder weniger wieder auf das Niveau der Vor-Pandemiejahre anpassen", meint der Polizeisprecher.

Beim Wohnungsdiebstahl betrug der Rückgang glatte 25 Prozent. In absoluten Zahlen wirkt das Ganze indes nicht ganz so beeindruckend: 2020 waren es noch vier Fälle gewesen, 2021 drei. Im Kreis ist der Rückgang der Diebstahldelikte ebenfalls um 20,6 Prozent gesunken, Wohnungseinbrüche gab es 15 Prozent weniger.

"Die Bekämpfung des Wohnungseinbruchs war und ist kein Selbstläufer, sondern das Ergebnis einer klugen Schwerpunktsetzung und klarer Konzepte, harter Arbeit und eines langen Atems", wird Innenminister Thomas Strobl (CDU) in dem Sicherheitsbericht des Landes zitiert. "Das Ergebnis ist sehr gut: Die Wohnungseinbruchsdiebstähle in Baden-Württemberg sind auf einem historischen Tiefstwert."

Info:

Was wird veröffentlicht? Und was nicht?

Wer einen Blick in die Kriminalstatistik wirft, stellt schnell fest: Die Liste an Delikten ist lang. Und bei Weitem nicht alle werden der Öffentlichkeit bekannt. Das wirkt überraschend – insbesondere bei so schwerwiegenden Delikten wie jenen aus dem Bereich Vergewaltigung/Sexuelle Nötigung/Übergriff, von denen es in Calw im Jahr 2021 laut Polizei vier Fälle gegeben hat. Soll hier etwa etwas "verheimlicht" werden?

Ganz und gar nicht, erläutert Polizeisprecher Frank Weber auf Nachfrage unserer Redaktion. "Wenn wir derartige Fälle ausschließlich im Rahmen der Kriminalstatistik veröffentlichen, dann geschieht dies häufig im Hinblick auf den Opferschutz", so Weber. Gerade bei Vergewaltigungen würden die Täter immer wieder aus dem engsten sozialen Umfeld des Opfers stammen. Die Taten spielten sich nicht selten in einer Wohnung ab, etwa der des Opfers oder des Täters. "Darüber hinaus ist es uns sehr wichtig, eine etwaige sekundäre Viktimisierung des Opfers durch eine entsprechende Veröffentlichung des Falles zu vermeiden." Würden Sexualdelikte dagegen von einem unbekannten Täter begangen und/oder sich an öffentlichen Orten ereignen, veröffentliche die Polizei dies in der Regel – verbunden mit einem Zeugenaufruf.

Anders als in vielen anderen Städten und Gemeinden wird die Kriminalstatistik in Calw übrigens nicht ausführlich im Gemeinderat präsentiert. Dem Gremium werde diese lediglich jährlich zur Kenntnis gegeben – "aber nicht als gesonderten Tagesordnungspunkt, da es sich um eine Veröffentlichung der Polizei handelt und nicht der Stadtverwaltung", erläutert Stefanie Schweigert, Pressesprecherin der Stadt auf Anfrage.