Heute vor 80 Jahren endete mit der Übergabe von Sulz an französische Truppen das nationalsozialistische Dritte Reich am Neckar – ein Tag der Befreiung.
Das fiktive Tagebuch „31 Tage zur Befreiung“ spielt in den Wochen vom 19. März bis 19. April 1945. Klaus Schätzle beschreibt darin das Leben der Menschen in Sulz.
Am 21. März 1945 kommt es zu einer Begegnung am Stollen. „Drei Monate wird unter dem Gähnenden Stein schon produziert; jetzt übergibt der Bürgermeisterstellvertreter den Pachtvertrag für das Bergwerk persönlich an SS-Sturmbannführer Hanns Trippel, am Eingang zum Stollen der ‚Gipswerke Sulz‘, Tarnname Gerwilla“.
Panzersperren in Fischingen
Der 27. März thematisiert den Umgang mit Zwangsarbeitern. „Die Kellerwände im Gefängnis in der Bergstraße sind so blutverkrustet, dass sie mit dem Schlauch abgespritzt werden müssen. Kriminalsekretär Paul Bässler nannte seine drei Ochsenziemer ‚Herrgott‘, ‚Herr Jesus‘ und ‚Gottesmutter‘. ‚Verhört‘ hat er damit polnische Zwangsarbeiter, die er der Sprengung der Mauser-Fabrik und Planung eines Attentats auf Hitler beschuldigte. Seine Opfer sind außerhalb des Friedhofs, neben dem Schindergraben, verscharrt.“
Ostersonntag, 1. April: „In Fischingen errichten Volkssturm, Pimpfe und Kriegsgefangene Panzersperren im Bolzgraben Richtung Empfingen und im Mühlbachtal. Dicke Stämme werden in den Boden eingegraben.“
Ermordet in Grafeneck
Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ war auch in Sulz präsent. 5. April: „Fünf Jahre ist es her, dass Ministerialrat Dr. Stähle in der Abteilung ‚Gesundheitswesen‘ des württembergischen Innenministeriums entschied, dass Josef Anton Schätzle, weil eine Belastung für den deutschen Volkskörper, mittels ‚Kohlenoxydgas‘ in Grafeneck ‚schmerzlos‘ zu ermorden sei.“
Und Josef Anton Schätzle ist nicht der einzige. 11. April: „Fünf Jahre ist es her, dass Luise Schätzle den grauen Bus der Gekrat (Gemeinnützige Krankentransport-Gesellschaft mbH) bestieg, der sie nach Grafeneck brachte. Mit ihr im Bus saßen Maria G., Arthur Eugen F., Hedwig B., Maria K., Josefine St., Gustav M., Norbert B., Josef Sch., Anna-Elise G., Erwin Max Sch. und Johs. B. Sulz, Fischingen, Hopfau.“
Französische Befreier
Der Versuch, zweier Häftlinge, kurz vor Kriegsende dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen, endet abrupt. 15. April: „Hanns Trippel erhält durch ein Schreiben der Feldgendarmerie Klarheit über die entflohenen Häftlinge Friedrich Wolf und Anton Reinhardt. Über Freudenstadt und den Kniebis kamen sie nach Bad Rippoldsau, wo sie in eine Übung des ‚Volkssturms‘ gerieten, den Forstrat und SD- Führer Karl Hauger drillte. Hauger übergab Wolf der Feldgendarmerie, Reinhardt musste sich sein Grab schaufeln und wurde nach einer von Hauger inszenierten Standgerichts-Farce erschossen.“
Am 17. April öffnen sich die Zelle des inhaftierten Sozialdemokrat Ernst Keck: „Schlüsselklirren, französische Befehle im Gang: Ernst Keck wird befreit und bleibt drei weitere Nächte freiwillig: nach Holzhausen kann er nicht, die Front liegt irgendwo zwischen Horb und Sulz.“
Schutthaufen Freudenstadt
Derweil wird das letzte Aufgebot für den „Endsieg“ mobilisiert: „In Mühlheim, Fischingen, in Sulz, überall werden hektisch Panzersperren errichtet, Schützenlöcher ausgehoben, Gebäude und Brücken gesprengt: Teile der 719. Volksgrenadier-Division wollen eine neue Verteidigungslinie aufmachen.“
Was das für Folgen haben kann, konnte man wenige Kilometer entfernt sehen: „‚Freudenstadt‘ wird zum Menetekel. Gauleiter Murr hatte seine Verteidigung ‚bis zum letzten Mauerrest‘ befohlen; im Ergebnis führt das dazu, dass die Innenstadt durch Artillerie nahezu völlig in Schutt und Asche gelegt wird.“
Übergabe der Stadt
Nachdem die alliierten Panzer von der Normandie bis an den Schwarzwald vorgedrungen sind, sollen sie am Neckar endgültig gestoppt werden: „Am Abend werden die Löwenbrücke in Sulz und die Neckarbrücke in Fischingen gesprengt. Immer wieder tauchen kleinere Einheiten SS und Militär in der Stadt auf, die jeden ‚Defätisten‘ mit dem Tode bedrohen.“
Am 19. April wird die Stadt den französischen Truppen übergeben.
Bewährung für Mörder
Doch wie ging es mit den Menschen weiter? „Das Urteil des französischen Militärgerichts über Hanns Trippel lautete 1947 auf fünf Jahre Gefängnis und 20 000 Reichsmark Geldstrafe, 1948 wurde er begnadigt. Ernst Keck gründete den SPD-Ortsverein Sulz neu, überwarf sich aber bald mit dessen Vorstand und wurde im Oktober 1947 ausgeschlossen.
Kriminalsekretär Paul Bässler wurde 1948 zunächst zu zehn Jahren Arbeitslager und 1951 zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt.
SS-Hauptsturmführer Karl Hauger wurde 1961 wegen Totschlags des Anton Reinhardt zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach zwei Monaten wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die Überreste der Folteropfer wurden mehrheitlich auf dem Sulzer Friedhof beigesetzt.“