Der Waffenstillstand am Ende des Zweiten Weltkriegs brannte sich ins Gedächtnis von Erwin Blau ein. Der 89-Jährige erinnert sich an die letzten Tage des Zweiten Weltkriegs in Egenhausen und Altensteig.
Vor 78 Jahren endete mit dem Tag der Befreiung am 8. Mai 1945 der Zweite Weltkrieg in Europa. Der heute 89-jährige Erwin Blau wurde 1934 in Egenhausen geboren und erlebte dort die letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs.
Der Vater muss in den Krieg
Er war gerade fünfeinhalb Jahre als sein Vater Otto Blau im Januar 1940 zum Wehrdienst eingezogen wurde. Als dessen jüngste Tochter, das fünfte Kind der Familie, im März geboren wurde, war er bereits an der Front. „Ich war eine Art Vaterersatz für meine vier jüngeren Geschwister, für die ich mich verantwortlich fühlte“, erinnert sich Erwin Blau.
Aber auch ein französischer Kriegsgefangener, der von 1941 bis zum Kriegsende bei seiner Tante in der Landwirtschaft geholfen hat, behandelte ihn und die anderen Kinder der Familie Blau wie eine Art Vater.
Schlechte Erinnerungen
Neben diesen eher angenehmen Erinnerungen an die Kriegszeiten überwiegen bei Erwin Blau furchtbare Kindheitserlebnisse. „Oft waren wir im Keller des Nachbarhauses und versteckten uns zusammen mit mehreren Familien“, erzählt er. Er spricht auch darüber, dass sein Vater letztmals zur Jahreswende 1943/44 auf Heimaturlaub in Egenhausen war. Zu dieser Zeit stürzte ein kanadischer Kampfbomber vom Typ Messerschmitt 110 dort ab. Blau schilderte, dass bei diesem Absturz drei Soldaten ums Leben kamen, während sein Vater ihn und die anderen Kinder mit seinem Militärmantel bedeckte und schützte.
Erwin Blau hoffte damals, an der rund 300 Meter entfernten Absturzstelle irgendein Andenken zu finden, dass er an sich nehmen konnte.
Am 20. April 1944 wurde der damals zehnjährige Junge als letzter Jahrgang für die Hitler-Jugend vereidigt. Er hat bei Bauern gearbeitet, bei der Butterherstellung geholfen und erinnert sich, dass es kein Rauchfleisch gab.
Auf den zugefrorenen Wiesen konnte man Schlittschuhlaufen und sonntags ging es zu Fuß nach Effringen zur Kinderkirche.
Die letzten drei Monate
Die letzten drei Monate des Zweiten Weltkriegs einschließlich des Waffenstillstands brannten sich regelrecht in das Gedächtnis von Erwin Blau ein. Am 16. April 1945 hieß es, „Franzosen seien in Grömbach“, während sich zeitgleich Flakgeschütze am Stadteingang von Altensteig und Panzerabwehrkanonen am Rand von Egenhausen positionierten, die Franzosen in Egenhausen einmarschierten. Eine Menschenmenge versammelte sich unter der Linde vor dem Rathaus und ein weißes Leintuch wurde an eine Fahnenstange genagelt. Nachdem damit die Botschaft „wir ergeben uns“ gehisst war, rannten alle in den Keller.
Der Mutter von Erwin Blau hatte es gerade noch gereicht, sich in Sicherheit zu bringen. Während dieser Zeit hat Blau seinen ersten Kriegstoten gesehen und er quartierte zuhause, ohne die Mutter um Erlaubnis zu fragen, zwei deutsche Soldaten ein.
Eigene Aufzeichnungen
Blau hat viele seiner Kriegserinnerungen im Detail aufgeschrieben und besitzt Bilder aus diesen Zeiten, so auch eins, auf dem er zusammen mit seinen Geschwistern zu fünft auf einem Schlitten sitzend, zu sehen ist. Erinnern kann er sich noch an den Moment, als sie alle nach längerem Warten aus dem Keller nach draußen gehen mussten, die Oma mit erhobenen Händen zuerst. Vor dem Keller warteten die Franzosen bei den Panzern. Zu dieser Zeit kam auch der Egenhauser Schmiedsmichel ums Leben. Nach einer Erkundungsfahrt mit dem Motorrad durch den Ort war er von den Franzosen als lebendiges Schutzschild auf den Panzer gesetzt und beim Fluchtversuch von Kugeln tödlich getroffen worden.
Blau sah zu, wie vier Franzosen ihn nach Hause trugen und der Sohn des Schmiedsmichel, der 14-jährige Kurt, traurig hinterherlief.
Die Wasserversorgung brach in dieser Zeit zusammen und am Brunnen vor dem Rathaus bildeten sich lange Warteschlangen, um Wasser zu holen. Die Adolf-Hitler-Linde im Ort wurde von den Franzosen gefällt, die Trikolore gehisst und ein Zaun in den Farben der französischen Flagge blau-weiß-rot gestrichen.
„Beim Vorbeigehen an diesem Zaun mussten Hut und Mütze abgenommen werden“, so Erwin Blau. Wer das ignorierte, musste zur Strafe vor dem Gartenzaun stehen und unter der Siegerfahne der Franzosen grüßen.
Die Frauen sollten zuhause bleiben, da aus den französischen Kolonien viele Männer mit dunkler Hautfarbe im Ort auftauchten, die nicht an der Front eingesetzt waren. Es habe zahlreiche Vergewaltigungen in dieser Phase gegeben.
Zeit nach Kriegsende
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen die ersten Soldaten zur Freude ihrer Angehörigen aus der Gefangenschaft zurück. Auch Vater Otto Blau kehrte abgemagert im Hochsommer 1945 zurück. Von der Ostfront in Polen war er mit einem der letzten Schiffe von Danzig nach Schleswig-Holstein gekommen, landete in englischer Gefangenschaft und wurde auf einem Gutshof einem Koch zugeteilt. Dort lernte er kochen.
Zurück in der Heimat musste er sich im Alten Rathaus in Altensteig mit seinen Entlass-Papieren melden. Als der damalige Beigeordnete und spätere Bürgermeister Gottlieb Hennefahrt sagte: „Ihr könnt alle nach Hause“ war dies auch für Erwin Blau ein erleichterndes Gefühl. Im Rückblick ist ihm bewusst, dass ein Krieg die Menschen verändere, sie verrohen und brutal werden lasse.