Der US-amerikanische Außenminister Anthony Blinken (mitte) am Montag bei seiner Ankunft in Tel Aviv Foto: Matt Mohatt/Pool Reuters/AP/dpa/Matt Mohatt

Die Vermittlerstaaten USA, Katar und Ägypten versuchen eine Einigung zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas zu erzielen. Laut Berichten gibt es dabei einen Knackpunkt: Wer kontrolliert den Philadelphi-Korridor? Denn über ihn könnten neue Waffen nach Gaza gelangen.

Liri Albag, zum Zeitpunkt der Entführung 18 Jahre alt. Na’ama Levi, 19. Die Fotos der jungen Frauen, lachend und sorglos, kleben an unzähligen Hauswänden, Bushaltestellen und Schaufenstern in Tel Aviv. Seit über zehn Monaten harren Liri Albag, Na’ama Levi und die übrigen Entführten nun schon in der Gewalt der Hamas im Gazastreifen aus – sofern sie noch am Leben sind: Schätzungen zufolge sind über die Hälfte der 115 verbliebenen Geiseln bereits tot. Und es könnten noch mehr werden, fürchten die verzweifelten Familien, wenn es in den indirekten Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas nicht bald zum Durchbruch kommt.

Die aktuellen Bemühungen der Vermittlerstaaten USA, Katar und Ägypten gelten als womöglich letzte Chance, eine Einigung zu erreichen. So wenigstens stellt es die US-Regierung dar, offenbar in dem Versuch, den Druck zu erhöhen. „Es ist Zeit, dass alle Ja sagen und nicht nach Ausreden suchen, um Nein zu sagen“, sagte US-Außenminister Antony Blinken am Dienstag während seines Besuchs in Israel.

Letzte Verhandlungschance?

Berichten von den Gesprächen der Unterhändler in Kairo zufolge ist es vor allem ein Punkt, der einem Kompromiss entgegensteht: die Frage, wer im Falle einer Waffenruhe den sogenannten Philadelphi-Korridor kontrollieren soll, einen schmalen Streifen Land entlang der 14 Kilometer langen Grenze zwischen Gaza und Ägypten. Israels Armee, die IDF, hatte den Korridor im Mai erobert, einschließlich der palästinensischen Seite des Rafah-Grenzübergangs. Die IDF hat seitdem Dutzende Tunnel im Grenzbereich entdeckt, von denen einige nach Ägypten führen. Netanjahu argumentiert, Israel müsse den Korridor langfristig kontrollieren, um zu verhindern, dass die Hamas militärisches Gerät aus Ägypten schmuggelt. Die Hamas wiederum besteht auf dem Abzug der israelischen Truppen von der Grenze.

Kritiker Netanjahus, darunter anonyme Quellen aus den Sicherheitsdiensten, werfen dem Premier vor, er habe die israelische Position unnötig verhärtet. Bestehe Israel auf der Kontrolle des Korridors, seien die Verhandlungen zum Scheitern verurteilt, sollen hochrangige Vertreter aus Armee und Geheimdiensten Netanjahu israelischen Medien zufolge gewarnt haben.

Danny Orbach, Militärexperte von der Hebräischen Universität in Jerusalem, hält Netanjahus Beharren indes für berechtigt. „Das ist eine Minimalforderung, um das im Krieg bisher Erreichte zu bewahren und Israels Sicherheit zu gewährleisten“, sagte er dieser Zeitung. „Die Geschichte hat gezeigt, dass Terrororganisationen einer weitaus stärkeren Armee widerstehen können, wenn sie einen sicheren Nachschub von Waffen und Ausrüstung haben. Im Falle der Hamas ist es möglich, diesen sicheren Nachschub abzuschneiden, indem Israel den Philadelphi-Korridor kontrolliert.“

Unvereinbare Ziele

Vertreter Ägyptens sollen in den Verhandlungen angeboten haben, die Grenze mit einer neuen, technisch aufgerüsteten Barriere auszustatten, die dem Waffenschmuggel ein Ende würde. In Israel überzeugen solche Angebote allerdings kaum jemanden: Ägypten hat schon in der Vergangenheit seine Grenzanlage technisch aufgerüstet, um Schmuggler zu stoppen – wie sich herausstellte, ohne Erfolg. „Ägypten hat ein Problem mit Korruption und Ineffizienz“, meint Orbach. „Wenn Ägyptens Präsident etwas anordnet, heißt das längst nicht, dass es auch geschieht.“ Schließlich hätten Akteure auf der Sinai-Halbinsel an dem Schmuggel nach Gaza gut verdient.

Trotz allem hält der Experte den Streit um den Philadelphi-Korridor nicht für die entscheidende Hürde auf dem Weg zu einer Einigung. Schwerer als jedes technische Detail wiege ein anderes Problem: „Die grundsätzlichen Ziele Israels und der Hamas sind unvereinbar. Israel will, dass die Hamas Gaza nicht mehr kontrolliert. Die Hamas will seine Herrschaft in Gaza wieder aufbauen.“

Die jüngsten Nachrichten geben denn auch wenig Grund zu Hoffnung auf eine Einigung: Den Kompromissvorschlag, den Unterhändler verschiedener Staaten vergangene Woche ausarbeiteten, hat die Hamas bereits abgelehnt.