Lydija Schäfer aus Schiltach hat Familie in der Ukraine. Ihre Schwestern samt Kinder sind inzwischen nach Moldau geflohen. Dort will sie Schäfer abholen und in Sicherheit bringen – mithilfe ihres Arbeitgebers und großer Unterstützung aus der Bevölkerung.
Schiltach - Der Hilferuf einer Mitarbeiterin der Sozialgemeinschaft Schiltach/Schenkenzell (SGS) erreichte den geschäftsführenden Leiter des Vereins am Freitagnachmittag: "Meine Familie ist vor russischen Soldaten über die ukrainische Grenze nach Moldau geflohen und sitzt nun dort fest. Ich brauche ein großes Auto, um sie abzuholen und habe keines", erklärte Lydija Schäfer unter Tränen am Telefon. Sie arbeitet bereits einige Jahre im ambulanten Dienst der SGS, ist seit 2004 als Spätaussiedlerin nach Deutschland gekommen, in Schramberg verheiratet und hat eine eigene Familie dort gegründet.
Heimatstadt das Ziel von Bomben
Verwandte wohnen in Lahr. Mit ihnen ist sie in den vergangenen Jahren immer wieder "nach Hause" gefahren, in die Nähe der ukrainischen Stadt Mykolajiw direkt an der Küste zum Schwarzen Meer zwischen Odessa und der Krim. "Das sind schöne Erinnerungen", sagte sie. Doch nun ist alles anders: Die Russen bombardierten die rund 480.000-Seelen-Stadt. Offenbar stünde kein Stein mehr auf dem anderen und die beiden Schwestern mit ihren Ehemännern und Kindern im Alter von fünf Jahren und einem halben Jahr sowie einer deren Schwiegermütter mit einer weiteren Enkelin im Alter von drei Jahren hätten plötzlich vor den Kriegshandlungen fliehen müssen, berichtet Schäfer über die dortigen unsicheren Ereignisse von Donnerstag auf Freitagnacht.
Die Ehemänner mussten direkt an der Grenze zur Republik Moldau wieder umkehren um zu kämpfen und ihre Familien allein weiterziehen lassen – ein trauriger Abschied. Die Frauen und Kinder sind laut Mitteilung nun vorläufig in einem Auffanglager auf Moldauer Seite der Grenze untergekommen. Schäfer steht in zeitweiligem telefonischen Kontakt mit den Schwestern, mobilisierte ihren Lahrer Cousin Valentin Remboldt und organisierte selbst deren Abholung mit einem Hilferuf an ihren Schiltacher Arbeitgeber. Leiter Uli Eßlinger zögerte nicht und sagte der besorgten SGS-Mitarbeiterin sofort einen der Transporter aus dem SGS-Fuhrpark zu.
Kollegen spenden für Tankfüllungen
Der bewegende Anruf verbreitete sich in Windeseile unter den Kollegen. Die spendeten zur Finanzierung der 2000 Kilometer langen Fahrt, die bei den aktuellen Spritpreisen teuer werden würde, wie alle sich ausrechnen konnten, spontan Geld. Innerhalb einer Stunde kamen so rund 2100 Euro zusammen, die nicht nur die Tankfüllungen deckten, sondern auch noch Einkäufe mit den notwendigsten Hygieneartikeln und Lebensmittelkonserven sowie die Verbandsmaterialspenden der Apotheken in Schenkenzell und Schiltach zuließen. Die Kollegen packten den SGS-Transporter bis unters Dach voll.
Besucher des Gottlob-Freithaler-Hauses drückten spontan Geld ins Spritkässle und Pflegeheimbewohner, teils auf ihre Gehhilfen gestützt, gingen ins Städtle und kauften für die Flüchtenden ein. Die Narrenzünfte Schiltach und Halbmeil sowie die Egehaddel, die Schuhu-Hexen und die Volleyball-Damen des Turnvereins Schiltach spendeten zudem viele Kuscheltiere für alleinflüchtende Kinder, die offenbar ebenfalls im Auffanglager gestrandet sind.
Start einer ungewissen Fahrt
Lydija Schäfer hatte am Samstag alles in ihrem Haus für die Ankunft der Schwestern und Kinder vorbereitet – Betten und Kindersitze von Freunden ausgeliehen und eingekauft. Am Sonntag um 7 Uhr wurden ihr Cousin und sie von der SGS-Haustechnik ins Auto eingewiesen sowie alle nötigen Papiere und Spendengeld übergeben. "Wenn noch eine Frau und Kind mitfahren möchte, dann zögern sie nicht, sie einzuladen", gab Eßlinger mit auf den Weg, "die bringen wir hier sicher unter", versprach er. Dann drehte Valentin Rembold den Zündschlüssel herum und beide starteten ihre ungewisse Fahrt mit Ziel Moldau direkt an der Grenze zur Ukraine.