Kreis Rottweil - Der Sportschütze, der in Wilflingen seinen Nachbarn getötet hat, muss für zwölf Jahre ins Gefängnis. Das Gericht erkannte auf heimtückischen Mord. Im sozialen Netzwerk wird das Urteil eher als zu gering erachtet. Auch die Ramadan-Diskussion geht dort weiter.

Kaum wurde das Urteil der Ersten Schwurgerichtskammer am Dienstagmorgen publik, bildeten sich soziale Netzwerke wie Facebook ihr eigenes Urteil: "viel zu wenig", "der gehört für immer weg" oder "den hätte man länger wegsperren sollen", lauteten die Kommentare auf unserer Facebook-Seite Schwarzwälder Bote Rottweil. Auch die vor Tagen aufgrund eines anderen Gerichtsurteils aufkeimende Islam-Debatte wird weiter begossen. Ein Nutzer meint: "Der Gutachter, der den Mörder als nicht voll schuldfähig attestierte, aufgrund Ramadan, gehört gleich mit! Egal wie wenig man gegessen oder getrunken hat, es ist das letzte, einen Familienvater so mutwillig aus dem Leben zu reißen! Einfach nur schrecklich..." Oder: "Die Beachtung der Vorschriften des Ramadans werden Angeklagten zugute gehalten."

Dabei versuchten der Erste Staatsanwalt Frank Grundke und der Vorsitzende Richter der Ersten Schwurgerichtskammer am Landgericht Rottweil, Karlheinz Münzer, diesem Eindruck in den Verhandlungstagen entgegen zu treten, ihn gleich gar nicht erst aufkommen zu lassen.

Es bleiben Zweifel an der Schuldfähigkeit

Freilich war der Ramadan ein Thema. Schließlich hatte der Täter, ein gläubiger Moslem, am Tattag im Juli vergangenen Jahres 14 Stunden lang nichts getrunken und gegessen. Mustafa Y. fastete. Körperlich hat das dem Täter zugesetzt. Münzer sprach von einer beginnenden Unterzuckerung und einer Dehydration. Er sagte aber auch, das Bewusstsein sei dadurch nicht getrübt gewesen.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen: Es ging ja nicht um das Fasten als solches, um den Akt der Glaubensausführung als solchen, der für sich genommen bei der Frage der Schuldfähigkeit zu berücksichtigen sei. Es ging daher auch nicht um die Frage, ober der Täter Moslem ist oder nicht. Deswegen spielt der Islam hier auch keine Rolle. Sondern es geht um die Folgen des Fastens auf Körper und Geist. Und dies auch nicht allein betrachtet, sondern eingebettet in eine Gesamtschau.

Sowohl Münzer als auch Grundke betonten darüber hinaus folgerichtig, der körperliche Zustand sei lediglich eines von insgesamt acht Merkmalen gewesen, die die Schuldfähigkeit des Angeklagten näher beleuchteten. Andere Umstände seien die paranoiden Züge des Angeklagten gewesen, dessen mittelschwere Depression, Angstzustände oder die fehlende Integration, auch aufgrund fehlender Sprachkenntnisse.

Zusammen mit den weiteren Umständen am Tattag selber wie der körperlichen Schwächung und der Auseinandersetzung mit dem Nachbarn sei es zu einer Belastungsreaktion und einem Ausnahmezustand gekommen.

Insgesamt kam das Gericht zu keiner eindeutigen Diagnose und schloss sich dem psychiatrischen Gutachter an: Ralph-Michael Schulte hatte gesagt, eine verminderte Schuldfähigkeit könne nicht ausgeschlossen werden.

Die Nebenklage hatte auf eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes plädiert, die Staatsanwaltschaft hatte 13 Jahre wegen Totschlags in einem schwereren Fall gefordert, die Verteidigung hatte sich für maximal neun Jahre ausgesprochen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Staatsanwaltschaft und ein Vertreter der Nebenklage zeigten sich jedoch in einer ersten Reaktion zufrieden mit dem Urteilsspruch.

Seite 2: Mord und Totschlag

Mord und Totschlag sind zwei Tötungsdelikte des Strafgesetzbuchs. Im Paragraf 212, unter dem Stichwort Totschlag, heißt es: »Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft«. Was kennzeichnet einen Mörder? Paragraf 211 gibt darüber Ausschluss: »Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet«.

Im Falle des Wilflinger Sportschützen, der seinen Nachbarn mit mehreren Pistolenschüssen umgebracht hat, hat das Gericht auf das Mordmerkmal der Heimtücke entschieden. Darunter versteht man ein bewusstes Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers.

Arglos ist, wer zum Zeitpunkt der Tat nicht mit einem Angriff rechnen konnte, wehrlos, wer infolgedessen keine oder nur eine reduzierte Möglichkeit hat, sich zur Wehr zu setzen oder zu verteidigen. (az)

Kommentar: Respekt

Von Armin Schulz

Richtig: Auf Mord steht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Aber die Gerichte tun gut daran, jeden Fall für sich zu beurteilen. Gerade jene Tat in Wilflingen, bei der ein Mann nach einem jahrelangen Streit seinen Nachbarn erschoss, taugt nicht für holzschnittartige Betrachtungen. Und ebenso nicht dazu, der Ersten Schwurgerichtskammer am Rottweiler Landgericht einen Ramadan-Rabatt unterjubeln oder die Islam-Debatte befeuern zu wollen. Das wäre nicht nur eine verkürzte Betrachtungsweise eines komplizierten Sachverhalts, sondern schlichtweg falsch.

Der Mordprozess um den Wilflinger Sportschützen steht beispielhaft für seriöse Justizarbeit. Wie immer man das Urteil empfinden mag – als gerecht, zu hoch oder zu gering: Kammer, Staatanwaltschaft, Verteidigung, Gutachter und Nebenklage haben es sich nicht leicht gemacht. Das verdient Respekt.