Nein, das sind nicht die erforderlichen Beweismittel. Ansonsten wäre der Fall vor dem Landgericht wahrscheinlich schon abgeschlossen. Aber im Kern geht es in dem Verfahren um Waffen und Munition. (Symbolfoto) Foto: dpa

Kurioses Berufungsverfahren vor dem Landgericht. Polizisten können Beweisfotos aus Kostengründen nicht ausdrucken.

Kreis Rottweil - Es ist ein kurioser Fall vor dem Landgericht. Es geht um den unerlaubten Besitz von Waffen und Munition. Kurios ist er vor allem, da er einen ratlosen Richter und einen zerknirschten Polizeibeamten zurücklässt. Und ungeahnte Einblicke in die Polizeiarbeit zulässt.

Das Verbrechen:

Der Mann aus dem Kreis Tuttlingen ist in erster Instanz zu einer elfmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden. Ihm wird vorgeworfen, eine halbautomatische Waffe und eine einzelne Hartkernpatrone besessen zu haben. Das sind Vergehen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, strafrechtlich werden sie als Verbrechen eingestuft, der Haftrahmen liegt bei mindestens einem Jahr.

Die Strafe will der Mann nicht auf sich sitzen lassen. Es geht schließlich um seinen Ruf – und um ein bisschen mehr. So sieht man sich vor Gericht wieder. Die 11. Kleine Strafkammer am Landgericht Rottweil unter dem Vorsitz von Richter Wolfgang Heuer befasst sich erneut mit Fall.

Der Zufall:

Dass sich der Mann aus einer Gemeinde des Nachbarlandkreises überhaupt auf der Anklagebank wiederfindet, hat er einem unglücklichen Zustand, einem Zufall, zu verdanken: Er war einmal so sehr betrunken, dass seine Begleitung die Polizei zu Hilfe rief. Das war in einer Aprilnacht im vergangenen Jahr. Da nahm das Schicksal seinen Lauf.

Die Beamten treffen den Mann regungslos in einer Bushaltestelle liegend vor. Weil er sich nicht auf den Beinen halten kann, wird er in Gewahrsam genommen. Der Polizistin fällt gleich das Messer, das er bei sich hat, und ein Schlagring auf. Das Messer hat es in sich. Im Griff befindet sich ein Röhrchen mit weißem Pulver: Morphin. Ganz genau weiß man das bei der Polizei nicht. Mehr als ein erster Test findet nicht statt. Ebenso wenig will man offensichtlich in Erfahrung bringen, wie viele Promille der Mann intus hat. Ihm wird kein Blut entnommen.

Das Trinkgelage:

Diese Szene wirft ein bezeichnendes Licht auf die Beteiligten – sowohl auf die Beamten, als auf den Betrunkenen.

Der Mann ist Sportschütze. An diesem Abend im April hat er eine sogenannte Whiskeyparty besucht, die nach seinen Angaben einmal im Jahr im Schützenhaus veranstaltet wird. Freilich betont er vor Gericht, es habe sich keineswegs um ein Massenbesäufnis gehandelt, vielmehr um eine Whiskeyprobe. Ein Geschmäckle bleibt und die Frage, wie übermäßiger Alkoholkonsum und der Besuch einer Schießsportstätte in Einklang zu bringen sind.

Der Fall gewinnt an Fahrt. Wegen des weißen Pulvers erwirkt die Polizei einen Durchsuchungsbefehl. Der Verdacht: Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Keine Frage: Die Polizei handelt zügig, aber auch stümperhaft, wie sich herausstellt.

Im Keller des Angeklagten:

Dort tut sich Überraschendes auf: Ein Polizeibeamter sagt als Zeuge aus, er sei sich wie bei einer Waffen-Militaria-Börse vorgekommen. Militärjacken, Waffen, darunter mehrere Messer und asiatische Schlagwaffen, Gewehre, das Magazin einer Maschinenpistole und Munition in großen Mengen seien in einem Extraraum gelagert worden – auf Regalen, in Dosen, in einer Holzkiste. Nicht ganz legal. Das alles nehmen die Beamten mit auf die Wache. Teile davon geben sie an die Kriminaltechnische Untersuchungsstelle (KTU) in Freiburg weiter. Später stellt sich heraus, dass sich unter den 780 Patronen eine einzelne mit Hartkern befunden hat. Zudem bemerkt ein Experte bei der KTU, dass es sich bei einer der Waffen um eine halbautomatische gehandelt habe. Das ist illegal.

Die Enttäuschung:

Der Vorsitzende Richter Wolfgang Heuer verspricht sich vom Polizisten Hinweise, etwa, wie das Waffenarsenal genau ausgesehen hat, wie die Munition gelagert wurde, wie man auf diese einzelne Patrone gestoßen ist. Doch er wird enttäuscht. Der Fehlschlag wiegt so schwer, dass er von einem "Armutszeugnis der Polizei spricht". Das hat auch damit zu tun, dass die Polizeiakte schlampig geführt wurde: Etliche Unterlagen fehlen, etwa ein Foto von der Patrone, dem Hauptbeweisstück. Ebenso gibt es keine Hinweise, wer sich alles bei der Polizei mit den Waffen und der Munition befasst hat, es fehlen Lichtbilder vom Keller. Und dann findet sich bei den Akten eine unbeschriftete CD mit Fotos. Diese zeigen alles Mögliche, sind indes wiederum nicht näher beschrieben.

Kurzum: Richter Heuer kann mit diesen Unterlagen nicht viel anfangen, er kann sich kein Bild machen, kein Urteil erlauben, denn es gibt so gut wie keine Beweismittel. Heuer ist verärgert.

Das Armutszeugnis:

Offensichtlich arbeitet die Polizei in Tuttlingen unter erschwerten, ja erbärmlichen Bedingungen: Fotos, die vom Kellerraum des Angeklagten gemacht wurden, könnten nicht gespeichert werden, da es auf den Computern zu wenig Speicherkapazitäten gebe. Ausdrucken könne man sie aber auch nicht, da die Dienststellen keine Farbdrucker hätten. Die Beamten würden angewiesen, nicht allzu viel zu speichern, nicht allzu viel auszudrucken, da gespart werden müsse. So schildert es der Zeuge.

Späte Einsicht:

Der Beamte entschuldigt sich mehrmals, räumt ein, das mit der unvollständigen Akte sei alles sein Fehler, und stellt nach der Zeugenbefragung zerknirscht fest: "Das war nicht gut." War es in der Tat nicht. Richter Heuer: "Wir haben immer noch keinen blassen Dunst."

 Fortsetzung folgt:

Die Verhandlung wird im Januar fortgesetzt. Mit neuen Zeugen. Und mit der Hoffnung, Beweisstücke herbeizuschaffen, damit sich das Gericht ein Bild machen, ein Urteil fällen kann. Die Absicht des Angeklagten ist offensichtlich: Er will eine geringere Strafe erreichen, um wieder schnellstmöglich in den Besitz eines Waffenscheins zu kommen.