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"Das konnte nicht gut gehen." Beschluss trat 2004 in Kraft.

Kreis Rottweil - "Das konnte nicht gut gehen", sagt Kurt Scherfer, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Tuttlingen, und meint damit den Wegfall der Meisterpflicht in 53 Handwerksberufen. Der Beschluss trat 2004 in Kraft. Die Auswirkungen dessen sind auch im Kreis Rottweil zu spüren.

"Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen" – diese Redewendung scheint so zutreffend wie selten. Denn 15 Jahre nach dem Abschaffen der Meisterpflicht in 53 Handwerksberufen fällt die Bilanz über den Beschluss eher negativ aus.

Dabei war die Absicht durchaus gut. Die damalige Bundesregierung konnte Ausländern in Deutschland die Ausübung bestimmter Berufe erleichtern, wollte das Handwerk attraktiver machen und im Zuge einer Liberalisierung des Arbeitsmarktes für mehr Beschäftigung sorgen. Und tatsächlich stieg die Zahl der Betriebe der IG Bau zufolge nach 2004 von rund 12 400 auf 71 100 an.

Damals feierte der Berufsverband unabhängiger Handwerker die Novelle. "Der Tabubruch ist vollbracht", meinte Vorstandsmitglied Hans-Georg Beuter. Statt Zeit und Geld "zu verlieren", kann man sich seither ohne besondere Kenntnisse und vor allem ohne Meisterbrief selbstständig machen. Das gilt unter anderem für Berufe wie Fliesenleger, Uhrmacher, Goldschmied, Raumausstatter, Müller und weitere.

Nun ist klar: Der Nutzen fällt eher gering aus. So bezeichneten die IG Bau und der Zentralverband Deutsches Baugewerbe die Reform bereits als "fatalen Fehler". "Die Vereinfachung der Selbstständigkeit war ein falsches Signal", meint Kurt Scherfer dazu. Theoretisch könne jeder einfach einen Auftrag annehmen und durchführen. Qualitätsverlust und dadurch Rufschädigung, Wettbewerbsverzerrung, drohende Altersarmut, fehlender Nachwuchs und Fachkräftemangel – die Nachteile seien vielfältig.

Zunächst verliere man durch den Wegfall der Meisterpflicht auch ein Qualitätsversprechen, für das der Meister stehe. "Natürlich gibt es, wie überall im Leben, gute und schlechte Meister, aber die Prüfung ist dennoch ein Qualitätszertifikat. Ein gewisses Grundwissen sei für viele Berufe unabdinglich", meint Scherfer. Etwa für einen Brauer: "Das ist so eine komplexe Materie, die biochemisches und technisches Wissen erfordert."

Nun seien viele unterwegs, die sich zwar Handwerker nennen, aber keine qualitativ hochwertige Arbeit abliefern. "Das schädigt den Ruf des Handwerks und kratzt an unserem Image", fasst es der Vorsitzende des Handwerkerverbandes ZDH, Hans Peter Wollseifer, der auf eine Rückkehr zur Meisterpflicht drängt, zusammen. "Wir wollen vermeiden, dass es heißt: Jetzt haben die Handwerker wieder Mist gebaut. Schlechte Leistungen fallen auf uns zurück", bestätigt Kurt Scherfer. Es gehe nicht darum, die Nicht-Meister schlecht zu machen, sondern Problemen vorzubeugen.

Bei schlechter Arbeit droht zudem die Gefahr, dass Auftraggeber auf den Kosten für die Beseitigung von Schäden oder schlecht ausgeführten Arbeiten sitzen bleiben, da sich nicht-deutsche Betriebe schnell in ihre Herkunftsländer zurückziehen könnten, kritisierte der Fachverband Fliesen und Naturstein.

Bei den Fliesenlegern gab es nach der Reform im Jahr 2004 einen regelrechten Boom

Ein Berufszweig, der vom Wegfall der Meisterpflicht besonders betroffen ist, sei nämlich der Fliesenleger, bestätigt Scherfer von der Kreishandwerkerschaft. "Da gab es nach 2004 einen regelrechten Boom", sagt er. So habe es etwa 20 Prozent mehr Anmeldungen von selbstständigen Gewerben gegeben als zuvor.

Parallel ist die Zahl der bestandenen Meisterprüfungen zwischen 2004 und 2016 um rund 73 Prozent gesunken. Mittlerweile habe sich das Anmeldungsaufkommen einigermaßen reguliert.

Ein Merkmal der oftmals Solo-Selbstständigen sei aber auch, dass etwa die Hälfte innerhalb der ersten fünf Jahre wieder vom Markt verschwinde, meint Scherfer. Zur Selbstständigkeit gehöre neben der fachlichen Ausbildung natürlich auch der rechtliche, berufspädagogische und betriebswirtschaftliche Part, den man eben im Rahmen einer Meisterausbildung lerne. Viele Selbstständige könnten nicht richtig wirtschaften und seien daher nicht überlebensfähig. "Im Hinblick auf die Gewährleistung für den Kunden ist das problematisch", erklärt Scherfer.

Dumpingpreise sorgen für Altersarmut-Gefahr und Druck für die Alteingesessenen

Ein weiteres Problem der Solo-Selbstständigen sei, dass sie ihre Leistungen teils zu Dumpingpreisen anbieten könnten. Wer weniger als 17 500 Euro Umsatz habe, der genieße Steuerfreiheit, so der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. "Das kann nicht gut gehen", sagt Kurt Scherfer und meint damit sowohl die drohende Altersarmut für Selbstständige, die nichts in die Kasse eingezahlt haben werden, als auch den Wettbewerbsdruck für bestehende Handwerksbetriebe.

Im Baugewerbe seien Stundensätze von 45 bis 50 Euro unter Einbezug der Steuern, Personalausgaben und Gewinnspanne üblich. Durch die günstigen Bedingungen könnten Solo-Selbstständige dieselben Leistungen jedoch für etwa 25 Euro anbieten. "Das sorgt für Wettbewerbsverzerrung und kann alteingesessene Betriebe verschwinden lassen", berichtet Angelika Rauser, Leiterin der Kreishandwerkerschaft-Geschäftsstelle. "Das ist ein Stück weit auch politische Ungerechtigkeit", weiß Scherfer.

Gleichzeitig wirkt sich das Fehlen der Meisterpflicht auch auf die Auszubildendenzahlen aus. Lehren dürfe nach wie vor nur, wer Meister sei. "Früher hatten wir fünf bis zehn Raumausstatter-Azubis im Kreis Rottweil, jetzt ist es nur noch einer", führt Angelika Rauser ein Beispiel an. Auch deutschlandweit gab es laut der Handwerkerzeitung einen Einbruch bei den Zahlen. Aus 3029 Azubis (2004), die einen der betroffenen Bauberufe erlernten, wurden 2209 im Jahr 2015.

Das Gute sei, dass die Kunden oftmals trotzdem auf die alteingesessenen, regionalen Betriebe zurückgreifen würden. "Das hat nichts mit altem Zunft-Denken zu tun. Wenn ein Betrieb lange am Markt ist, gibt das einfach Sicherheit", erklärt Scherfer.

Er spricht sich für eine sogenannte Prämie aus, die den Meister attraktiver machen soll. "In zwölf Bundesländern gibt es das bereits. In Baden-Württemberg merkwürdigerweise nicht, obwohl es immer heißt, der Mittelstand sei so wichtig", meint Scherfer.

Nun hat der Deutsche Handwerksverband wohl zwei Gutachten in Auftrag gegeben, die eine Wiedereinführung der Meisterpflicht aus verfassungsrechlicher und wirtschaftlicher Sicht abklopfen. Dann würde man sich in Zukunft wieder sicher sein können, dass der beauftragte Fliesenleger zumindest über die wichtigsten Kenntnisse sein Fach betreffend verfügt.

Doch dann rollt schon ein neues Problem auf die Unternehmer zu, wie Kurt Scherfer weiß: "Bei 4000 bis 5000 Betrieben im Kreis wird in den kommenden Jahren die Übergabe an Nachfolger anstehen".