Zwei Männern wird vorgeworfen, einen 20-Jährigen halb totgeschlagen zu haben. Sie müssen sich vor dem Landgericht Rottweil verantworten. Foto: Seeger

In Sulzer Milieu herrschte Angst und Schrecken. Haupttäter sollen zuerst in Erziehungsanstalt.

Kreis Rottweil - Ein Duo – 29 und 28 Jahre alt – das sich im Alkohol- und Drogennebel für unschlagbar zu halten schien, schlug einen 20-Jährigen halb tot. Vor Gericht geben sich die Angeklagten geläutert. Den beiden Gewaltprotzen wird zugetraut, in einer Erziehungsanstalt so in die Spur zu kommen, dass ein sozialverträgliches Leben ohne weitere kriminelle Ausrutscher möglich ist. So dürfte beim Strafmaß eine Unterbringung in einer Einrichtung mit großer Kompetenz in Sachen Drogen- und Alkoholentzug an vorderster Stelle stehen. Sollten die Beiden dann nach etwa zwei Jahren clean und trocken sein, muss sich die Justiz indes die Fragen stellen, wie lange ihre "mit wenig Sinn und geringem Verstand" verübten Taten – wie sie selber treuherzig, fast wie kleine Kinder, die gerade von der Oma beim Stibitzen einer Tafel Schokolade erwischt wurden, einräumen – einen nachfolgenden Gefängnisaufenthalt zu bedingen haben.

Auch die beachtlichen Vorstrafenlisten lassen erahnen, dass der Weg in die Freiheit für das Duo, das am 15. Juni 2016 beim E-Werk im Sulz ihr Opfer zu fürchterlichen Schreien in Todesangst veranlasste, nicht schon nach 24 "Erziehungs-Monaten" freigegeben wird.

Hatten die Beiden damals drei Mitläufer um sich geschart, die im Gerichtssaal beteuern, nie mit einem solch unheimlichen Geschehen auf einer Wiese am Sulzer Neckarufer gerechnet zu haben, gingen die beiden Haupttäter im Herbst 2015 in einer Sulzer Wohnung ohne Mitstreiter zur Sache. Damals schlugen sie einen anderen jungen Mann wieder "mehr aus einer Laune heraus", wie beide betonen, krankenhausreif. Beim Opfer hatten sie sich mit der Frage, ob sie auf ein Bier vorbeikommen könnten, Zugang verschafft.

Schlechte Laune, oder doch noch etwas mehr, was zu Rundumschlägen ohne Rücksicht auf Verluste veranlasst? Am 15. Juni 2016 wurde das Opfer mit einem Ladekabel stranguliert. Ein von einem heute 20-jährigen Mitläufer von der Tat gemachtes Handyvideo zeigt in unfassbar schrecklicher Weise, wie das Opfer mit dem um den Halsgelegten Kabel auf dem Boden umhergezogen wird, beziehungsweise mit Füßen und Fäusten gnadenlos traktiert wird.

"Die Mächtigsten im Sulzer Drogensumpf" verbreiten Angst und Schrecken

Haben die drei jüngeren Angeklagten da zu zwei vermeintlichen Zampanos ehrfürchtig oder eher demütig mit Angstgefühlen aufgeschaut und – als es um Leben und Tod ging – sich nicht zum Einhalt gebieten getraut? Letzterer Eindruck kristallisierte sich vor der Großen Jugendkammer am Landgericht Rottweil auch am vierten Verhandlungstag sehr deutlich heraus. Auch Vertreter der Jugendgerichtshilfe, die sich um die beiden jüngsten Angeklagten kümmern, lassen keinen Zweifel an dieser Einschätzung. Einer sagt, dass seinem Schutzbefohlenen heute völlig klar sei, dass sie sich "nicht um Zampanos, sondern um erbärmliche Gestalten" geschart hätten. Dies wohl auch, um sich damals mit Drogen einzudecken. Mittlerweile scheinen sich alle vom Konsum solcher Suchtmittel verabschiedet zu haben.

"Die Mächtigsten im Sulzer Drogensumpf" fällt schon mal, wenn in Polizeikreisen von der einstigen Szene im nördlichen Kreisgebiet, die inzwischen beruhigt scheint, die Rede ist. Am Tag der Juni-Tat hatten die Hauptbeschuldigten bei ihrer in Begleitung der dreiköpfigen Anhängerschaft veranstalteten "Mission" offenbar die Devise ausgegeben, einem gerade weniger beliebten Kumpel aus dem Dealerteam – dem mit dem Leben davongekommenen Opfer, das sich selbst noch wegen Drogendelikten vor Gericht verantworten muss – als kleine Abreibung eine "Respektschelle" verpassen zu wollen. Dass statt der in Raum gestellten Ohrfeige dumpfe und rohe Gewalt mit zahlreichen brachialen Tritten gegen Kopf und Körper angesagt war, sorgt bei den damaligen Mitläufern heute noch für blasse Gesichter.

Die gerichtsmedizinische Gutachterin spricht zwar – wohl auch aufgrund einiger glücklichen Umstände im Tatablauf – von einer letztlich nicht lebensgefährlichen Situation. Gleichwohl zeigt sie sich laut dem Nebenklägeranwalt überrascht, dass die fünf Angeklagten – die beiden Haupttäter werden in Fußfesseln vorgeführt – nur wegen Körperverletzung und nicht wegen eines versuchten Tötungsdelikts mit bedingtem Vorsatz angeklagt sind.

Diesen Hinweis des Opfer-Anwalts wird die Kammer unter dem Vorsitz von Daniel Scholze genauso zu prüfen haen, wie Beweisanträge der Verteidigerin des 28-Jährigen Hauptangeklagten zum Vorwurf des schweren Raubs. Laut dem Opfer soll dieser Täter während des schlimmen Angriffs dessen Taschen ausgeräumt und insbesondere 200 Euro an sich gebracht haben. Die Täterschar dagegen schildert, nach dem Angriff habe das Opfer nach Aufforderung durch die beiden Hauptangeklagten die Taschen selbst ausgeräumt.

Dass dieser Punkt auch den älteren des rabiaten Duos sehr beschäftigt, wird in Liebesbriefen aus der U-Haft an eine Freundin deutlich, die wegen tatrelevanter Inhalte von der Justiz beschlagnahmt worden waren. In den Schreiben hatte der Mann seine Liebste wissen lassen, dass er ohne den Vorwurf des schweren Raubs gar nicht in U-Haft einsitzen müsse. Das dürfte aber wohl eine ziemliche Fehleinschätzung sein. Das Gewaltvideo spricht nämlich eindeutig eine ganz andere, nach Gefängnismauern schreiende Sprache.

Bis zur Fortsetzung des Prozesses in zwei Wochen mit Plädoyers dürften sich die Prozessbeteiligten auch intensiv Gedanken machen zur Strafbemessung für die drei jüngeren Angeklagten. Bei diesen dürfte "pädagogisch wertvoll" als Maxime ganz oben bei einer Urteilsfindung stehen. Sozialdienste und die Zuordnung von Betreuern könnten hier angesagt sein.

Psychologischer Gutachter beurteilt die beiden Haupttäter nach vielen Gesichtspunkten

Zu den beiden Haupttätern machte der psychologischer Gutachter Charalabos Salabasidis längere Ausführungen. Sie müssten endgültig weg von Alkohol und Drogen gebracht werden. Diese Angeklagten könnten mit Hilfe von Therapien so strukturiert werden, dass ein eigenständiges Leben mit Jobs und ohne weitere kriminelle Episoden möglich sei. Mit diesen Einschätzungen bescheinigt der Psychiater dem 29- und dem 28-Jährigen aber auch eine volle Schuldfähigkeit. Das könnte bedeuten, dass nach der Erziehungsanstalt noch eine Portion Knast angesagt ist, auch wenn die U-Haft jetzt bereits ein dreiviertel Jahr dauert.