Die Rettung von in Seenot geratenen Flüchtlingen führt zu einer hitzigen Diskussion im Kreistag. Foto: Vitko

Kreistag lehnt mehrheitlich Grünen-Antrag ab. Diskussion über Aufnahme von Flüchtlingen. Mit Kommentar

Kreis Rottweil - Ein Zeichen für Mitgefühl und Humanität sollte es werden. Daraus entspann sich im Kreistag eine Grundsatzdiskussion zum Thema Flüchtlinge und Migrationspolitik. Die Grünen-Fraktion wollte, dass sich der Kreis der Aktion "Sichere Häfen" anschließt. Eine Mehrheit wollte nicht.

Aktion setzt sich für Entkriminalisierung der Seenotrettung ein

161 sogenannte sichere Häfen gibt es in Deutschland. 24 davon liegen in Baden-Württemberg, darunter in Tuttlingen, Villingen-Schwenningen und Konstanz. Auch ein Landkreis ist darunter: Konstanz. Sichere Häfen ist eine Aktion, die sich aus Protest zur aktuellen Flüchtlingspolitik der Bundes- und Europapolitik gebildet hat. Nach ihrem Selbstverständnis fordert "Sichere Häfen" die Entkriminalisierung der Seenotrettung und neue staatliche Rettungsmissionen. Die Kommunen heißen Geflüchtete willkommen, sie zeigen die Bereitschaft, mehr Menschen aufzunehmen, als sie müssten.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Kreistag hat bereits zu Beginn des Jahres in einem Antrag an Landrat Wolf-Rüdiger Michel die Forderung erhoben, dass der Kreis hier mitmache (wir berichteten). Angesichts der Problemlage in den Flüchtlingslagern in Griechenland solle der Landkreis einen Beitrag leisten, die Krise zu entschärfen, bis die politischen Entscheidungen getroffen seien, heißt es. Gefragt wurde zudem nach noch freien Plätzen in den Flüchtlingsunterkünften des Landkreises.

Unzutreffendes Signal könnte ausgesendet werden

Wegen einer längeren Sitzungspause aufgrund der Coronakrise kam der Grünen-Antrag erst am Montag zur Sprache. Die Landkreisverwaltung lehnte das Ansinnen ab. Landrat Michel verwies darauf, dass die Flüchtlingspolitik nicht in die Zuständigkeit der Kommunen falle. "Das Leid und die Zustände in manchen Flüchtlingslagern in Südeuropa und in der Welt geht uns allen zu Herzen", heißt es in der Vorlage seitens der Landkreisverwaltung.

Zugleich wird darin auf die finanziellen Auswirkungen hingewiesen und darauf, dass das unzutreffende Signal ausgesendet werden könnte, Deutschland sei unbegrenzt zur Aufnahme von Flüchtlingen bereit. Die Diskussion in der Sitzung am Montagnachmittag in der Stadthalle Rottweil spiegelte das politische Spektrum der im Kreistag vertretenen Parteien und Wählervereinigungen wider. Sie wurde dementsprechend mit harten Bandagen geführt.

Hoffmann fordert direkte Hilfe in Lagern 

Nachdem der Grünen-Fraktionssprecher Hubert Nowack betonte, es gehe nicht um einen Alleingang des Kreises, ergänzte später Fraktionskollegin Sonja Rajsp, man wolle lediglich aufzeigen, dass es im Kreis noch freie Plätze in den Unterkünften gebe und die Bereitschaft signalisieren, innerhalb der vorhandenen Strukturen Flüchtlinge aufzunehmen.

Dass diese Ansicht heftigen Widerspruch am anderen Ende des Meinungsspektrums auslösen würde, war zu erwarten. Reimond Hoffmann, AfD-Fraktionssprecher, äußerte, er hätte nie gedacht, dass der Fehler von 2015 noch einmal wiederholt würde. Er sagte, die Aktion Seebrücke würde zur unbegrenzten Einwanderung auffordern. Er verwies auf die Kosten, die ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling laut Auskunft der Landkreisverwaltung auslöse (60.000 Euro im Jahr) und forderte die Antragsteller dazu auf, doch nach Griechenland zu fliegen, um den Menschen in den Lagern direkt zu helfen.

"Tropfen auf den heißen Stein"

Zurückhaltender, aber ebenso ablehnend äußerten sich die Fraktionen von CDU, Freie Wähler und FDP, wobei die CDU-Stellungnahme lediglich von einer Mehrheit der Fraktion getragen wurde. Allen Äußerungen vorangestellt war das Bedauern über die Situation in den Lagern.

CDU-Sprecher Rainer Hezel sagte, die Initiative von Bündnis 90/Die Grünen sei nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Er meinte, die Kosten seien besser vor Ort eingesetzt. Zudem sei es ein falsches Signal an die Menschen. Es wäre besser, sie würden sich nicht auf den gefährlichen Weg nach Europa machen.

Der Sprecher der Freien Wähler, Thomas J. Engeser, sagte, er bedauere, dass Europa so wenig Solidarität mit den geflüchteten Menschen zeige. Es sei indes kein Problem, das auf kommunaler Ebene gelöst werden könne.

"Mit der Bergpredigt unterm Arm kann man keine Probleme lösen"

Gerhard Aden (FDP) erinnerte an die in der Gesellschaft geführte Diskussion und an den Pullfaktor, der besagt, Flüchtlinge würden den gefährlichen Weg über das Meer in Kauf nehmen in der Hoffnung, von privaten Seenotrettungsorganisationen im Ernstfall gerettet zu werden. "Mit der Bergpredigt unterm Arm kann man keine Probleme lösen", so Aden.

Klaus Schätzle (SPD), erbost über Äußerungen der AfD-Kreisräte, erinnerte an die koloniale Vergangenheit, daran, dass Europa den afrikanischen Kontinent über Jahrhunderte ausgebeutet habe, und sagte, man brauche sich nun nicht zu wundern, dass diese Menschen an Europas Türen klopften.

Bernd Richter (ÖDP) sagte, es bedeute nicht gleich den finanziellen Weltuntergang Deutschlands, wenn 1000 Familienangehörige pro Jahr nachziehen dürften, es sei fürs Abendland peinlich, wie man sich gegenüber den Flüchtlingen verhalte.

Antrag abgelehnt

Mit 20 zu 16 Stimmen bei zwei Enthaltungen wurde der Grünen-Antrag abgelehnt. Mehrheitlich unterstützt der Kreistag die Haltung der Verwaltung, die im Sinne des deutschen Landkreistags eigenständige kommunale Entscheidungen über die Aufnahme von Flüchtlingen ablehnt. Entscheidungen darüber müssten auf nationaler Ebene getroffen werden.

Kommentar: Engelchen

Von Armin Schulz - Viele, die über die katastrophalen Zustände in den Flüchtlingscamps in Griechenland sprechen, tun dies mit einem Ausdruck des Bedauerns. Das war auch in der Diskussion im Kreistag so. CDU, Freie Wähler, FDP und Landrat – ihnen allen tut leid, was in den Lagern passiert. Doch machen könnten sie nichts, sagen sie mit Verweis auf die übergeordnete Zuständigkeit. Das ist richtig. Doch ehrlicher wäre gewesen zu sagen: Wir wollen nicht. Wir wollen nicht, weil wir die Flüchtlings- und Corona-geplagte Gesellschaft nicht überstrapazieren wollen. Das ist der wahre Grund und er ist ebenso richtig wie der Verweis darauf, dass unbegleitete Kinder in Deutschland nicht die Engelchen bleiben, wie es die Grünen gerne hätten. Auch aus Kindern werden Jugendliche und junge Männer. Und was manche von ihnen anstellen können, konnte man vor Kurzem in Stuttgart erleben.