Erneut hat Gift Fischen im Oberen Neckar bei Deißlingen den Garaus gemacht. Foto: imago/Starmedia

Giftbrühe landet im Klärwerk Deißlingen. Schadensausmaß noch unklar. Suche nach Verursacher läuft. Kripo ermittelt.

Kreis Rottweil - Wut und Entsetzen in Deißlingen: Erneut hat eine giftige Abwasserbrühe die Kläranlage lahmgelegt. Wieder trieben tote Fische im Neckar. Das genaue Ausmaß des Schadens kennen die Behörden noch nicht. Die Kriminalpolizei ermittelt.

Deißlingens Bürgermeister Ralf Ulbrich hat sich das Drama gestern angeschaut. Erneut zogen Mitglieder der Fischereivereine tote Tiere aus dem Neckar, jämmerlich eingegangen mit verätzen Kiemen. Getroffen habe es Forellen, erst voriges Jahr von den Anglern eingesetzt, und Weißfische. Die Stimmung vor Ort: »Fassungslosigkeit war beim letzten Mal. Jetzt ist es mehr.«

Es handelt sich mittlerweile um den vierten Fall seit 2009, in dem giftige Chemikalien in der Kanalisation gelandet sind. Gesicherte Erkenntnisse über das Ausmaß des neuen Schadens liegen noch nicht vor. Ulbrich schätzt die Zahl der toten Fische »auf dreistellig«. Das Landratsamt Rottweil ging gestern Mittag von 20 bis 40 verendeten Tieren aus. Für die Fischer ist das zweitrangig. Der Schaden für die Umwelt, möglicherweise wissentlich angerichtet, treibt sie auf die Palme

Bürgermeister Ulbrich: »Da steckt kriminelle Energie dahinter.«

Hinweise auf eine Panne im Klärwerk selbst gab es jedenfalls nicht. »Das kam über die Kanalisation«, so Ulbrich. Der Bürgermeister hält es für wahrscheinlich, dass jedes Mal derselbe Verursacher »ein Fass Gift in die Kanalisation kippt«. Mit seinem Verdacht steht er nicht alleine da. Auch der Erste Landesbeamte im Landratsamt Rottweil, Hermann Kopp, hält das für möglich. Alleine von der Art und Menge der Chemikalien her geht das Landratsamt davon aus, dass es sich wohl um einen Gewerbebetrieb handelt, der gefährliche Abfälle illegal verklappt. Wasserproben und tote Fische wurden an ein Speziallabor geschickt. Laut Kopp wurden Schwermetalle und Schwefelverbindungen eingeleitet – Stoffe, wie sie in der metallverarbeitenden Industrie anfallen.

Der Abwasserzweckverband Oberer Neckar, der die Kläranlage in Deißlingen betreibt, hat Anzeige erstattet, sagt Guido Wittig. Er ist Abteilungsleiter im Stadtbauamt Villingen-Schwenningen und zuständig für den technischen Betrieb des Klärwerks Deißlingen. Beamte der Kriminalpolizei in Balingen und Villingenn-Schwenningen ermitteln. Wittig hofft, dass der Umweltsünder diesmal geschnappt wird. Der Zweckverband »tut dafür alles, was er kann«. Aber er dämpft die Erwartungen: »Das ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.«

Denn das Einzugsgebiet der Kläranlageist riesig: Am Abwassernetz des Zweckverbands hängen Schwenningen, Mühlhausen, Weigheim, Dauchingen, das Industriegebiet Trossingen-West, die Deponie in Tuningen sowie die Gemeinde Deißlingen und ihr Industriegebiet Mittelhardt. Sieben Millionen Kubikmeter Abwasser landen jedes Jahr in Deißlingen – erst als »Cocktail« im Klärwerk, wie es Wittig nennt, und dann gereinigt im Neckar.

Der Erste Landesbeamte in Rottweil klingt zuversichtlicher. Die Suche nach dem Verursacher könne nun etwas eingegrenzt werden. Chemiker sollen helfen, die Spur des Gifts zurückzuverfolgen. Am Montag beginnen Experten damit, Proben im Kanalisationsnetz zu nehmen.

Schäden für die Umwelt noch nicht absehbar

Den sprunghaften Anstieg von Ammoniumstickstoff im Abwasser hatte die Mannschaft der Kläranlage bereits am Donnerstagmittag bemerkt (wir berichteten). Das Problem: Wenn der erhöhte Wert festgestellt wird, ist es praktisch schon zu spät. Untersucht wird das Wasser erst nach der Reinigung, wenn es in den Neckar fließt. Außerdem ist das Gleichgewicht in den Klärbecken dann bereits gekippt. Die Bakterien, die organische Stoffe zersetzen, arbeiten dann nicht mehr.

Wie groß die Schäden für die Umwelt sind, wissen die Behörden noch nicht. Der Grenzwert für Ammoniumstickstoff liegt bei fünf Milligramm. Zeitweise war die Belastung des Wassers, das im Neckar landete, auf 30 Milligramm gestiegen, so Wittig. Mittlerweile sei der Wert wieder »deutlich« gesunken. Die Bakterienstämme im Klärbecken würden sich langsam wieder aufbauen.

Zu dieser Einschätzung kommt auch das Landratsamt Rottweil. Das Ausmaß sei zwar vergleichbar mit dem des Vorfalls von 2009, die Werte lagen diesmal sogar noch darüber. »Über Nacht ist es aber besser geworden«, sagt der Erste Landesbeamte. Der PH-Wert im Wasser sei wieder »im weniger kritischen Bereich«. Bürgermeister Ulbrich glaubt, dass die Umweltschäden auch diesmal auf Deißlingen begrenzt bleiben. Das Neckarwasser verdünne das Gift, flussabwärts sinke die Konzentration automatisch. »Ich gehe davon aus, dass man schon in Rottweil nichts mehr davon mitbekommt«, so Ulbrich.

Nach Auskunft des Deißlinger Bürgermeisters wird die Kläranlage bald aufgerüstet. Geplant ist der Bau eines sogenannten Retentionsfilterbodens. Die Kosten werden auf zwei Millionen Euro geschätzt, geplanter Baustart ist 2015. Trotzdem – und nicht nur deshalb – hofft er, dass der Umweltverschmutzer gefunden wird. »Das ist eine Sauerei, da steckt kriminelle Energie dahinter«, so Ulbrich. »Und einen 100-prozentigen Schutz werden wir bei solchen Fällen nie erreichen.«