Joachim Löws Heimatort feiert den berühmten Sohn. Foto: Seeger

Pit Löws Gaststätte hat Kultcharakter. In Schönau ist man stolz auf "seinen" Bundestrainer.

Schönau - Er gilt als der derzeit populärste Deutsche. Die internationale Presse schwärmt in den höchsten Tönen. Einer seiner Kollegen, der spanische Nationalcoach Vincente del Bosque, nennt ihn einen "eleganten Mann, der sowohl im Moment des Sieges als auch der Niederlage die Fassung behält".

Doch es ist ein kleines Städtchen im Schwarzwald, in dem morgen Abend der Adrenalinspiegel mit am höchsten sein dürfte, wenn Joachim Löws deutsche Fußball-Nationalmannschaft gegen Italien zum Halbfinale der Europameisterschaft aufläuft: Schönau im Landkreis Lörrach, eine 2400-Seelengemeinde, das Heimatstädtchen des Bundestrainers, dieses Joachim Löw, von dem Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner behauptete, er sei "ein Ritter von schöner Gestalt". Seine weißen Hemden, "eng auf Taille geschnitten, sind Kult".

Hier in Schönau ist der Bundestrainer geboren und aufgewachsen, hier lebt die Mutter, ist die Familie verwurzelt. Löw hat drei Brüder, der Vater lebt nicht mehr. Die Schönauer sind stolz auf ihren großen Sohn, der bereits im Alter von 18 Jahren ins 30 Kilometer entfernte Freiburg zog, um Fußballprofi zu werden.

Umfallen war beim Viertelfinale nicht mehr möglich

Gefiebert mit "dem Jogi" wird im Wiesental-Städtchen vor allem in der Stadiongaststätte. Hier am Ortsausgang in Richtung Basel wird Public Viewing angeboten. Aber nicht irgendeines. Denn der Betreiber der FC SchönauKneipe heißt Peter Löw, Jogis jüngster Bruder und von allen im Ort nur "Pit" genannt. Und um den 47-jährigen Bundestrainer-Bruder scharen sich die Fußballfans. Genauer gesagt starren sie auf die Leinwand vor der Gaststätte, wo Pit Löw in einem 100 Quadratmeter großen Carport Marke Eigenbau das versammelte Fußballgucken veranstaltet.

Zwar waren in der Vorrunde selbst bei Deutschland-Spielen noch einige Plätze frei geblieben, im Viertelfinale gegen Griechenland aber war hier Umfallen schon nicht mehr möglich, derart dicht gedrängt saßen die Fußball-Pilger auf den Bierbänken. Gesäumt von den stehenden Fans an den Flanken des Carports, die keinen Sitzplatz mehr fanden, weil sie leichtsinnigerweise erst eine Stunde vor Spielbeginn eintrafen. Pits Gaststätte hat Kultcharakter im Landkreis. Zumindest solange Jogi der Bundestrainer ist.

Als Spieler stürmte Joachim Löw für den SC Freiburg, den VfB Stuttgart, Eintracht Frankfurt und den Karlsruher SC, ehe er seine aktive Karriere in der Schweiz beim FC Schaffhausen, dem FC Winterthur und beim FC Frauenfeld am Bodensee ausklingen ließ. Bei seinen beiden letzten Schweizer Vereinen arbeitete er anschließend als Trainer weiter, seine erste Station als Übungsleiter in Deutschland war wiederum der VfB Stuttgart. Es folgte eine Europareise als Fußballlehrer: Fenerbahce Istanbul, erneut Karlsruher SC, wieder Türkei (Adanaspor) und zweimal Österreich (FC Tirol Innsbruck und FK Austria Wien).

Der frühere norwegische Nationalspieler Sigurd Rushfeldt, der unter Löw bei der Austria spielte, wird heute im "Dagbladet" mit dem Satz zitiert, Löw sei der beste Trainer gewesen, den er je hatte: "Er stellte hohe Anforderungen, aber er war sehr fair. Wenn man sein Bestes gab, wurde man mit Respekt behandelt."

Hauptdarsteller des Sommermärchens 2006

Berühmtheit freilich erlangte der damals 44-jährige Joachim Löw erst, als er in die Dienste des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) wechselte. Im Sommer 2004 wurde er unter Jürgen Klinsmann Co-Trainer der Nationalmannschaft, gemeinsam stellten der Schwabe und der Badener eine neue Generation an Elitekickern zusammen und wurden zu Hauptdarstellern des Sommermärchens bei der Fußballweltmeisterschaft im eigenen Land 2006. Nach der WM ging Jürgen Klinsmann von Bord, Löw übernahm Ruder und Rudel verantwortlich.

So kennt man Joachim Löw seither aus dem Fernsehen: Er ist als Trainer und Werbeträger erfolgreich, strahlt meist vor guter Laune, ihn bringt so leicht nichts aus der Ruhe. Dass der Bundestrainer außerdem Espresso und Süßigkeiten aller Art liebt, gerne ins Kino geht und Udo Jürgens hört, dass er Kriminalromane und Rotwein mag, Frühaufsteher und gläubiger Katholik ist – all dies gibt der 52-Jährige öffentlich preis.

Und darüber spricht man auch in Schönau gerne. Wenngleich Jogi Löw seinen Wohnsitz nie wieder nach Schönau verlegt hat und längst mit seiner Frau Daniela vor den südlichen Toren Freiburgs in der Rheinebene residiert.

Jogi als Kind: immer den Ball am Fuß

In der Halbzeitpause wollen sie sich endlich selbst bewegen: Jetzt, da beim Public Viewing die Nachrichten laufen, rennen die Kinder, den Ball am Fuß führend, auf den Sportplatz direkt neben Pit Löws Gaststätte. Diese Szene erinnert an die legendäre Geschichte eines Jungen namens Joachim Löw, die man sich in Schönau ebenfalls immer wieder gerne erzählt. Dieser kleine Junge, Sohn eines selbstständigen, für seine Tüchtigkeit geschätzten Ofensetzers war derart ballverliebt, dass er sich schon auf dem Fußweg von seinem Elternhaus zum Trainingsplatz nicht von der Lederkugel trennen wollte. So lief Jogi also – angeblich über Jahre hinweg – den einen Kilometer durch das Städtle, den Ball am Fuß führend und dabei verträumt und weltvergessen blickend.

Jogi ist in Schönau Vorbild. Obwohl die heutige Jugend seine Zeit als Spieler nicht mehr mitbekommen hat, ist Jogis Ruf im Städtchen für sie blitzsauber. "Der Bundestrainer hat früher nur für seinen Heimatverein FC Schönau gelebt", schwärmt der 20-jährige Christian Kiefer, zentraler Mittelfeldspieler in der ersten Mannschaft des FC Schönau, die nach der vergangenen Saison aus der Bezirksliga abgestiegen ist und nun in der Kreisliga antreten muss.

Neben Ehrgeiz und Aufopferung für die Mannschaft schätzt man im Schwarzwald auch die Bescheidenheit. So weiß Michael Locker, der zweite Vorsitzender des FC Schönau: "Jogi gilt bei uns auch als Sympathieträger, weil er sich nie in den Vordergrund drängt. Bei ihm gewinnt stets die Mannschaft, nie er selbst."

Prominenz fällt auf jeden Schönauer ab

Derweil suchen die in Schönau auflaufenden Vertreter der elektronischen Medien noch Interviewpartner unter den abendlichen Besuchern bei Pit Löw. Nach all den Jahren, seit der Jogi Bundestrainer ist, findet sich nahezu kein Schönauer Gesicht mehr, das noch nicht im Fernsehen zu sehen war – und keine Schönauer Stimme mehr, die noch nicht über die Radiosender ging. Hier nimmt man es gelassen. Jogis Prominenz fällt halt irgendwie auf jeden der Einwohner im Bundestrainer-Städtchen ab. Ob zum Ge- oder Missfallen des Einzelnen.

Pit Löw ist der mediale Trubel um den prominenten Bruder längst zu viel geworden. Da spricht der 47-Jährige dann schon einmal ein Drehverbot für das Innere seiner Gaststätte aus, wenn der Wirt, der zugleich Koch ist, mal wieder vor lauter Fernsehteams nicht mit der Pizza zu den Gästen durchkommt.

Am Donnerstagabend wird er übrigens nicht einen einzigen Spielzug gegen die Italiener mitbekommen. Wie bei jedem Spiel ist für ihn in der Küche zu brutzeln und draußen zu glotzen eben nicht kompatibel. "Ich schaue nachts in Videotext und Internet und lese morgen die Zeitung", verrät er, wie ihm die Erfolge seines ältesten Bruders doch nicht ganz verborgen bleiben.

Nicht verborgen bleibt auch der göttliche Beistand, der der Nationalmannschaft beim Einzug ins Finale der Europameisterschaft helfen soll. "Es interessiert uns schon sehr, wie es dem Jogi geht", bekundet Schönaus katholischer Pfarrer August Schuler. Auch er ist bei jedem Spiel der Deutschen dabei und drückt die Daumen. Hier draußen, neben den hohen Tannen am Schönauer Ortsausgang.