In der Tiefgarage setzte sich der Freudenstädter OB hinters Steuer. Foto: Schwark

Nach der Alkoholfahrt von Julian Osswald nehmen Bürgermeister und andere Politiker im Kreis Stellung.

Kreis Freudenstadt - Schweigen, Enttäuschung und Mitleid – die Reaktionen von Bürgermeistern und anderen Politikern im Kreis Freudenstadt auf die Alkoholfahrt von Freudenstadts OB Julian Osswald fallen unterschiedlich aus.

Keiner der befragten Politiker setzt zum Angriff an, doch kritische Untertöne gibt es sehr wohl. Gerhard Gaiser, SPD-Kreisvorsitzender, sagt: "Wir Politiker haben eine gewisse Vorbildfunktion." Für sich persönlich habe er eine klare Linie festgelegt: "Ich trinke keinen Alkohol, wenn ich selbst fahre." Dies sei nicht immer einfach, wenn man nach einer Sitzung noch gemütlich beisammen sitze. "Dann würde ich manchmal gerne ein Viertele Wein trinken." Dann müsse man standhaft bleiben. "Es gibt immer wieder Unfälle unter Alkoholeinfluss, und sehr oft sind dann Unschuldige betroffen."

Dennoch sei das, was Osswald passiert sei, menschlich. "Jeder hat bestimmt schon einmal Glück gehabt." Aber Gaiser sagt auch: "Das ist kein Kavaliersdelikt. Und es hat schon andere gegeben, die in einer anderen Dimension ihre Funktion niederlegen mussten. Siehe den Fall Margot Käßmann."

Reiner Ullrich, Alpirsbacher Bürgermeister und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Freudenstädter Kreistag, will die Alkoholfahrt seines Freudenstädter Kollegen auf Anfrage unserer Zeitung nicht kommentieren, räumt aber ein, dass es für Bürgermeister mehr dienstliche Anlässe gebe, etwas zu trinken, als in anderen Berufen.

Kreisrat Walter Trefz (Bündnis 90/Die Grünen) wertet den Fall als "persönliche Tragödie" Osswalds, die zeige, "wie gefährlich der Alkohol auf der einen und das Auto auf der anderen Seite ist, und dass sie zusammen noch mal gefährlicher sind". Er habe wegen der Alkoholfahrt des OB keine Schwierigkeiten, mit Osswald im Kreistag und Freudenstädter Gemeinderat weiter zusammenzuarbeiten, versichert Trefz. Jeder Bürger solle sich überlegen, wie viel Glück er selbst schon gehabt habe. Als Wahlbeamter sei Osswald besonders stark der Öffentlichkeit ausgesetzt. Trefz hofft deshalb, dass von dem Fall auch eine positive Wirkung ausgehe: Vielleicht lasse mancher Bürger das Auto künftig häufiger als bisher stehen und gehe zu Fuß.

Angelika Engeln, stellvertretende FDP-Kreisvorsitzende, sagt: "Er ist ja reumütig, aber das ist schon ganz schön blöd. Frauen müssen bei so etwas sofort zurücktreten – wie man im Fall Käßmann gesehen hat." FDP-Kreistagsfraktionsvorsitzender Daniel Wochner und sein Fraktionskollege Michael Theurer wollten sich gestern zum Fall Osswald nicht äußern.

Albert Schindler, Bürgermeisterkollege Osswalds aus Empfingen, zeigt Mitleid: "Er hat Mist gebaut, und das ist persönlich traurig. Er ist auch nur ein Mensch." Dass ein Politiker immer wieder in Versuchung kommen kann, weiß Schindler. "Bald ist wieder eine Versammlung im Empfinger Ortsteil Wiesenstetten, und dann brauche ich das Auto. Danach sitzt man noch einen Moment zusammen. Dann ist die Verlockung groß." Doch er bleibe konsequent. "Bei anderen Anlässen habe ich einen 50-Prozent-Vertrag mit meiner Frau. Ich fahre hin und sie fährt zurück", erzählt er schmunzelnd. Ernst sind aber seine Worte gegenüber den Folgen für Osswald: "Sein Nimbus ist schon ein bisschen angekratzt. Er hat eine Vorbildfunktion."

Osswalds Horber OB-Kollege Peter Rosenberger sagt: "Er hat den Fehler sofort zugegeben und erkannt. Das ist ganz wichtig. Wir alle sollten daraus lernen und Schlüsse ziehen." Waldachtals Bürgermeister Heinz Hornberger, zugleich CDU-Fraktionsvorsitzender im Kreistag, wollte gestern nicht kommentieren: "Das ist eine private Angelegenheit. Sie glauben doch beim besten Willen nicht, dass ein Bürgermeister dazu Stellung bezieht." Auch Landrat Klaus Michael Rückert ließ gestern durch seine Pressestelle ausrichten, dass er sich nicht äußern wolle.

Seite 2: Prominente Alkoholsünder

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Andreas Schockenhoff aus Ravensburg rammte am 2. Juli 2011 beim Ausparken ein anderes Fahrzeug und fuhr heim. Später wurde ihm eine Blutprobe entnommen, die zwei Promille ergab. Kurze Zeit später kam die persönliche Erklärung: "Mir ist bewusst, dass ich alkoholkrank bin." Knapp ein Jahr später startete er damit seine Rede zur Nominierung als CDU-Direktkandidat und holte 58 Prozent der Stimmen. Mit 51,6 Prozent der Stimmen (ein Plus von 6,8 Prozent) wurde er direkt in den Bundestag gewählt.

Bürgermeister Stefan Wirbser aus Feldberg hat immer wieder Ärger mit Alkohol am Steuer. Anfang April wurde ihm der Führerschein entzogen. Diesmal wurde er mittags mit 0,24 Milligramm Atemalkohol erwischt. Weil er schon 1996, 2003 und 2008 seinen Führerschein wegen Alkohol am Steuer abgeben musste, bezweifelte das Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald Wirbsers Eignung zur Führung eines Fahrzeugs.

Thomas Burg war Bürgermeister von Überherrn (Saarland). Ende März 2010 wurde er schlafend in seinem Auto vor seiner Tür gesehen. Ein Passant rief die Polizei. Ergebnis: 1,91 Promille im Blut. Knapp ein Jahr später trat der Parteilose überraschend zurück.

Andreas Bartels, Bürgermeister der norddeutschen Gemeinde Garrel, wurde im Juni 2007 auf dem Rathausparkplatz mit 1,3 Promille von der Polizei erwischt. Ihm wurde der Führerschein entzogen. Einen Tag später fuhr er Motorrad bei einer Benefiz-Veranstaltung. Das Amtsgericht verhängte einen Strafbefehl zu 50 Tagessätzen und knapp ein Jahr Führerscheinentzug. Zur Abwahl kam es nicht – Bartels ist bis heute im Amt. Das sagt der Psychologe Arnd Stein, Psychologe und Psychotherapeut aus Iserlohn über die Berufsgruppe Politiker: "Politiker haben ein erhöhtes Alkohol-Risiko." Zum Fall Osswald sagt er: "Wer unter Alkohol erstens Fahrerflucht begeht und danach noch weitere Schäden verursacht, muss nach allen Erfahrungen einen hohen Alkoholpegel haben."

Seite 3: Reaktionen auf Facebook

Die Alkoholfahrt des Freudenstädter Oberbürgermeisters Julian Osswald sorgt auch auf der Facebook-Seite "Schwarzwälder Bote Horb" - in der auch viele Freudenstädter ihre Meinung kundtun - für Zündstoff. Das Thema wird lebhaft diskutiert. Die Meinungen gehen dabei auseinander. Während viele starke Kritik am Freudenstädter OB äußern, gibt es auch Stimmen, die sich schützend vor Julian Osswald stellen:

Clarissa K.: Als Person des öffentlichen Lebens darf man sich so was nicht leisten. Er hat eine Vorbildfunktion, und die lässt keinen Spielraum für solche Aktionen. Er sollte zurücktreten.

Michaela A.: Streetworker werden in Freudenstadt eingesetzt, um den exzessiven Alkoholmissbrauch am Stadtbahnhof einzudämmen und eventuell damit verbundenen Delikten vorzubeugen. Aber der Herr Oberbürgermeister fährt betrunken Auto und begeht Unfallflucht? Stolze Leistung!

Maik S.: Das sind alles nur Menschen.

Tobias K.: Sofort fristlos aus dem Amt entheben, ohne jegliche Weiterzahlungsansprüche. Wenn ein Bürgermeister der Jugend Alkoholmissbrauch am Steuer vorlebt, woher sollen dann diese wissen, dass es falsch ist, betrunken zu fahren?! Vorbildfunktion?! Von der Unfallflucht mal ganz abgesehen.

Mirjana B.: Niemand ist vollkommen...

Daniel W.: Das sagt ja nichts über seine Fähigkeiten als Bürgermeister aus...

Sascha H.: Wenn er den Lappen wegbekommt, dann können wir alle noch einen Chauffeur bezahlen!

Roland T.: Ich hab’ noch nie jemanden, dessen Kind/Angehöriger von ‘nem Betrunkenen überfahren wurde, sagen hören: Das ist auch nur ein Mensch! Totale Heuchelei, solange es einen nicht selbst betrifft.

Yvonne H.: Bürgermeister hin oder her, er ist auch ein normaler Bürger und hat sich an die Gesetze und Regeln zu halten. Ich finde, es spielt keine Rolle ob Bürgermeister, Politiker, Polizist, Busfahrer und so weiter – die Gesetze gelten für alle.

Daniel R.: Natürlich sagt das was über die Fähigkeiten als Bürgermeister aus. Wenn man mit Alkohol Auto fährt, dabei in Kauf nimmt, dass Menschen verletzt werden, hat man in einem öffentlichen Amt nix verloren!