Manuela S. lacht gerne und viel. In ihr altes Leben will sie nicht zurück. Foto: Michel

Manuela S. wurde mit 60 Jahren vom Mann zur Frau. Operation steht am Ende eines langen Wegs.

Kreis Freudenstadt - Manuela S. ist 60. Vor wenigen Wochen hat sie ihr neues Leben begonnen. Ein Leben in einem anderen Körper, ohne Versteckspiel, ohne Lügen. Sie lacht viel und sie ist glücklich in ihrem neuen Leben, in dem sie nie mehr Horst S. sein wird.

Manuela S. sitzt in ihrer kleinen Küche in dem Häuschen in einem Weiler im Landkreis Freudenstadt, hat Kaffee gekocht. Draußen auf dem Balkon sind ihre beiden Hunde, ein Kaukase und ein Berner-Senne-Border-Collie-Mischling, damit sie den Besuch nicht zu überschwänglich begrüßen. Die 60-Jährige erzählt von ihrem alten Leben und von ihrem neuen, vom Ankommen in sich selbst. Und es scheint, als wolle sie damit auch anderen Mut machen.

Als Teenager abends heimlich Frauenkleider getragen

Wann sie erkannt hat, dass sie im "falschen" Körper geboren wurde? "Ich weiß es schon ewig", sagt sie. Schon als Kind hat sie mit Puppen gespielt, hat ihrer Mutter in der Küche geholfen und im Kindergarten getobt, als man ihr die Puppe weggenommen hat und sie mit Autos spielen musste.

Als sie, damals eben noch Horst, sich die Kleider ihrer älteren Schwester anzog, fanden die Eltern das am Anfang noch lustig. "Doch dann hat es vom Vater auch mal Schläge gegeben."

Irgendwann trennten sich die Eltern. Die Kinder zogen mit ihrer Mutter von Kornwestheim nach Stuttgart. Horst, inzwischen ein Teenager, hatte sich heimlich Frauenkleider zugelegt, die er abends für sich anzog. Nach außen hin lief alles wie bei anderen Jungen. Er machte eine Lehre als Kfz-Mechaniker, obwohl er beruflich lieber etwas mit Tieren gemacht hätte. Und dann las er zum ersten Mal, dass sich jemand hatte umoperieren lassen für 12.000 Dollar. "Da habe ich gedacht, 12 000 Dollar sollte man haben."

Das Versteckspiel ging weiter. Er kam zum Bund, versteckte Frauenkleider im Auto, fuhr abends mit dem Wagen raus, um als Frau gekleidet spazieren zu gehen. Horst S. machte bei der Bundeswehr seinen Kfz-Meister, blieb zwölf Jahre dabei. Er heiratete, wurde Vater zweier Kinder. "Ich wollte ein normales Leben führen", sagt Manuela S. heute über ihr Leben als Mann, über ihr Leben im "falschen" Körper. Horst S. und seine Frau bauten gemeinsam eine Kfz-Werkstatt auf und lebten ein Familienleben, wie es viele tun. Aber eben nur fast: "Wenn sich die Gelegenheit ergab, habe ich in den Kleiderschrank meiner Frau gelangt. Sie hatte die selbe Größe wie ich. Und nachher habe ich darauf geachtet, das alles wieder gerade im Schrank hängt", erzählt Manuela S.

"Außer meinen Kindern habe ich niemanden verloren."

Acht Jahre lang waren Horst S. und seine Frau verheiratet. Die Scheidung, die auch die Aufgabe des Betriebs zur Folge hatte, sei völlig unabhängig von der Transsexualität, sagt Manuela S. Es folgte eine weitere langjährige Partnerschaft, die Gründung einer weiteren Firma. "1993 haben wir uns kennengelernt, 2007 habe ich mich geoutet. Ich konnte die Heimlichkeit nicht mehr ertragen." Aus der Partnerschaft sei dann eine Freundschaft geworden. Seine Partnerin versuchte, seine Transsexualität zu akzeptieren, ihm zu helfen, ging mit ihm Frauenkleider kaufen. Zwei Jahre nach dem Coming-out trennte sich seine Partnerin von ihm. Für ihn kam es plötzlich, sie hatten noch kurz zuvor Pläne geschmiedet. "Sie hat gesagt, es habe nichts mit meiner Transsexualität zu tun."

Für Horst S. brach durch die Trennung eine Welt zusammen, er verkroch sich in Arbeit, er wollte weg, etwas Neues anfangen, schrieb Bewerbungen und fand im Schwarzwald eine Stelle als Fahrer in einer Spedition und ein altes Haus.

Doch die Heimlichkeit ging weiter. Zunächst trug er die Frauenkleider im Haus, dann brachte er so auch schon mal den Müll raus. Nach und nach wurde er mutiger. Er schloss sich einer Selbsthilfegruppe an, besuchte eine Psychologin und fasste den Entschluss: "Wenn ich 60 bin, will ich es hinter mir haben."

Inzwischen hat Manuela S. überall die Karten auf den Tisch gelegt, hat sich auch bei ihren Chefs geoutet. Lange hat sie sich überlegt, wie sie es ihnen beibringen soll, dass sie eine Frau ist und war erleichtert, als sie ganz locker reagiert haben. Nur wenige Tage später kam sie zum ersten Mal als Frau ins Geschäft. Aus dem Lkw-Fahrer Horst ist die Lkw-Fahrerin Manuela geworden.

Seit Oktober ist Manuela S. juristisch eine Frau. Ende Januar folgte die OP in Freiburg. Mit 60 in einen anderen Körper schlüpfen? Manuela S. ist überzeugt davon, dass es die richtige Entscheidung war: "Ich will meinen dritten Lebensabschnitt so leben, wie ich es mir vorstelle: als Frau."

Sie ist auf viele Menschen gestoßen, die ihr in diesem neuen Leben helfen, hat sich beim Optiker in Freudenstadt beraten lassen, weil die Männerbrille nicht mehr zum Outfit passt, hat sich in Pfalzgrafenweiler zeigen lassen, wie sie sich am vorteilhaftesten schminkt, sieht die Fragen von Kollegen und Freunden als aufmerksame Neugier. "Da wird natürlich gefragt, und dann erzähle ich halt." Auch in dem kleinen Weiler im Landkreis Freudenstadt lebt sie nun als Frau. Nur eine Nachbarin komme damit nicht zurecht.

Manuela S. scheint endlich angekommen in ihrem Leben und lacht ihr fröhliches Lachen. Traurigkeit schleicht sich ins Gesicht, wenn sie von ihrer Tochter und ihrem Sohn erzählt: "Außer meinen Kindern habe ich niemanden verloren."

Was sie sich wünscht für die Zukunft? Sie hofft, wieder einen Weg zu ihren Kindern zu finden. Sie will, dass es vorbei ist mit der Geheimniskrämerei, will als Frau akzeptiert werden, in der großen Masse mitschwimmen, sie will tanzen lernen wie eine Frau und sich dabei führen lassen.