Der Angeklagte Turgay Y. wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Foto: Becker

Nicht wegen versuchten Totschlags verurteilt, aber wegen gefährlicher Körperverletzung.

Kreis Freudenstadt/Düsseldorf - In Horb war Rocker Turgay Y. wohl das Idol von Sidar A. Später wurden sie Konkurrenten. Nun muss der als Christen-Rocker betitelte Y. seine nächste Haftstrafe antreten – zusammen mit drei Mitstreitern aus Freudenstadt, Villingen-Schwennigen und Tuningen.

Kurz nach Mitternacht am 28. August 2018 kommt es auf der berühmten Königsallee in Düsseldorf zu einer Auseinandersetzung. Vier Männer stehen an der dortigen Johanniskirche einem anderen Mann gegenüber. Sie haben sich zu einem "Friedensgespräch" verabredet. Geht es um Revierstreitigkeiten im Rotlichtmilieu, wie später Ermittler annehmen?

Die Situation eskaliert. Die Gruppe folgt dem anderen Mann, der sich entfernen will. Drei der Vierergruppe starten eine Attacke. Sie misshandeln den Konkurrenten schwer und verletzen ihn. Sie schlagen und treten den Mann. Das Opfer weist Stichverletzungen auf und muss notoperiert werden.

Täter und Opfer kennen sich aus der gemeinsamen Heimatstadt Horb

"Chef" der Tätergruppe ist der 36-jährige Turgay Y. aus Horb (Kreis Freudenstadt). Doch das Opfer ist keine Düsseldorfer Bekanntschaft. Auch der 24-jährige Sidar A. stammt aus der Neckarstadt, wohnte einst mitten im Zentrum von Horb. Und: Beide kennen sich schon lange.

Vor zehn Jahren war Y. der Präsident der Black Jackets vor Ort. "Turgay war für Sidar ein Idol. Er wollte so sein wie er", erzählt ein Bruder von Y. unserer Zeitung. Doch A. sei damals – vor zehn bis zwölf Jahren – noch zu jung gewesen, um bei den Black Jackets mitzumachen.

In den Folgejahren entwickeln beide ihre "Rocker-Karriere". Turgay Y. – zuletzt wohnhaft in Freudenstadt – sticht einem Konkurrenten 2009 ein Messer in den Bauch und muss ins Haft – zum zweiten Mal, nachdem er bereits wegen Menschenhandels einsaß. Im Gefängnis konvertiert er und wird Christ mit missionarischem Eifer. "True Life" ("Wahres Leben") nennt er seine neue Rocker-Gruppe. Sogar in einem Gefängnis in Südamerika predigt Y. Er schreibt ein Buch mit dem langen Titel "Radikale Veränderung: Im Islam aufgewachsen, dann kriminelle Kariere, heute Jesus nachfolgend, ... eine bewegende Lebensgeschichte" und will Menschen mit düsterer Vergangenheit angeblich von einem besseren Leben überzeugen. Seine Anhängerschaft wächst schnell. In sozialen Medien folgen ihm 10.000 Menschen.

"Die zwei gewaltbereitesten Rocker in Baden-Württemberg"

Aus Sidar A. wird ebenfalls eine Rockergröße. In einem Szene-Forum wird er zusammen mit einem Freund als "die zwei gewaltbereitesten Rocker in Baden-Württemberg" bezeichnet. A. soll bei den "Black Jackets" in Esslingen gewesen sei. Allerdings: Im Kreis Freudenstadt soll er auch mal Vize-Präsident der "United Tribuns" gewesen sein. In seinem Vorstrafenregister: unter anderem fünf Jahre wegen versuchten Mordes. Auch A. soll übrigens konvertiert sein.

In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt trafen sie nun wieder aufeinander. Das Landgericht sieht den ermittelten Ablauf der Tat als gesichert an. Vor allem – weil die Angeklagten nicht unbeobachtet waren, eine Überwachungskamera eines Schmuckgeschäfts zeichnete die Misshandlungen des Geschädigten auf. Turgay Y., dessen Anhänger vor Ort und auch in den sozialen Medien die Unschuld ihres "Apostels" beteuerten, hatte im Prozess geschwiegen. In einem fast zweistündigen Youtube-Video hatte er im August 2018 erklärt, dass nun die ganze "Wahrheit" ans Licht kommen werde.

Doch die Beweise gegen ihn waren für das Gericht erdrückend. Der Kammervorsitzende lobte in seiner Urteilsbegründung ausdrücklich die Arbeit der Düsseldorfer Polizei. Diese habe das Tatgeschehen professionell und umfassend aufgeklärt und durch aufwendige Detailarbeit dafür gesorgt, dass sowohl die Vorgeschichte der Auseinandersetzung als auch das Geschehen nach der Tag festgestellt werden konnte. Einer der Angeklagten konnte daraufhin in Spanien festgenommen werden und wurde an die Bundesrepublik ausgeliefert.

Urteil nicht wegen versuchten Totschlags, aber wegen gefährlicher Körperverletzung

Allerdings: Der ursprünglichen Anklage wegen versuchten Totschlags wurde nicht gefolgt. Drei Mal soll Turgay Y. mit der Pistole Kaliber neun Millimeter auf den Mann gezielt und abgedrückt haben. Doch die Waffe hatte laut Ermittlungsergebnissen Ladehemmung.

Die vier Angeklagten – neben Turgay Y. Männer aus Freudenstadt, Villingen-Schwenningen und Tuningen (Schwarzwald-Baar-Kreis) – wurden aber nun "nur" wegen gefährlicher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen zwischen drei und sechs Jahren verurteilt, Y. hat dabei die längste Strafe erhalten.

Ob die Ereignisse in Düsseldorf und die Folgen für Täter und Opfer dafür sorgen, dass die Rocker-Karrieren an den Nagel gehängt werden? Zweifeln ist nach dieser Vorgeschichte erlaubt.